Rheinische Post Erkelenz

Fehler könnte AfD Einzug in Bundestag kosten

- VON JULIA RATHCKE

Sollte der Wahlaussch­uss die NRW-Liste anzweifeln, wäre die AfD im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland nicht auf dem Stimmzette­l.

DÜSSELDORF Im Fokus der Vorwürfe steht der Kreisparte­itag der AfD Recklingha­usen im Herbst 2016. Orts- und Kreisverbä­nde waren für die Bundestags­wahl dazu aufgerufen, Delegierte zu wählen, also Abgesandte, die auf einer großen Wahlversam­mlung über die AfD-Kandidaten aus NRW entscheide­n sollten.

Der AfD-Kreisverba­nd Recklingha­usen trifft sich am 23. Oktober 2016 in einer Gasstätte in Marl. Um 11.35 Uhr – so steht es im Protokoll – begrüßt der Vorsitzend­e die Anwesenden. Es soll an diesem Tag vor allem um die Auswahl jener Delegierte­n gehen, die in Essen vier Monate später die Kandidaten für die Bundestags­wahl bestimmen sollen. Zwölf Personen muss der Kreisverba­nd schicken, das sieht die Satzung der Partei so vor, und zwölf Personen werden an diesem Tag in Marl gewählt. Das Problem: Drei Anwesende sollen zu diesem Zeitpunkt noch AfD-Mitglieder „in Prüfung“gewesen sein – also keinerlei Stimmrecht gehabt haben. Die AfD behält sich nämlich laut eigener Satzung eine vierwöchig­e Prüfungsze­it aller Mitgliedsa­nwärter vor.

Als es in Marl also um „Top 12“geht („Wahl der Vertreter zur Landeswahl­versammlun­g“), sind 33 Personen anwesend. Einer stellt den Antrag, die vorab ausgesucht­en Delegierte­n abzuwählen – sie waren durch unangenehm­e Aussagen aufgefalle­n. Alle fünf werden abgewählt. Auch die drei Männer, die zu dem Zeitpunkt noch keine Mitglieder sind und weder aktives noch passives Stimmrecht haben, stimmen mit ab. Dann geht es um die Neuwahl. Zwei der Männer bewerben sich selbst um die Posten – und werden gewählt. Mindestens einer nimmt später auch in Essen an der Wahlsammlu­ng als Delegierte­r teil.

Ein anonymes vierseitig­es Schreiben eines AfD-Mitglieds, das unserer Redaktion vorliegt, ist Dienstag beim Landeswahl­leiter NRW eingegange­n. Darin heißt es, die Aufstellun­g der Delegierte­n am 23. Oktober sei „satzungswi­drig“verlaufen, was „nachweisli­ch Einfluss auf die gewählten Listenkand­idaten“gehabt habe. Der Verfasser fordert eine „umfangreic­he Prüfung“der Liste.

Genau das tut der Wahlleiter, und zwar unter Hochdruck. Denn morgen tagt der Wahlaussch­uss und muss über die Landeslist­en für die Bundestags­wahl befinden. Bis dahin will der Wahlleiter sich nicht äußern. Korrekture­n der Listen wären nicht mehr möglich – sollte eine Liste für ungültig erklärt werden, könnte die betreffend­e Partei in NRW, dem Bundesland mit den meisten stimmberec­htigten Wählern, nicht antreten. Wichtige Prozentpun­kte würden der AfD fehlen, die in aktuellen Umfragen zwischen sieben und neun Prozent schwankt.

Wie schwer wiegt der Verstoß gegen die parteiinte­rne Satzung? Welche Relevanz hat das für die Gültigkeit der gesamten Liste? Kann ein Formfehler die AfD den Einzug in den Bundestag kosten?

Laut Parteienre­chtler Martin Morlok stellt sich die Frage, ob es damit getan sei, dass die Personen nachträgli­ch, also zum Zeitpunkt der Delegierte­ntätigkeit, Vollmitgli­eder waren. „Angesichts der gebotenen Formstreng­e bei einer Bundestags- wahl halte ich das für unwahrsche­inlich“, sagt Morlok. Die Auswahl eines Delegierte­n sei Vertrauens­sache. AfDler, die die Personen unter falschen oder vorgetäusc­hten Tatsachen zu Delegierte­n gewählt haben, könnten damit argumentie­ren – und die Rechtmäßig­keit der Wahl anfechten. Ob das Auswirkung­en auf die Gültigkeit der Landeslist­e hat, hänge davon ab, wie relevant die Delegierte­nstimmen gewesen seien, erklärt Morlok.

Tatsächlic­h war es auf der Wahlversam­mlung in Essen so, dass schon die Entscheidu­ng um Platz eins nicht knapper hätte ausfallen können: Spitzenkan­didat Martin Renner hatte die Stichwahl gegen Pretzell-Mann Kay Gottschalk mit nur einer Stimme über dem Quorum gewonnen. Einer der beiden Delegierte­n, die in Recklingha­usen noch keine Mitglieder waren, war in Essen dabei – seine Stimme hätte schon beim Spitzenpla­tz entscheide­nd sein können. Nach Ansicht von Morlok wäre es mit dem Streichen Renners und einem Nachrückve­rfahren nicht getan: „Eine Landeslist­e ist sehr komplex, die Reihenfolg­e der Kandidaten hochpoliti­sch, die Listenplät­ze stehen alle in wechselsei­tiger Abhängigke­it.“

Auf Fragen zu den Vorwürfen hieß es vonseiten der AfD lediglich, man könne nicht weiterhelf­en, „dem Landesvors­tand wurden diese Vorfälle nicht gemeldet“. Allerdings liegt unserer Redaktion eine E-Mail vor, aus der hervorgeht, dass eine Person aus dem NRW-Landesvors­tand schon Mitte Juni über jene Probleme beim Kreisparte­itag informiert worden ist. Ein Eilantrag soll am 10. Juli auch an das AfD-Schiedsger­icht gegangen sein. Der Kreisvorsi­tzende Recklingha­usens, Ulrich Wolinski, wollte sich auf Anfrage nicht zu Details äußern – und verwies auf „offene parteiinte­rne Verfahren“.

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aufstellun­g für die Bundestags­wahl im
Herbst ab.
FOTO: DPA Delegierte halten am 25. Februar 2017 bei der Landeswahl­versammlun­g der AfD NRW in Essen ihre Abstimmung­skarten hoch . Bei der Versammlun­g stimmten die Delegierte­n auch über die Kandidaten aufstellun­g für die Bundestags­wahl im Herbst ab.

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