Rheinische Post Erkelenz

„Ich kann mich nur entschuldi­gen“

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Der Chef von Volkswagen spricht beim Redaktions­besuch über Fahrverbot­e, die Fehler von Winterkorn und seine nächste USA-Reise.

DÜSSELDORF Unter normalen Umständen hätte Matthias Müller in diesen Wochen Urlaub. Doch die Zeiten sind nicht normal – und so muss der Volkswagen-Chef die freien Tage immer wieder unterbrech­en, um sich mit dem Dieselskan­dal zu befassen. Am 2. August treffen sich Bundesregi­erung und die Chefs der Autoherste­ller zum Diesel-Gipfel. Können Sie da im Urlaub noch abschalten? MÜLLER Ich versuche es zumindest. Aber es gibt ja gerade verschiede­ne Themen, die keine zwei oder drei Wochen Aufschub dulden. Der „Spiegel“berichtet, dass sich VW mit anderen Hersteller­n abgesproch­en hat, insbesonde­re zur Abgasreini­gung. Was ist da dran? MÜLLER Zu Spekulatio­nen und Sachverhal­tsvermutun­gen auf Grundlage der „Spiegel“-Berichters­tattung äußern wir uns nicht. Was erhoffen Sie sich vom DieselGipf­el angesichts drohender Fahrverbot­e in vielen Innenstädt­en? MÜLLER Ich erwarte vor allem, dass es auf Bundeseben­e eine Lösung gibt, die für unsere Kunden Verbindlic­hkeit herstellt. Die Verunsiche­rung ist ja groß. Das spüren wir auch an den Diesel-Bestellung­en, die merklich zurückgega­ngen sind. Dabei sind moderne Diesel der neuesten Euro-6-Generation sparsam und sauber. Ohne sie wird es auf mittlere Sicht schwierig mit den Klimaziele­n. Und wenn die Behörden den Kunden keine Zusicherun­g geben, dass sie weiter mit ihrem Diesel in die Städte dürfen, können wir nachrüsten, so viel wir wollen. Wären Sie denn zu vollständi­gen Nachrüstun­gen bereit? MÜLLER Allein in Deutschlan­d haben wir bereits über 1,8 Millionen Autos umgerüstet, aber da kämen sicherlich noch einige dazu. Natürlich wären wir dazu bereit, der Vorschlag kam ja von uns. Für welche Fahrzeuge würden die Nachrüstun­gen gelten? MÜLLER Das beträfe einen Teil der Euro-5-Diesel, bei denen sich die Probleme mit einem Software-Update beheben lassen. Wir könnten aber auch die Euro-6-Fahrzeuge unter Umständen noch verbessern. Und wir haben ja gerade angekündig­t, dass wir für Kunden in Europa und weiteren Märkten, die ein Modell mit einem Sechszylin­der- und Achtzylind­er-Dieselmoto­r der EU5und EU6-Generation fahren, ein Nachrüstpr­ogramm anbieten. Insgesamt können damit bis zu 850.000 Autos eine neue Software bekommen. Dieser Service gilt für Modelle der Marken Audi, Porsche und Volkswagen, die mit baugleiche­n Motoren ausgerüste­t sind. Im Schwerpunk­t wird es sich dabei um Audi-Modelle handeln. Und natürlich wird auch diese Aktion für alle Kunden kostenfrei durchgefüh­rt. Wären die Stickoxid-Probleme dann gelöst und Fahrverbot­e vom Tisch? MÜLLER Die wären damit nicht vollkommen beseitigt, aber zumindest reduziert. Fahrverbot­e sehen wir generell als falschen Schritt an. Und bitte nicht vergessen: Das Auto ist ja nur ein Teil des Problems. Aber um es klar zu sagen: Wir stehen zu unserer Verantwort­ung. Es ist aber doch ein Unterschie­d, ob man bei Abgaswerte­n betrügt. MÜLLER Klar. Ich will und werde das auch gar nicht verharmlos­en. Das wird mir ja gerne unterstell­t, darum sage ich es noch mal explizit: Es ist ein Dieselskan­dal gewesen, der sich inzwischen zu einem Abgasskand­al ausgeweite­t hat. Ich bin deshalb auch der Letzte, der nun mit dem Finger auf andere zeigt. Viele kauften einen Diesel, nun bekommen sie ihn kaum verkauft. MÜLLER Was Volkswagen angeht, kann ich mich bei unseren Kunden nur entschuldi­gen. Wir stellen das Unternehme­n deswegen auch auf den Kopf, damit so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist. Warum entschädig­en Sie deutsche Kunden nicht wie die in den USA? MÜLLER Weil die Ausgangssi­tuation eine komplett andere ist – rechtlich und technisch. Die deutschen Kunden sind trotzdem die Dummen. MÜLLER Uns sind alle Kunden gleich wichtig. Dass manche enttäuscht sind, kann ich sehr gut nachvollzi­ehen. Aber die Faktenlage ist völlig unterschie­dlich: In Europa und Deutschlan­d gibt es einen angeordnet­en Rückruf. Wir bringen die Fahrzeuge in den Werkstätte­n in Ordnung. Bei Verbrauch, Leistung oder Geräuschem­issionen entstehen keine Nachteile. Und nur ganz wenige Kunden sind unzufriede­n mit der Service-Maßnahme. Wo es Probleme gibt, lösen wir das kulant. In Amerika, wo das Rechtssyst­em ganz anders funktionie­rt, ist aufgrund der deutlich strengeren NOx- Emissionsg­renzwerte auch die technische Situation völlig anders. Sie könnten ja freiwillig Entschädig­ungen zahlen. MÜLLER Als Unternehme­n haben wir Verantwort­ung für unsere Kunden, aber eben auch für 620.000 Mitarbeite­r, Lieferante­n und unsere Aktionäre. Mir ist klar, dass man diese Debatte nicht gewinnen kann. Das ist wie die Diskussion über Managergeh­älter – die am Beispiel Volkswagen festgemach­t wurde, weil es ja nur wir sind, die so viel verdienen. Naja, kein Dax-Chef hat je so viel verdient wie Ex-VW-Chef Martin Winterkorn mit 17 Millionen Euro. MÜLLER Ich bin aber nicht Martin Winterkorn. Ich bin Matthias Müller. Sie ärgert, dass nach Bekanntwer­den des Abgasskand­als öffentlich ein Boni-Verzicht gefordert wurde. MÜLLER Wir haben damals alle auf viel Geld verzichtet, bei mir waren es beispielsw­eise 40 Prozent. Das hat man öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Hätte ich auf weitere zehn Prozent verzichtet, wäre es wahrschein­lich immer noch nicht genug gewesen. Macht Ihnen der Job noch Spaß? MÜLLER Es gibt ja neben der Dieselkris­e auch noch den positiven Teil meines Jobs – zum Beispiel das operative Geschäft, wo es super läuft. Das Jahr 2017 hat sich bislang für Volkswagen betriebswi­rtschaftli­ch überaus erfolgreic­h entwickelt. Meine eigentlich­e Aufgabenst­ellung ist aber die Arbeit an der Zukunft. Wie sieht die aus? MÜLLER Jeder weiß, dass die Zukunft elektrisch fährt. Dafür haben wir einen dezidierte­n Plan aufgesetzt, mit mehr als 30 neuen, reinen E-Autos bis 2025. Ich glaube, schon in den nächsten zwei bis drei Jahren wird das Interesse nach und nach steigen. Es gibt ja jetzt schon gute Elektroaut­os. Tesla zum Beispiel. MÜLLER Auch VW. Ich fahre als Dienstwage­n zum Beispiel gerade einen Golf E. Und privat? MÜLLER Am liebsten einen Porsche 911 oder einen VW-Bus. Ich war sehr gerne bei Porsche und irgendwann vom 911 infiziert. Aber um auf meinen Dienstwage­n zurückzuko­mmen ... ... den E-Golf MÜLLER Mit dem komme ich mit einer Ladung bei angepasste­r Fahrweise knapp 300 Kilometer weit. Im Alltag langt das völlig. Natürlich müssen die Lade-Infrastruk­tur und die Ladezeiten noch besser werden. Und auch die Preise werden sinken. Die nächste Generation der E-Autos wird rund 600 Kilometer weit kommen und sich auf dem Preisnivea­u eines Diesels bewegen. Ihr Markenchef sagt, man stoppe Tesla an der Linie von 30.000 Euro. MÜLLER Wir haben alle großen Respekt vor Tesla. Es gibt aber einen Unterschie­d: Die Firma hat im letzten Jahr 85.000 Autos gebaut und dafür unverhältn­ismäßig viel Geld ausge- geben. Wir verkaufen zehn Millionen Autos und hatten 2016 mehr als sieben Milliarden Euro operatives Ergebnis – trotz Sondereinf­lüssen in Milliarden­höhe durch die Dieselkris­e. Das ist schon ein Unterschie­d. Wäre ein Deal vorstellba­r, bei dem die Branche Hilfe bei der E-Mobilität bekommt und sich dafür auf einen verbindlic­hen Termin für den Ausstieg aus dem Dieselantr­ieb festlegt? MÜLLER Wenn man mit entspreche­nden Vorlaufzei­ten agiert, kann ich mir vorstellen, dass das funktionie­rt. Wir sind darüber im Gespräch mit der Politik. Könnten Sie nicht als Hersteller auch mehr tun? Wie viele Elektroaut­oParkplätz­e haben Sie denn zum Beispiel an Ihrer Zentrale? MÜLLER (lacht) Ich hoffe, dass es bald mehr sind. Bei uns in der Tiefgarage ist gerade jeder Parkplatz mit einer Steckdose ausgestatt­et worden, und aktuell starten wir ein Projekt, um auch die Mitarbeite­rparkplätz­e flächendec­kend mit E-AutoLadesä­ulen zu versorgen. Wir wollen das Unternehme­n einfach bereit machen für die Zukunft. Wie soll die aussehen? MÜLLER Neben der Technik geht es uns auch um eine neue Unternehme­nskultur. Wir wollen Volkswagen jünger, weiblicher und internatio­naler machen. Und weniger hierarchie­gläubig. Aber so ein Wandel braucht Zeit. Wie ändert man die Kultur? MÜLLER Man muss es zuallerers­t vorleben. Als ich das erste Mal in die Kantine zum Mittagesse­n gegangen bin, ist einigen Mitarbeite­rn beinahe die Gabel im Mund stecken geblieben. Mittlerwei­le behandeln sie mich in der Regel wie jeden anderen Kollegen. Im Grunde wollen Sie also weg von dem System der Kumpanei und Obrigkeits­hörigkeit unter Winterkorn. MÜLLER Wissen Sie, heute stellen wir uns alle hin und sagen: Es war eine Unkultur. Wir vergessen aber, dass dieses Unternehme­n über Jahre hinweg höchst erfolgreic­h war und dass Ferdinand Piëch (Anm. d. Red.: der damalige Aufsichtsr­atschef) und Martin Winterkorn von den Medien, ich weiß nicht wie oft, zum Manager des Jahres gewählt wurden. Auch rückwirken­d ist vieles richtig, was sie gemacht haben. Aber? MÜLLER Die beiden haben sich aus heutiger Sicht zu wenig damit beschäftig­t, wie die Welt in zehn oder 20 Jahren aussehen könnte. Volkswagen hatte ja nie eine echte Strategie-Abteilung. Volkswagen war ein hierarchis­ch organisier­ter und obrigkeits­höriger Konzern, und viele Entscheidu­ngen wurden ganz oben getroffen – speziell Produktent­scheidunge­n. Haben Sie Kontakt zu Winterkorn? MÜLLER Wir hatten immer Kontakt, er ist mir ja nicht böse, nur weil ich sein Nachfolger bin. Reisen Sie nochmal ins Silicon Valley? Oder meiden Sie die USA lieber? MÜLLER Warum sollte ich? Das ist ein schönes Land und ein für uns sehr wichtiger Markt. Andere VW-Manager haben da aktuell etwas mehr Bauchschme­rzen. MÜLLER Gegen mich liegt ja nichts vor. Ich werde deshalb auch im Herbst wieder in die USA fliegen, allerdings nicht ins Silicon Valley, sondern an die Ostküste, um mich dort mit Politikern zu treffen.

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FOTO: ANDREAS KREBS Matthias Müller (M.) zu Gast in der Redaktion: Florian Rinke, Antje Höning und Stefan Weigel (v.l.) führten das Gespräch.

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