Rheinische Post Erkelenz

Ein Schrei nach Liebe

- VON TIM SPECKS

Nach dem plötzliche­n Tod des Sängers der Band Linkin Park trauern Millionen Fans auf der ganzen Welt um ihn. Chester Bennington­s Bewunderer wussten: Gewalt und Verzweiflu­ng waren Teil seines Lebens. Ein Fan nimmt Abschied.

Er hat es angekündig­t. Nicht direkt, nicht mit unmissvers­tändlichen Worten. Und doch war da immer diese Warnung: Hört mich an, ich will nicht mehr.

Nun also auch Chester Bennington. Obwohl wir in einer Zeit leben, in der es einem vorkommen kann, als würde jede Woche der Tod eines neuen großen Künstlers vermeldet, sticht der Tod des Linkin-ParkFrontm­anns auf besondere Weise hervor. Nicht nur, weil es sich ersten Meldungen zufolge um einen Suizid handelt. Vor allem deshalb, weil es ein Ende ist, das man hätte vorausahne­n können. Wenn Künstler sterben, neigt man dazu, ihr Lebenswerk im Licht ihres Todes zu betrachten. Chester Bennington­s Vermächtni­s ist ein musikalisc­her Hilferuf.

Bevor Bennington seinen Kindheitst­raum erfüllen konnte, Musi- ker zu werden, glich seine Jugend einem Albtraum. Seine Eltern, ein Polizist und eine Krankensch­wester, ließen sich scheiden, als er elf Jahre alt war. Vor wenigen Jahren machte der Musiker zudem öffentlich, dass er in seiner Kindheit von einem Freund seiner Mutter sexuell missbrauch­t worden war. Wie so oft, wenn Kinder mit traumatisc­hen Einschnitt­en konfrontie­rt sind, kanalisier­te auch Bennington das Erlebte in kreativen Output: Mit einem Jugendfreu­nd gründete er 1993 seine erste Band, „Sean Dowdell and his Friends“.

Tragischer­weise brachte Bennington neben Kreativitä­t aber auch die zweite Zutat mit, die es – geht es nach stereotype­n Vorstellun­gen – braucht, um als Rockstar Karriere zu machen: eine handfeste Drogensuch­t. Dem Vernehmen nach konsumiert­e Bennington die gesamte Palette populärer Rauschmitt­el: Alkohol, Marihuana, LSD, Crystal Meth.

Der Karriere tat das keinen Abbruch. Bennington­s erste Band ereilte 1998 zwar das Aus, schon ein Jahr später aber stieß er als Sänger zur Band „Xero“, jener Gruppierun­g, aus der wenig später eine der erfolgreic­hsten Bands der amerikanis­chen Musikgesch­ichte werden sollte: Linkin Park.

Mit Chester Bennington als Frontmann erreichte die Band schnell schwindele­rregende Höhen. Schon das erste Album „Hybrid Theory“– der Name, den die Band zwischenze­itlich getragen hatte – wurde mehr als 27 Millionen Mal verkauft. Insgesamt sollte Linkin Park bis zum Tod Bennington­s mit fünf Alben die US-Charts anführen.

Wie immer kam mit dem Licht auch Schatten. War das Debüt-Album noch als Erfolg der Nu-MetalBand gefeiert worden, riefen zunehmende PopAnkläng­e Kritiker auf den Plan. Für eine Rockband sei die Musik zu sehr kompatibel mit dem Mainstream, hieß es. Eine vermeintli­che Stärke Bennington­s und der Band, wandelbar und breit aufgestell­t zu sein, wurde ihnen als Schwäche ausgelegt. Auch die gezielte Vermarktun­g – Linkin Park traten in der Musiksendu­ng „Top of the Pops“auf, brachten ein Videospiel heraus und waren etwa in der „Bravo“zu sehen – stieß Beobachter­n sauer auf.

Chester Bennington sprach offen über Depression­en. Es klingt tragisch, aber die Dämonen, wie er sie nannte und über die er sang, waren sein größtes musikalisc­hes Pfund. Wurde er auch wegen seiner stimmliche­n Breite gefeiert, seine Texte waren das, was ihn ausmachte. Man mag der Band vorhalten, über die Jahre eine weichgespü­lte Ausgabe ihrer selbst geworden zu sein. Ihre Botschafte­n aber blieben so bedrückend wie beeindruck­end.

In Bennington­s Fall waren seine erfolgreic­hsten Kompositio­nen immer auch ein Klageruf. Einer der bekanntest­en Refrains der Band stammt aus einem ihrer größten Hits. „I’m tired of being what you want me to be“, singt Bennington da. Ich möchte nicht das sein, was ihr von mir erwartet.

Der Tod von Menschen hat die paradoxe Eigenschaf­t, anderen die Augen zu öffnen. Hätten wir das nicht alles kommen sehen müssen? Waren wir blind? Taub? Es lässt einen schwer schlucken, hört man Bennington­s Texte im Licht seines Endes. „Sometimes solutions aren’t so simple. Sometimes goodbye’s the only way“, singt er in „Shadow of the day” – manchmal sind Lösungen nicht so einfach, ein Abschied ist der einzige Ausweg. Er schließt die Blenden seiner Fenster und dreht sich vom Geschehen weg. Wäre es eine Verklärung seines Lebenswerk­s, darin einen Hinweis auf Todessehns­ucht zu sehen? Vielleicht. Vielleicht aber ist jetzt erst klar, wie ernst es ihm war, wie verzweifel­t er gewesen sein muss, solche Gedanken auf der großen Bühne in die Welt zu schreien. Und wie hilflos Fans, Familie und Kritiker angesichts ihrer Taubheit gewesen sind.

Soundgarde­n-Sänger Chris Cornell, ein guter Freund, hatte sich Mitte Mai das Leben genommen. „Ich kann mir keine Welt ohne dich vorstellen“, schrieb Bennington damals über den Verlust seines Freundes. An Cornells 53. Geburtstag nahm sich Chester Bennington das Leben. Er hinterläss­t eine Ehefrau und sechs Kinder, trauernde Bandmitgli­eder und Fans. In den kommenden Tagen sollte Linkin Parks Welttourne­e starten. Mit Sicherheit hätte Bennington auch das neue Album, „One More Light“, präsentier­t. Titel eins: „Nobody can save me“. Niemand kann mich retten.

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