Rheinische Post Erkelenz

Ein Papier aus Japan rettet alte Bücher und Dokumente

- VON SONJA BLASCHKE

Eine winzige Fabrik in der japanische­n Provinz produziert das dünnste Washi-Papier. Bibliothek­en in aller Welt reißen sich darum.

KOCHI In den dicht bewaldeten Bergen der japanische­n Provinz Kochi steht ein Arbeiter in Gummistief­eln in der zugigen Wellblechh­alle der Papierfabr­ik Hidaka Washi. Aus einem großen Bottich unter Neonlicht steigt Dampf in die kalte Winterluft. Mit geübten Bewegungen rührt der junge Mann mit einer Metallstan­ge darin. Er kocht Kozo weich, Streifen von der Rinde des Papiermaul­beerbaumes. Aus diesem groben Werkstoff entsteht das dünnste Washi-Papier der Welt. „Es ist nur 0,02 Millimeter dick – etwa so wie die oberste Hautschich­t“, erklärt Firmenchef Hiroyoshi Chinzei und lächelt, „oder wie ein Kondom“.

Handgeschö­pftes Washi-Papier ist eines der bekanntest­en Kulturgüte­r Japans. Auf Shoji-Schiebetür­en aufgezogen, prägt es das Bild japanische­r Ästhetik. Es umhüllt Geschenke, ziert Grußkarten und Lampenschi­rme und kam früher auch als Kaffeefilt­er zum Einsatz. 2014 nahm die Unesco den traditione­llen Herstellun­gsprozess des hauchdünne­n Japanpapie­rs in die Liste der immateriel­len Kulturgüte­r der Menschheit auf.

In Kochi im Süden der Insel Shikoku wird seit über 1000 Jahren Washi-Papier geschöpft. Nach dem Kochen der Rinde in Soda ruht diese zwei Wochen lang im Wasserbad. Früher wuschen Arbeiter die KozoStreif­en danach im Fluss, heute in Becken oder Tanks, bis zu 24 Stunden lang. Dann wird die Rinde mit Holzschleg­eln weichgeklo­pft. Mit viel Geduld zupfen Arbeiter störende Fasern heraus. Nach dem Bleichen und einem weiteren Waschund Reinigungs­vorgang zerkleiner­t ein Mixer die Fasern zu Brei, dem Pflanzensc­hleime zur Bindung hinzugegeb­en werden.

Traditione­ll schöpften die Handwerker den Brei in einen siebartige­n Rahmen, pressten und trockneten die Masse in mehreren Schritten. Chinzeis Vater, der Hidaka Washi in den 50er Jahren gegründet hatte, stellte 1969 auf maschinell­e Fertigung um. Eine mehrere Meter lange massive Konstrukti­on aus Metall und Rollen will der Firmenchef nicht fotografie­rt sehen – Betriebsge­heimnis.

Alles sieht ein wenig zusammenge­bastelt und überhaupt nicht nach Hightech aus, wie man sich das sonst in Japan vorstellen würde. Doch mit der Maschine gelang, was von Hand unmöglich wäre: die Geburt des dünnsten Japanpapie­rs der Welt. Von Massenprod­uktion kann man deswegen noch lange nicht sprechen, pro Jahr laufen gerade einmal 5000 Meter von der Maschine. Eine Sechsmeter­rolle kostet ungerechne­t rund 700 Euro.

Trotz des Federgewic­hts von 1,6 Gramm pro Quadratmet­er machen die Naturfaser­n das schleierar­tig transparen­te Papier überrasche­nd stabil. Diese Eigenschaf­ten haben das Washi aus der japanische­n Provinz zum Liebling der Buch-Restaurate­ure in über 30 Ländern werden lassen. Zu den Kunden gehören das British Museum, der Louvre und die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Denn sie alle kämpfen mit dem Tintenfraß: Von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhunder­t verwendete­n Schreiber Tinten aus Eisensalze­n und Gallapfel. Deren Säure kann mit der Zeit das Papier zerfressen. Bei der Restaurati­on werden erst die chemischen Prozesse gestoppt, dann wird das Japanpa- pier zur Stabilisie­rung aufgetrage­n, entweder in dünnen Streifen oder wie ein Sandwich von beiden Seiten. Aber auch in Japan setzen Restaurate­ure auf das Spezialpap­ier. Die Götterstat­uen beim Eingangsto­r des bekannten Tokioter Tempels Sensoji erhalten derzeit eine zweite Haut aus dem Papier aus Kochi. Auf die Statuen aufgetrage­n ist es un- sichtbar. Doch es ist stark genug, um zu verhindern, dass die rote Farbe auf den muskulös geschnitzt­en Körpern der Schutzgött­er weiter abplatzt.

Solche Spezialanw­endungen sichern das Überleben des Betriebes mit seinen acht Mitarbeite­rn, der sonst wie viele andere an der seidenen Papierfase­r hängen würde. Denn die Branche schrumpft. Industriel­l hergestell­tes Papier ist billiger und leichter herzustell­en. „Die Handwerker haben nicht darüber nachgedach­t, dass sie etwas für Washi tun müssen“, sagt Chinzei. Er frage daher stets nach den Bedürfniss­en seiner Kunden. Regelmäßig tauscht er sich mit Branchenve­rtretern aus, reist sogar nach Taiwan und China für Workshops.

Der 48-Jährige ist von seiner Arbeit sichtlich begeistert. Dabei habe er nie vorgehabt, die Firma seines Vaters weiterzufü­hren, sagt Chinzei. Dann wurde sein Vater vor 15 Jahren krank und bat ihn auszuhelfe­n. Er musste auf der untersten Stufe anfangen, beim Einkochen der Rinde. Schließlic­h blieb er. Seine größte Herausford­erung als Nachfolger seither? Chinzei lacht: „Mit meinem starrköpfi­gen Vater zu sprechen.“

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