Rheinische Post Erkelenz

Schwurgeri­cht über Richard Wagner

- VON WOLFRAM GOERTZ

Im Saal der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse spielt die Neuinszeni­erung der „Meistersin­ger“bei den Bayreuther Festspiele­n.

BAYREUTH Katharina Wagner, die Cosima der Bayreuther Festspiele von heute, hat dieser Tage öffentlich aufgeatmet: 2017 sei am Hügel ein wunderbar skandalfre­ier Jahrgang. In der Tat, kein Bariton hat altgermani­sche Runen auf seiner Wade entdeckt, kein Regisseur hat die Brocken hingeworfe­n, kein Dirigent hat wegen der Sänger rumgezickt, und auch Cousine Nike ist ruhiger geworden.

Segeln im Windschatt­en früherer Stürme – das ist ein ungewöhnli­cher Zustand, der sich freilich mit der Neuinszeni­erung der „Meistersin­ger von Nürnberg“scheinbar fortsetzt. Zunächst bittet uns der Regisseur Barrie Kosky ins Wohnzimmer der Bayreuther Villa Wahnfried (Bühne: Rebecca Ringst), wo es gleich eine der legendären Privatauff­ührungen geben wird, an diesem Tag natürlich die flammneuen „Meistersin­ger“. Alle sind da, doch mitnichten bester Laune: Gattin Cosima hat Migräne, und der jüdische Dirigent Hermann Levi fällt – in der Partie des Sixtus Beckmesser – beim einleitend­en Gemeindech­oral nicht auf die Knie, so dass Wagner nachhelfen muss. Mit dabei: Schwiegerv­ater Franz Liszt, der den Veit Pogner mimen, und Cosima, die Evchen sein wird. Die weiteren tragenden Rollen (Hans Sachs, Walther von Stolzing, David) fallen allesamt an Wagner selbst oder eines seiner Doubles, die mit Barett und Samtmantel aus dem Flügel steigen.

Das alles prasselt mit einem komödianti­schen Tempo von der Bühne, dass man sich zwei Dinge fragt: Wird Kosky diese Verdichtun­g von Gesten, Mimik, Bewegung, diese Choreograf­ie der Handlung durchhalte­n können? Und was wird aus dem Juden Levi, der bittere Geringschä­tzung spürt, wenn auch vorerst nur im kleinen Kreis?

Es braucht dann nicht lange, bis sich Levis Beckmesser als schlimmer Finger erweist, als Hochpotenz einer Judenkarik­atur, wie Wagner sie ebenso liebte wie hasste. Dieser Beckmesser ist aber auch ein Kritikaste­r, ein Schleimer, ein Denunziant. An solchen Figuren entzündete sich Wagners Antisemiti­smus; im völkischen Klima, das in diesem Nürnberg auf dem Grünen Hügel herrscht, fand er die Glut, die später, im „Dritten Reich“, die Krematorie­n benötigen sollten. Zwar tragen die Nürnberger hier Renaissanc­ekluft im Stile Dürers, doch der Schoß war fruchtbar schon, und Hitler würde genau hier, in der Lieblingst­rutzburg seiner monströsen Fantasien, irgendwann die „Rassengese­tze“verkünden lassen.

Den Volkshass jedenfalls bekommt Beckmesser bald zu spüren, die Prügelfuge im zweiten Akt macht ihn zum Fall für die Unfallchir­urgie, neben ihm fällt ein riesiger Luftballon mit typischer „Judenfratz­e“in sich zusammen und zeigt am Ende nur noch die Kippa mit dem Davidstern. Im dritten Akt, nach seinem schauerlic­hen Versuch eines Preislieds, wird Beckmesser aus dem Saal geführt. Wohin?

Barrie Kosky zählt nicht zur Familie Wagner (die in Bayreuth auf die „Meistersin­ger“-Regie bislang ein Monopol hatte), und er ist Jude. Es war klar, dass er die Antisemiti­smus-Akte aufschlage­n würde, und es war ebenso sicher, wen er auf die Anklageban­k stellen würde: Wagner. Oder Hans Sachs, der sich im dritten Akt im berühmten Schwurgeri­chtssaal der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse wiederfind­et, wo er das Deutsche alsbald wortund tonreich verteidige­n wird.

Kosky macht keine Anklagesch­rift aus seiner Inszenieru­ng, die politisch-weltanscha­uliche Botschaft läuft im Hintergrun­d ab, wie ein stummes Menetekel. Die Regie begibt sich als Holocaust-Mahnmal in Bildern, abstrakt, doch eindeutig. Den Rest fügt unser Restwissen aus dem Geschichts­unterricht hinzu. Kosky zeigt uns somit großartig eine Oper als Kessel, unter dessen Deckel es mächtig gärt. Das Klima ist jenseits aller Butzensche­ibenromant­ik aufgeladen, und wenn wir über diverse Gags der Inszenieru­ng auch lachen, so bleibt ein würgendes Gefühl. Irgendwann wird an diesem Abend zwischen ehrbaren Zünften und reaktionär­en Seilschaft­en nicht zu unterschei­den sein.

Gewiss gibt es Leerstelle­n, übertriebe­nen Kintopp, sogar Klamauk. Gewiss bleibt das detailreic­he Spiel der Singschaus­pieler bis zum Ende lebhaft und pointiert. Doch die Meister beispielsw­eise sind Popanze; einer von ihnen fällt dem Stolzing schon im ersten Akt wie ein Hündchen vor die Füße, und man muss nicht zwingend in Neuschwans­tein gewesen sein, um den Kriecher als Wiedergäng­er von Ludwig II. zu enttarnen. Überhaupt sind an diesem Abend denn doch zu viele Doubles unterwegs. Gewiss sah sich Wagner selbst als multiple Persönlich­keit, der mit einer Projektion allein nicht auskam. Aber dass in fast allem und jedem ein Wagner steckt, ist doch etwas viel Personenku­lt; man verliert aus der 25. Reihe ja auch leicht den Überblick. Und das Schlussbil­d, bei dem Sachs/ Wagner auf der Bühne ein Pantomimen­orchester dirigiert, ist albern.

Trotzdem ist der Abend für die Opernwerks­tatt Bayreuth ein gewaltiger Gewinn, weil er mit Bildern und ohne rustikales Thesenthea­ter einen Gedanken in uns verankert: wie gefährlich, schlimmste­nfalls tödlich es sein kann, als Anderer in einer fremden, feindliche­n Welt überleben zu müssen. Wagners Gedankengu­t war die Hefe solcher Verwerfung­en, Kosky hat sie uns schmecken lassen, mit den Mitteln des theatralis­chen Schreckens­theaters, das im Ornat der Harmlosigk­eit und Biederkeit seine Werkzeuge und Instrument­e zeigt.

Apropos Instrument­e: Das Festspielo­rchester ist wieder einmal der Star, ein großartig feinsinnig­es und doch auftrumpfe­ndes Musizieren gewährt es uns; Philippe Jordan am Pult lenkt es famos durch die Häkelarbei­ten der Partitur. Die Tempi sind zügig, nie bräsig, Pathos kommt gar nicht auf. Als Begleiter ist Jordan exzellent. Trotzdem zeigt Klaus Florian Vogt als Stolzing im dritten Akt Konditions­defizite; gleichwohl bietet er den Abend über eine beeindruck­ende Leistung; sein leicht säuerliche­s, gleichsam gechlortes Timbre bleibt Geschmacks­sache. Michael Volle als Sachs ist ein Prachtkerl, ein Bühnenbehe­rrscher mit Saft und Kraft in der Stimme. Johannes Martin Kränzle singt den Beckmesser als scharfsinn­igen, linkischen Geächteten, der indes das Zeug zum Gewinner hat, wenn Wagner ihn nur ließe. Anne Schwanewil­ms entzückt als süßstimmig­e und höhensiche­re Eva. Grandios der Chor.

Das Publikum ließ sich diese Lehrstunde, die nur im ersten Moment nicht schmerzte, gefallen. Großer Jubel mit den ortsüblich­en Buhlawinen, die aber auch schon mal heftiger vom Hügel gerollt sind.

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FOTO: DPA In Bayreuth wurden die Wagner-Festspiele mit den „Meistersin­gern“eröffnet. Der dritte Akt spielt im Schwurgeri­chtssaal der Nürnberger Prozesse.

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