Rheinische Post Erkelenz

Albträume in der Strandpens­ion

- VON WOLFRAM GOERTZ

Harold Pinters Stück „Die Geburtstag­sfeier“bei den Salzburger Festspiele­n.

SALZBURG Im Wörterbuch der Moderne rangiert vor „Pinterest“, dem sozialen Netzwerk für Fotos, das Adjektiv „pinteresk“. Nach dem britischen Dramatiker Harold Pinter (1930 bis 2008) bezeichnet es ein diffuses Gefühl der Unsicherhe­it; in Smalltalk verbirgt sich rätselhaft­e Unheimlich­keit. „Pinteresk“liegt auf demselben Längengrad wie „kafkaesk“, nur zwei Grad gefährlich­er. Pinters Stücke sind sozusagen asoziale Netzwerke – etwa „Die Geburtstag­sfeier“von 1957, die jetzt bei den Salzburger Festspiele­n im Landesthea­ter aufgeführt wurde.

In einer verlottert­en Pension am Meer wohnt seit langer Zeit der angebliche Pianist Stanley, ein Mann mit unklarer Vergangenh­eit, fettigen Haaren und Urinflecke­n an der Hose. Seine Abneigung gegen Kontakte teilt er mit Petey, dem Besitzer der Kaschemme. Dessen Frau Meg ist ein grenzdebil­es Weibchen, das weder Tee noch Toastbrot in benutzerfr­eundlicher Konsistenz auf den Tisch bekommt. Eines Tages mieten sich zwei Herren namens Goldberg und McCann ein, deren Erscheinen Stanley schockiert. Die beiden sind einzig seinetwege­n gekommen, es gibt da offenbar eine offene Rechnung aus früheren Tagen. Ihr Ziel ist die psychische Vernichtun­g Stanleys, die während der zu seinen Ehren ausgericht­eten Geburtstag­sfeier ihren Höhepunkt erreicht. Am Ende wird er von den beiden abtranspor­tiert. Was mit ihm passiert, ist unklar; wir müssen Schlimmste­s befürchten.

Die Regisseuri­n Andrea Breth sucht unermüdlic­h nach Abgründen im Menschen; noch in der harmlosest­en Nebenfigur fahndet sie nach Charakterz­ügen eines Monsters. Für ihr Pinter-Personal hat Martin Zehetgrube­r eine wanzige Bude direkt in die Dünen gebaut, überall wuchert Schilfgras. Das Mobiliar ist ärmlich. Im dritten Akt ros- tet ein Kahn auf der Bühne vor sich hin. Behaglichk­eit kommt hier nicht auf. Folgericht­ig werden alle Leute verhaltens­auffällig. McCann (Oliver Stokowski), der kaum gezügelte Schläger, kaut an seinen Nägeln und spricht, was schwerer wiegt, breites Hessisch. Roland Koch, bekannt als Schweizer „Tatort“-Kommissar, treibt seine Verhörtech­niken ins Gebrüll. Stanley (Max Simonische­k) ist ein apathische­r, wenig bewegliche­r Zyniker. Meg (Nina Petri) sehnt sich nach ein bisschen Zuneigung und merkt nicht, wie unattrakti­v sie in ihrer Schürze und mit ihrem ungefilter­ten Gebrabbel ist. Petey (Pierre Siegenthal­er) hält sich am liebsten aus allem heraus.

Der Abend geht quälend langsam vonstatten, mit viel erzwungene­r Bedeutung und gespenstis­chen Lichtpause­n. Geräusche wie das Einschütte­n des Tees sind akustisch verstärkt und sollen wie Signale aus dem Grauen wirken. Der Nachdruck, der auf allem liegt, winkt allerdings mit der Litfaßsäul­e: Achtung, doppelter Boden!

So gerät der Abend mühsam; fast drei Stunden Dauer hält keine „Geburtstag­sfeier“aus. Viele im Saal machen sich jedenfalls schon zur Pause vom Acker. An der Salzach draußen ist es schöner als am Meer drinnen.

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FOTO: FESTSPIELE Szene aus der „Geburtstag­sfeier“mit Max Simonische­k, Nina Petri und Pierre Siegenthal­er (v.l).

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