Probleme sind immer umfangreicher
Wohlfahrtsverbände stellen fest, dass sich ihre Arbeit verändert, weil die Ratsuchenden immer öfter nicht mit einem, sondern mehreren Problemen zu ihnen kommen.
KREIS HEINSBERG Die Kreissparkasse Heinsberg unterstützt in diesem Jahr sechs Wohlfahrtsorganisationen mit 642.400 Euro – eine Summe, die auch für das Geldinstitut nicht alltäglich ist. Dass diese regelmäßig von der Sparkasse geleistete Unterstützung von Jahr zu Jahr wichtiger wird, machten die mit den Spenden bedachten Verbände bei der Übergabe im Kreishaus Heinsberg deutlich. Immer häufiger stünden ihnen Menschen gegenüber, die Hilfe bei zugleich mehreren Problemen benötigten. Die Arbeit der Wohlfahrtsorganisationen habe sich verändert.
Mit einer Spende unterstützt werden in diesem Jahr der Arbeiter-Samariter-Bund, die Arbeiterwohlfahrt, der Caritasverband, das Deutsche Rote Kreuz, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband sowie das Diakonische Werk mit ihren jeweiligen lokalen Organisationen. Dass sich die Problemlagen der Ratsuchenden und damit die Arbeit der Verbände verändert haben, erklärten unter anderen Superintendent Jens Sannig, Andreas Wagner (Awo), Marion Peters (Caritas) und Kirstin Fuss (Paritätischer Wohlfahrtsver- band). „In der Erziehungsberatung erleben wir zum Beispiel den Wandel in der Gesellschaft durch immer komplexere Problemlagen in Familien und Partnerschaften“, erklärte Wagner. Und Peters berichtete, dass die Caritas-Beratungsangebote von Menschen mit „immer vielschichtigeren Problemen“aufgesucht werden. Sannig sprach von „multiplen Problemlagen“, in denen sich Hilfesuchende heutzutage befinden.
Woran liegt es, dass die Probleme der Betroffenen vielfältiger geworden sind? Und lässt sich das vermeiden? Über diese Fragen entwickelte sich eine Diskussion zwischen den Vertretern der Wohlfahrtsverbände, dem Vorstand der Kreissparkasse und Landrat Stephan Pusch als Vertreter von deren Trägern, dem Kreis Heinsberg und der Stadt Erkelenz. Eine echte Lösung wüssten sie nicht zu benennen, sagten die Verbandsvertreter. Und doch taten sie es, wie Landrat Pusch nach gut einstündigem Gespräch feststellte.
„Das Leben ist komplizierter, und es gibt immer mehr Menschen, die damit nicht mehr zurechtkommen – das finde ich erschreckend“, sagte Marion Peters. Die Gründe dafür seien von Politik und Gesellschaft stärker zu erörtern, forderte sie, lobte aber auch das Bemühen des Kreises Heinsberg, wohnortnäher die Sozialräume und Quartiere zu betrachten, zu planen und zu strukturieren. Die festgestellte Vielschichtigkeit der Problemlagen könnte damit zusammenhängen, überlegte der Landrat, dass „sich schleichend
„Mir wird deutlich: Der Mensch braucht Strukturen. Und die fangen sie teilweise auf“
Landrat
Stephan Pusch über Generationen gewachsene Strukturen wie Großfamilien und Nachbarschaften aufgelöst haben“. Anstelle derer stelle er eine zunehmende Orientierungslosigkeit fest.
Dass diese unter anderen durch den digitalen Wandel beschleunigt werde, warf Herbert Hamann vom Diakonischen Werk des Evangelischen Kirchenkreises Jülich ein: „Menschen haben ein immer stärkeres Problem damit, der Schnellig- keit der gesellschaftlichen, zum Beispiel der digitalen Entwicklung zu folgen. Hier müssen wir verstärkt aufpassen, dass keiner abgehängt wird.“Und Pusch ergänzte, dass ein Problem heute oft das Einstiegsmoment in einer Reihe weiterer Probleme sei, so dass die von Sannig beschriebenen „multiplen Problemlagen“entstünden.
Früher hätten Familien und Nachbarschaften ein Netz gebildet, das Probleme auffing, machte Peters die Situation bildhaft deutlich: „Heute kommen die Menschen, wo solche Netze zunehmenden fehlen, viel schneller an ihre Grenzen.“Landrat Pusch schloss daraus: „Mir wird deutlich: Der Mensch braucht Strukturen. Und die fangen sie teilweise auf.“Hierin sehe er zumindest einen Teil einer Antwort auf die Frage, wie Menschen mit ihren vielschichtigen Problemen geholfen werden könne: durch die hauptund ehrenamtliche Arbeit der Wohlfahrtsverbände im Kreis Heinsberg. Eine „wertvolle Arbeit, die geleistet wird, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten“, wie Thomas Pennartz als Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse hervorhob. Menschen mit ihren multiplen Problemlagen fänden dort die „vielschichtigen Hilfen“, die sie benötigten: „Das wollen wir unterstützen.“