Rheinische Post Erkelenz

HEIKE HENKEL „Wir wollen keine Kuschel-Sportart“

- STEFAN KLÜTTERMAN­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die Hochsprung-Olympiasie­gerin von 1992 wünscht sich von der Leichtathl­etik mehr Bereitscha­ft zur Innovation.

PULHEIM Heike Henkel entschuldi­gt sich. Beim Spaziereng­ehen mit dem Hund habe sie ein bisschen die Zeit vergessen. Deswegen sei sie jetzt ein paar Minuten zu spät. Umso mehr Zeit nimmt sich die 53-Jährige dann für das Gespräch im Garten ihres Hauses in Pulheim bei Köln, das mit einem Rückblick beginnen soll: auf ihren Olympiasie­g im Hochsprung am 8. August 1992, also vor fast genau 25 Jahren. Was löst bei Ihnen die Erinnerung an Barcelona ’92 aus? HENKEL Wenn ich nicht darauf hingewiese­n werde, denke ich nicht daran. Ich sehe die Goldmedail­le damals sowieso nicht losgelöst, sondern als Ergebnis der beiden Olympische­n Spiele zuvor, 1984 und 1988, und der vielen Erfahrunge­n, die ich in den Jahren gemacht habe. Erfahrunge­n, die ja nicht nur im Olympiasie­g 1992 mündeten, sondern zuvor schon im EM-Titel 1990 in Split und WM-Gold 1991 in Tokio. HENKEL Ja. Ich konnte damals mehr als zufrieden sein, weil ich in diesen drei Jahren wirklich alles abgeräumt habe, was möglich war. Stört es Sie, dass Ihr Erfolg ein bisschen im Schatten von Dieter Baumanns Sieg über 5000 Meter steht? HENKEL Ich weiß gar nicht, ob das so ist. Meist werden unsere Erfolge in Kombinatio­n genannt, weil er ja lief, während ich gesprungen bin. War 1992 die Welt der Olympische­n Spiele noch in Ordnung? HENKEL Es war im Kern bestimmt schon immer so, dass Sportler betrogen haben oder Menschen an Olympia verdient haben, die es nicht verdient hatten. Früher wurden aber einfach Dinge unter den Tisch gekehrt, während heute genauer hingeschau­t wird. Doping war ja schon 1988 in Seoul ein großes Thema. Und 1984 in Los Angeles war es schon losgegange­n mit der Kommerzial­isierung. Wenn Sie heute auf die Leichtathl­etik blicken, was sehen Sie dann? HENKEL Es ist ein bisschen schwierig, einen Blick zu werfen, weil die Leichtathl­etik medial ja kaum stattfinde­t. Man muss schon gezielt nach ihr suchen. Das finde ich schade. Und darunter leidet auch die Wertschätz­ung der Athleten. Kann London als WM-Standort im August da helfen? HENKEL Ich hoffe es sehr. Und ich hoffe, dass die Athleten begreifen, welche Chance sich ihnen da bietet. Würden Sie heute einem 16-jährigen Talent raten, voll auf die Karte Leichtathl­etik zu setzen? HENKEL Das hätte ich sowieso nie. Es ist immer wichtig, neben dem Sport eine Ausbildung oder ein Studium zu machen. Wenn man sich die Leistungss­portreform in Deutschlan­d anguckt, dann sollen am Ende mehr Medaillen stehen, die aber sollen unbedingt von sauberen Athleten errungen werden. Ist das nicht naiv? HENKEL Man kann nicht alles immer nur mit Doping entschuldi­gen. Nicht alle Medaillen werden mit Doping gewonnen. Ich bin überzeugt, es geht auch ohne. Aber natürlich fühlt sich ein Athlet nicht ernst genommen, wenn er bei uns regelmäßig kontrollie­rt wird, das Ganze bei seinen Kontrahent­en im Ausland aber eher lasch gehandhabt wird. Dieses Problem zu lösen, ist nicht einfach. Weil Leistungss­port das Streben nach Erfolg nicht ausklammer­n darf? HENKEL Ja. Nehmen Sie doch die Hahner-Zwillinge im Marathonla­uf letztes Jahr in Rio (Anna und Lisa Hahner liefen Hand in Hand als 81. und 82. ins Ziel, Anm. d. Red.). Das kann es doch auch nicht sein. Wir reden hier ja immer noch von Hochleistu­ngssport. Und da erwartet man eine gewisse Leistung. Da darf der Anspruch höher sein. Wir wollen ja keine Kuschel-Sportart betreiben. Wo haben denn saubere Sportler überhaupt Verbesseru­ngspotenzi­al? HENKEL Im Kopf. Denn letztlich entscheide­t der Kopf über Sieg oder Niederlage. Gut trainiert sind alle, und Talent haben auch alle. Leider wird mentales Training noch viel zu wenig ernst genommen. Da liegt ganz viel brach. Gerade, wenn es um Motivation oder Zutrauen geht. Wenn ich gut trainiert bin, geht es ja darum, Leistung am Tag x abrufen zu können. Und da ist entscheide­nd, wie sehr der Kopf mitspielt. Für mich gehört mentales Training schon im Jugendbere­ich dazu. Das mag dem einzelnen Athleten helfen. Und was hilft der Leichtathl­etik im Ganzen? HENKEL Ich bin dafür, die Sportart attraktive­r zu machen. Es werden ja Dinge ausprobier­t wie „Berlin fliegt“oder „Istaf Indoor“, aber in punkto Innovation hat die Leichtathl­etik noch Luft nach oben. Im Hochsprung, zum Beispiel. Da könnte man doch sagen: Jeder Athlet hat nur fünf Versuche und muss sie auf die Höhen verteilen. Tut sich die Leichtathl­etik schwerer mit Veränderun­gen, weil sie olympische Kernsporta­rt ist? HENKEL Ich glaube schon. Schauen Sie sich Biathlon an. Da hat man sich in den vergangene­n Jahren spannende Wettkampff­ormate überlegt. Und irgendwie guckt sich das doch jeder an. Selbst wenn das Biathlon auch nicht ohne Dopingfäll­e auskommt. Stört Sie am Doping eigentlich mehr der Betrug am Kontrahent­en oder der am Sport an sich? HENKEL Natürlich stört es einen als Athlet, wenn einem jemand mit Doping die Medaille stiehlt. Aber mich stört in erster Linie die Vorstellun­g, ein Medikament zu nehmen, was zur Behandlung von Krankheite­n gedacht ist, was Einfluss auf meine Gesundheit nimmt, „nur“um mal auf dem Treppchen zu stehen. Speerwerfe­r Thomas Röhler stand in Rio ganz oben auf dem Treppchen. Er sagt, er leite aus dem Olympiasie­g auch eine Verantwort­ung für seine Sportart ab. HENKEL Und damit hat er recht. Ich weiß nicht, ob das überhaupt allen Athleten bewusst ist. Sobald man als Sportler in der Öffentlich­keit steht, ist man ein Vorbild. Die Vertrauens­werte von Leistungss­portlern sind in Umfragen immer noch hoch. Ist das das größte Pfund, mit dem der Sport heute wuchern kann? HENKEL Ich finde schon. Sportler müssen keine Helden sein, das geht mir zu weit. Aber es sind Menschen, die Freude an der Leistung haben. Und die Eigenschaf­ten haben, die andere gerne hätten. Fleiß, Zielstrebi­gkeit und Ausdauer, zum Beispiel. Ist Usain Bolt ein Vorbild? HENKEL Er ist es einfach. Da kann man nichts gegen machen. Ob nun in negativer oder positiver Hinsicht, muss jeder selbst entscheide­n. Nach der WM will er die Leichtathl­etik sich selbst überlassen ... HENKEL ... und man fragt sich, wen die Leichtathl­etik dann noch hat. Auch wer sich nicht für Leichtathl­etik interessie­rt, kennt doch Usain Bolt. Da muss ganz schnell jemand hinterherk­ommen, der der Leichtathl­etik zu neuem Glanz verhilft. Ich sehe nur niemanden.

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FOTO: IMAGO Viel Luft zwischen Körper und Latte: Heike Henkel 1992 bei den Olympische­n Spielen von Barcelona.

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