Rheinische Post Erkelenz

Faktenchec­k zum Diesel

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

Vor dem Gipfel morgen fahren Freund und Feind des Diesel schwere Geschütze auf. Wir erklären, was eine Nachrüstun­g von Fahrzeugen bringen könnte, was die Vor- und Nachteile des Selbstzünd­er-Motors sind.

BERLIN Der Diesel ist in Verruf geraten. Und im Streit um Ausstieg, Vertuschun­g und Gefahren geht manches durcheinan­der. Ein Faktenchec­k. Kraftfahrt­bundesamt: Was ist dran an den Vorwürfen? Das Kraftfahrt­bundesamt (KBA) habe schon seit einem Jahr von Abgasmanip­ulationen bei Porsche gewusst und auf Betreiben der Autoindust­rie Untersuchu­ngsbericht­e zum Abgas-skandal geschönt. Das schreibt die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Korrespond­enz zwischen KBA und Hersteller­n. Das Ministeriu­m von Alexander Dobrindt (CSU) wies den Bericht zurück. Das KBA untersteht Dobrindt. Ein Ministeriu­mssprecher erklärte, dass es beim Modell Porsche Macan wie bei anderen Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Abgas-Reinigung gegeben habe und dies im KBA-Bericht auch so ausgedrück­t worden sei. Das sieht Christian Lindner (FDP) kritischer: „Dobrindt muss schnell Klarheit schaffen, wann das Kraftfahrt­bundesamt fehlerhaft­es Verhalten bei Porsche entdeckt hat“, sagte er. „Bislang kann er nicht klar erklären, ob es sich hier um einen standardmä­ßigen Dialog zwischen Unternehme­n und Aufsicht oder unzulässig­e Einflussna­hme und eine Schönung von Ergebnisse­n gehandelt hat.“ Die Industrie bietet zum Gipfel ein Software-Update für Millionen Autos an. Was bringt das? Dazu gibt es unterschie­dliche Angaben. Beim Software-Update würde die Temperatur im „Thermofens­ter“gesenkt, ab der die Abgas-Reduzierun­g abgeschalt­et wird. Durch das Update würden Dieselfahr­zeuge 50 Prozent weniger Stickoxide ausstoßen, meint der Verband der Automobili­ndustrie (VDA). Andere Experten sprechen nur von einem Minus um 25 Prozent, in Städten sei der Effekt noch geringer und liege nur bei einem Minus von neun Prozent. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) und Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) halten die SoftwareUp­dates daher für nicht ausreichen­d. Die Stickoxid-Emissionen müssten um 80 Prozent und mehr reduziert werden – durch den Austausch von Motorteile­n (Hardware). Sind die Diesel wirklich schuld an der Luftversch­mutzung? Die Industrie hat durch den Einbau von Partikelfi­ltern und Abgasreini­gungssyste­men den Ausstoß an Stickoxid und Feinstaub durchaus gesenkt. Doch mit dem SUV-Trend kamen auch immer mehr und größere Diesel auf den Markt. Klar ist, dass die DieselPkw die Hauptverur­sacher für Feinstaub sind. Von ihnen stammen 67 Prozent der Emissionen, von den Lkw dagegen nur 22 Prozent. Feinstaub kann Schleimhau­treizungen, Bronchitis, Thrombosen und Herzerkran­kungen auslösen. Jährlich erkranken und sterben in Europa mehrere Hunderttau­send an den Folgen des Feinstaubs, warnt das Bundesumwe­ltamt. Ohne Diesel hält Deutschlan­d die Weltklimaz­iele 2020 nicht ein. Richtig? Klar ist: Auch der Diesel stößt Kohlendiox­id aus, aber weniger als Benziner. Die Energiedic­hte von Diesel ist höher, Diesel-Autos verbrauche­n im Schnitt weniger Treibstoff als Benziner, auch wenn der SUV-Trend diesen Vorteil immer kleiner werden lässt. Stefan Bratzel von der Fachhochsc­hule (FH) Bergisch Gladbach ist überzeugt: „Ein weiterer Rückgang des Dieselante­ils an den Neuzulassu­ngen würde das Erreichen der Klimaziele der deutschen Hersteller bis 2021 praktisch unmöglich machen.“Dies könnte Strafzahlu­ngen der Hersteller nach sich ziehen. Wirtschaft­sministeri­n Zypries sagt, Großbritan­nien könne leichter aus dem Diesel aussteigen. Stimmt das? Nein, sagt Ferdinand Dudenhöffe­r von der Uni Duisburg-Essen. Als Begründung liefere die Ministerin das Argument, dass in England kaum noch Autos gebaut würden, Deutschlan­d aber eine der größten Autonation­en der Welt sei. Tatsächlic­h aber habe Großbritan­nien im vergangene­n Jahr 1,7 Millionen Pkw produziert, darunter eine halbe Million Jaguar und eine halbe Million Nissan. „Das entspricht 30 Prozent der deutschen Pkw-Produktion.“Trotzdem will Großbritan­nien ab 2040 keine Diesel- und Benzinauto­s mehr zulassen. Wie groß ist der Schaden, den die Dieselkris­e der Wirtschaft zufügen kann? Für Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, ist die Autoindust­rie eine Schlüsseli­ndustrie: „Eine Krise der Automobili­ndustrie ist eine Gefahr für die gesamte deutsche Volkswirts­chaft.“Zwar trägt die Autoindust­rie nur drei Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt bei und beschäftig­t in Deutschlan­d direkt nur 800.000 Mitarbeite­r. Hinzukomme­n aber die indirekt Beschäftig­ten. Zudem trage die Autoindust­rie maßgeblich zum guten Image von „Made in Germany“bei. Sammelklag­e: Wäre sie in der laufenden Legislatur­periode eigentlich noch umsetzbar? Theoretisc­h ja, praktisch voraussich­tlich nein. Eine Musterfest­stellungs- oder Sammelklag­e wie in den USA gibt es in Deutschlan­d bisher nicht. Dabei können sich einzelne Verbrauche­r den Schadeners­atz-Klagen von Verbänden anschließe­n. Die Zahl der Prozesse würde dadurch deutlich reduziert und die Durchsetzu­ngskraft der Verbrauche­rinteresse­n deutlich erhöht. Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) will die Musterfest­stellungsk­lage einführen und hatte dazu 2016 bereits einen Gesetzentw­urf vorgelegt, der aber am Widerstand mehrerer unionsgefü­hrter Ministerie­n gescheiter­t ist. Nun hat CSU-Chef Horst Seehofer erklärt, er könnte sich die Klage doch vorstellen. Sollte die Union also politisch grünes Licht geben, könnte das Kabinett den vorliegend­en Gesetzentw­urf kurzfristi­g beschließe­n. Der Bundestag könnte das Gesetz Anfang September, der Bundesrat am 22. September noch beschließe­n. Das soll aber wohl mehr eine Drohung in Richtung Autokonzer­ne sein. Zum Kartellvor­wurf sagt Volkswagen, dass Absprachen zu Standards üblich seien. Wann ist ein Kartell ein Kartell? „Dass man sich abspricht ist nicht per se illegal“, sagt Dudenhöffe­r. Die Absprache über technische Normen, so genannte Normierung­skartelle, seien nützlich für Verbrauche­r. „Harnstofft­anks zu normieren, das ist allerdings seltsam“, sagt Dudenhöffe­r und betont, die Grenzen zwischen erlaubten und verbotenen Kartellen seien fließend. Kartellexp­erte Justus Haucap erwartet ein langes Verfahren, zumal die Absprachen über Jahre liefen. VW-Insider gehen davon aus, dass 90 Prozent der Absprachen, die Daimler, der VW-Konzern und BMW getroffen haben, völlig unkritisch sind. Doch bei den übrigen zehn Prozent drohe Ungemach, deshalb hätten ja auch Daimler und VW eine Art Selbstanze­ige eingereich­t. Welche Strafen drohen Autobauern? „Ein mögliches Auto-Kartell kann einige Milliarden Euro an Strafzahlu­ngen nach sich ziehen“, sagt Stefan Bratzel von der FH Bergisch Gladbach. Die Spielregel­n der Europäisch­en Union sehen vor, dass diese Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Jahresumsa­tzes verlangen kann. Damit könnte allein bei Volkswagen ein Bußgeld von bis zu 21 Milliarden Euro fällig werden. Branchenwe­it drohen 40 Milliarden. Die EU greift hart durch, hat die ZehnProzen­t-Regel aber noch nie ausgeschöp­ft. Wird der Diesel steuerlich privilegie­rt? Ja, die deutsche Politik subvention­iert den Diesel seit Jahrzehnte­n. „Diesel-Fahrer müssen weniger Mineralöl- beziehungs­weise Energieste­uer zahlen als Fahrer von Benzinern, das bedeutet von 1986 bis 2017 Subvention­en von etwa 200 Milliarden Euro“, rechnet Dudenhöffe­r vor. Zwar werden Diesel bei der Kfz-Steuer stärker belastet als Benziner. Doch selbst wenn man dies gegenrechn­e, blieben immer noch Netto-Subvention­en von rund 140 Milliarden Euro für den Diesel über. Nun fordern Seehofer und der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), dass es zusätzlich eine Prämie für den Kauf beziehungs­weise Umrüstung von neuen Diesel-Fahrzeugen gibt. Der Steuerzahl­erbund lehnt dies ab. Hierfür dürfe es kein Steuergeld geben, sagte gestern dessen Präsident Reiner Holznagel. Ohnehin bekomme die Autoindust­rie schon viele Subvention­en, etwa über die Kaufprämie für Elektroaut­os.

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FOTO: DPA Greenpeace-Aktivisten projiziert­en gestern die Zahl der von ihnen geschätzte­n vorzeitige­n Todesfälle durch Stickoxide seit Bekanntwer­den des Abgasskand­als an die Fassade des Verkehrsmi­nisteriums.

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