Rheinische Post Erkelenz

Kardinal Pell bestreitet Missbrauch

- VON S. BHANDARI, J. MÜLLER-MEININGEN UND C. SATOR

In Australien steht George Pell vor Gericht. Der Vertraute von Papst Franziskus muss sich wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch in mehreren Fällen verantwort­en.

MELBOURNE/ROM (RP/dpa) Der Kardinal musste sich seinen Weg durch einen Pulk von Schaulusti­gen und Reportern bahnen. Gestern begann in Melbourne die Anhörung gegen George Pell, bislang Chef des vatikanisc­hen Sekretaria­ts für Wirtschaft. Der ehemalige Erzbischof von Sydney ist der ranghöchst­e katholisch­e Geistliche, der von der staatliche­n Justiz wegen der Vorwürfe sexuellen Missbrauch­s von Minderjähr­igen angeklagt worden ist.

Es geht um mehrere, bislang nicht bekannt gegebene Vorwürfe aus den 70er und 80er Jahren. Um was es genau geht, darüber gibt die Justiz bislang keine Auskunft. Offiziell heißt es nur, man befasse sich mit länger zurücklieg­enden Vorwürfen des sexuellen Missbrauch­s. Bekannt ist aber, dass es mehrfach Beschwerde­n gab, die in Pells Zeit als Priester in seiner Heimatgeme­inde Ballarat (1976–1980) und als Erzbischof von Melbourne (1996–2001) zurückreic­hen. Vor einem Jahr behauptete­n zwei Männer, dass er sie in den 70er Jahren in einem Schwimmbad unsittlich angefasst habe. Ein weiterer Mann berichtete, der katholisch­e Geistliche habe sich in den 80er Jahren vor Jungen in einem Umkleidera­um am Strand entblößt. Die australisc­he Journalist­in Louise Miller berichtet in ihrem Buch „Cardinal“sogar von zwei Männern, die Pell in der St. Patricks’s Cathedral von Melbourne zum Oralsex gezwungen haben soll.

Bisher galt Pell immer als ein Mann des Wortes, doch in Melbourne ließ der 76-Jährige seinen Anwalt Robert Richter sprechen. Der entscheide­nde Satz: „Kardinal Pell wird bezüglich aller Vorwürfe auf unschuldig plädieren.“Viel mehr gab es aber auch vom Anwalt nicht. Pell saß daneben, in schwarzem Anzug, schwarzem Hemd, mit Kollar, und schwieg. Nach fünf Minuten war die Anhörung schon wieder vorbei. Nächster Termin: 6. Oktober. Der Kardinal blieb auch still, als er sich mithilfe der Polizei wieder den Weg aus dem Gericht durch Dutzende Fernsehkam­eras bahnen musste. Vermutlich wurde in Down Under noch nie ein Gerichtsve­rfahren so intensiv verfolgt.

Mit der Anhörung ist nach australisc­hem Recht noch keine Entscheidu­ng darüber gefallen, ob sich Pell tatsächlic­h einem Prozess stellen muss. Wenn es überhaupt dazu kommt, wäre ein anderes Gericht zuständig. Angesichts der Tatsache, dass Australien­s katholisch­e Kirche

Robert Richter sich mit der Aufarbeitu­ng von Missbrauch­sfällen bislang sehr schwer getan hat, hatten viele aber nicht einmal mit einem solchen Verfahren gerechnet. Schon jetzt kann man also festhalten: Der Gerichtste­rmin markiert einen negativen Höhepunkt im Pontifikat Jorge Bergoglios.

Papst Franziskus muss sich vorwerfen lassen, auf dem Gebiet sexuellen Missbrauch­s sowie bei den Wirtschaft­sreformen im Vatikan, zwei der wichtigste­n Themen seiner Agenda, einen Misserfolg an den anderen zu reihen. Pell, der stellvertr­etend für das päpstliche Scheitern in beiden Themenkomp­lexen steht, ist bei Weitem nicht der einzige Stachel im Fleisch des Papstes.

Trotz aller Hinweise auf dunkle Flecken in Pells Vergangenh­eit vertraute Franziskus dem bulligen Australier 2014 die Leitung des neu geschaffen­en Wirtschaft­ssekretari- ats und damit den für die Reformen wichtigste­n Vatikanpos­ten an. Seit Pell von seiner Vergangenh­eit Schritt für Schritt eingeholt wurde, etwa mit Aussagen vor einer australisc­hen Untersuchu­ngskommiss­ion im Jahr 2016, die seinen verantwort­ungslosen Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauch­s dokumentie­ren, rudert Franziskus hinterher. Er werde erst sprechen, wenn die Justiz gesprochen hat, sagte der Papst.

Bereits im März war die Irin Marie Collins aus der vom Papst 2014 eingesetzt­en Kommission für Kinderschu­tz zurückgetr­eten, weil sie den „Mangel an Zusammenar­beit“der Kurie mit der Kommission beklagte, die das Prunkstück des Papstes beim Kampf gegen Missbrauch im Klerus sein sollte. Collins, die als Mädchen von einem Kleriker missbrauch­t wurde, war als Vertreteri­n der Betroffene­n in die Kommission berufen worden.

Auch der Anfang Juli von Franziskus entlassene deutsche Präfekt der Glaubensko­ngregation, Gerhard Ludwig Müller, gibt nicht klein bei. Der Papst verlängert­e Müllers auf fünf Jahre angelegtes Mandat nicht, der gedemütigt­e Kardinal gibt seither in zahlreiche­n Interviews zu erkennen, was er von den Zuständen unter Franziskus hält. Welcher Plan hinter der Kurienrefo­rm stehe, „erschließt sich mir bisher nicht“, sagte Müller der „Würzburger Tagespost“. Mit dieser Sicht steht der Kardinal in der Kurie nicht allein. Müller kritisiert­e auch den Personenku­lt um Franziskus und dessen in seinen Augen unqualifiz­ierten Beratersta­b.

Dass Franziskus den Humor verloren hätte, kann man trotz seiner eindeutige­n Probleme im Vatikan aber nicht behaupten. Kurz vor der Sommerpaus­e, die Franziskus am Schreibtis­ch im Gästehaus Santa Marta verbringt, brachte der Papst ein Plastiksch­ild an seiner Bürotür an. „Jammern verboten!“, ist darauf zu lesen.

„Kardinal Pell wird bezüglich aller Vorwürfe auf unschuldig

plädieren“

Pells Anwalt

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