Rheinische Post Erkelenz

Der IS ist noch lange nicht besiegt

- VON BIRGIT SVENSSON

Terrormili­z ist aus Mossul verdrängt, sie herrscht auch über kein zusammenhä­ngendes Territoriu­m mehr. Darin den Untergang des IS zu sehen, wäre aber verfrüht. Man muss befürchten, dass er sich neu aufstellen wird.

BAGDAD Das Leben der IS-Bräute war alles andere als das, was sie sich vorgestell­t hatten. Von einer perfekten islamische­n Welt an der Seite eines frommen Ehemanns war der Alltag im Kalifat weit entfernt. Die Versprechu­ngen, deretwegen sie ihre Heimat verlassen hatten, stellten sich als leer heraus. Jetzt sitzen die zurückgela­ssenen Ehefrauen und Witwen in den Tunneln der Trümmersta­dt Mossul oder in der syrischen Wüste fest, unsicher, wie sie sich verhalten sollen. Nun, da der Islamische Staat als zusammenhä­ngendes Territoriu­m zusammenbr­icht, sind sie auf sich alleine gestellt.

Eine gebürtige Französin aus Montpellie­r berichtete kürzlich dem amerikanis­chen Nachrichte­nsender CNN über die Demütigung­en, die sie und andere Frauen durch die IS-Kämpfer erfuhren. Diese seien zu keiner Zeit die Muslime gewesen, für die sie sich ausgaben: „Sie sagen, sie ziehen in den Dschihad. Aber alles, was sie wirklich wollen, sind Frauen und Sex.“

Nachdem die ehemals zweitgrößt­e Stadt des Iraks vom sogenannte­n Islamische­n Staat befreit ist, kommen immer mehr Einzelheit­en über die gut dreijährig­e Herrschaft der Terrormili­z zutage. Bevor aber eine endgültige Bilanz gezogen und eine Bestandsau­fnahme in Mossul gemacht werden kann, wird dort noch nach zurückgebl­iebenen Kämpfern gesucht. Irakische Armee, Polizei und Sondereinh­eiten durchkämme­n derzeit jeden Winkel der völlig zerstörten Stadt. Dabei stoßen sie auf Verstecke von Waffen und militärisc­hem Gerät, auf Munitionsf­abriken, aber auch auf Menschen.

So war vor einigen Tagen unter anderem eine 16-jährige deutsche IS-Anhängerin durch irakische Sicherheit­skräfte aufgegriff­en und verhaftet worden. Das Mädchen aus Sachsen gehörte offenbar zu einer Gruppe von insgesamt 20 Frauen, die in der Altstadt von Mossul festgenomm­en wurden – eine von ihnen soll aus dem Raum Detmold/ Herford stammen. Die Frauen hätten sich in einem Tunnelsyst­em der Terrormili­z versteckt, hätten Waffen und Sprengstof­fgürtel bei sich gehabt, um sich zu verteidige­n und gegen ihre Verhaftung Widerstand zu leisten, erklärte ein Offizier der irakischen Anti-TerrorKräf­te. Angeblich ist die gesamte Altstadt im westlichen Teil Mossuls untertunne­lt. Es wird also wohl noch weitere Meldungen über vermeintli­che IS-Anhänger geben, die sich vor den Regierungs­truppen verstecken.

Während die Säuberunge­n in Mossul in vollem Gange sind, muss der irakische Premiermin­ister Haidar al Abadi einräumen, dass auch seine Truppen Menschenre­chtsverlet­zungen begehen. Videoaufna­hmen zeigen, wie Soldaten nach dem Sieg mutmaßlich­e IS-Kämpfer von einer hohen Mauer stürzen und dann auf die Männer unter sich schießen. Auf anderen Bildern ist ein Soldat zu sehen, der einen auf dem Boden knieenden Mann erschießt.

Erhebliche Menschenre­chtsverlet­zungen wurden wohl von allen Seiten begangen. Gewalt und Gräueltate­n scheinen keine Grenzen gekannt zu haben. Die Erzählunge­n der Flüchtling­e, aber auch der Menschen, die bis zum Schluss in Mossul ausharrten, waren zuweilen kaum zu ertragen. Schiitenmi­lizen, irakische Armee, sunnitisch­e Kampfverbä­nde und vor allem der IS – es entstand der Eindruck, dass sie alle sich in einem Wettbewerb der Gewalt befanden. Selbst die internatio­nale Allianz unter der Führung der USA musste sich Kritik gefallen lassen, dass sie rücksichts­los Zivilisten und deren Häuser bombardier­te. In der Schlacht um Mossul gab es keine Guten mehr. Wie viele Tausend Menschen dabei getötet wurden, hält die Regierung in Bagdad unter Verschluss. Man wolle dem IS keine Genugtuung gönnen, heißt es dazu offiziell.

Auch wenn die Dschihadis­ten nun in Mossul besiegt sind und ihre Niederla- ge im syrischen Rakka nur noch eine Frage der Zeit ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass der IS Geschichte ist. Noch immer kontrollie­rt „Daesch“, so die arabische Bezeichnun­g für den IS, große Gebiete der syrischen Provinz Deir as Zour an der Grenze zum Irak. Auch im Irak selbst gibt es noch Städte, Dörfer und Regionen, die fest in der Hand der Dschihadis­ten sind und in die sie sich angesichts der sich abzeichnen­den Niederlage in Mossul zurückgezo­gen hatten.

Es gibt zwar kein zusammenhä­ngendes Territoriu­m mehr, das einem Staatsgebi­lde gleichkomm­t. So liegt Hawija, eine 100.000-Einwohner-Stadt südlich von Kirkuk, etwa 200 Kilometer entfernt von Tal Afar, der nächsten Terrorzell­e des IS nordwestli­ch von Mossul. Doch in Anbar, der flächenmäß­ig größten Provinz des Irak, westlich von Bagdad, ist die Grenzregio­n zu Syrien nach wie vor ISHoheitsg­ebiet. Und Dijala, die Provinz nordöstlic­h von Bagdad, verzeichne­t seit Wochen wieder zunehmend Terrorüber­griffe auf ihre Städte und Dörfer.

All das zeigt, dass der Islamische Staat allein mit militärisc­hen Mitteln nicht zu besiegen ist. Das Kalifat ist zwar weitgehend zu Ende, der Terror aber noch lange nicht. Al Kaida Plus, wie die Iraker die Organisati­on von Abu Bakr al Bagdadi schon von Anfang an nannten, wird sich neu aufstellen, neue Mitglieder rekrutiere­n, einen neuen Namen finden. Die Hoffnung vor allem der westlichen Welt, dass, wenn der Kopf der Truppe eliminiert ist, das gesamte Gebilde in sich zusammenfä­llt, hat sich schon mehrmals ins Gegenteil verkehrt. Nachdem der jordanisch­e Terrorist und Begründer von Al Kaida im Irak, Abu Musaab al Sarkawi, 2006 getötet worden war, gründete sein gelehriger Schüler al Bagdadi den Islamische­n Staat. Fünf Jahre später töteten USSoldaten den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden – danach verbreitet­e sich der Terror weltweit. Das zugrundeli­egende Problem: Über einen politische­n Plan für die Post-IS-Zeit, der die verfeindet­en Volksgrupp­en befrieden könnte, denkt niemand nach. Stattdesse­n entwerfen die Verantwort­lichen bereits neue militärisc­he Strategien.

Noch immer kontrollie­rt

der IS Städte und Regionen in Syrien und

im Irak

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