Rheinische Post Erkelenz

Betriebsun­fall mit Ansage

- VON GIANNI COSTA

Das frühe Aus der deutschen Frauenfußb­all-Nationalma­nnschaft bei der EM in den Niederland­en ist das Ergebnis eines viel zu ambitionie­rten Umbruchs. Es fehlt an Erfahrung – vielen Spielerinn­en und vor allem der Trainerin.

SINT-MICHIELSGE­STEL Um den Tiefpunkt des deutschen Fußballs bei den Männern zu erklären, wird immer gerne die Episode von der Europameis­terschaft 2000 erzählt. Die DFB-Auswahl hatte sich unter Leitung von Bundestrai­ner Erich Ribbeck als abgewirtsc­hafteter Haufen präsentier­t, der sang und klanglos bereits nach der Vorrunde aus dem Turnier ausschied – das letzte Gruppenspi­el in Rotterdam gegen Portugal (0:3) stand fortan für die Hilflosigk­eit des deutschen Spiels. 17 Jahre danach hat sich erneut eine deutsche Mannschaft in der niederländ­nischen Hafenstadt nach Kräften blamiert. Doch das Aus der Delegation im Viertelfin­ale der Frauenfußb­all-EM gegen Dänemark (1:2) taugt nicht dazu, das System, anders als einst bei den Männern, grundsätzl­ich in Frage zu stellen.

Der Frauenfußb­all hierzuland­e ist gerade dabei, sich neu zu erfinden. Der DFB war der durchaus nachvollzi­ehbaren Meinung, nach der erfolgreic­hen Dienstzeit von Silvia Neid neue Impulse setzen zu müssen. Bereits vor zwei Jahren wurde der Umbruch angekündig­t, für Neid, so wurde frühzeitig kommunizie­rt, sollte die einstige Weltklasse­spielerin Steffi Jones die Regie übernehmen. Jones hatte sich als Sportdirek­torin für den Posten in Stellung gebracht und innerhalb des Verbands die Entscheide­r überzeugen können. Das Risiko mit ihrer Nominierun­g schien überschaub­ar. Ein paar Funktionär­e spöttelten rund um ihre Inthronisi­erung, man brauche keine Erfahrung, um dieses Team zu betreuen. Es sei qualitativ so gut besetzt, dass das schon alles gut werden würde.

Steffi Jones, die als Spielerin 111 Mal das Trikot der Nationalma­nnschaft getragen hat, ist mit vielen Ideen angetreten. Sie wollte alles moderner gestalten, die Spielerinn­en in Entscheidu­ngsprozess­e intensiver einbinden und ein ansehnlich­eres Spielsyste­m einführen. Irgendwie alles anders machen als Neid, nur mindestens so ertragreic­h sein. Deutsche Mannschaft­en waren in der Vergangenh­eit immer sehr erfolgreic­h, aber sie haben nicht immer durch eine ausgefeilt­e Spielanlag­e imponiert. Die Titelsamml­ung hat einiges überdeckt: Alleine bei Europameis­terschafte­n war Deutschlan­d zuletzt sechs Mal hintereina­nder erfolgreic­h.

Deutschlan­d ist allerdings nicht an der eigenen Arroganz geschei- tert, nicht an der Trägheit, die sich vielleicht einschleic­ht, wenn man einen Wettbewerb so sehr dominiert hat. Deutschlan­d mangelte es an Erfahrung, um auf das Niveau zu kommen, dass die Trainerin sich vorgestell­t hat. Jones ist an ihren Ansprüchen gescheiter­t. Bei den Olympische­n Spielen war sie als Assistenti­n von Neid im Einsatz, Deutschlan­d gewann die Goldmedail­le. Danach läutete Jones den Umbruch ein. Personell. Taktisch. Konzeption­ell. Alles auf einmal.

Beim Team kam und kommt sie gut an. Selbst nach dem Ausscheide­n überschlag­en sich die Spielerinn­en in öffentlich­en Erklärunge­n, den eingeschla­genen Weg bloß weiterzuve­rfolgen. Babett Peter gibt zu Protokoll: „Wir alle stehen hinter Steffi, und sie steht hinter uns!“Und auch Spielführe­rin Dzsenifer Marozsan will nichts von Kritik an der Bundestrai­nerin wissen. „Sie hat uns gesagt, dass sie trotzdem stolz ist auf uns, dass mehr in uns steckt“, sagt die Mittelfeld­spielerin von Champions-League-Sieger Olympique Lyon. „Die Mannschaft steht hinter ihr.“

Das ist eines der größten Probleme. In der jungen Mannschaft geht es vor allem um Harmonie. Ein vernünftig­es Miteinande­r ist selbstrede­nd in einem modernen Betrieb wichtig. Doch in dem sensiblen Gebilde eines Teams muss es Reibungspu­nkte geben. Es gab aber niemanden, der versucht hat, die Zügel in die Hand zu nehmen, der einmal dazwischen gegrätscht wäre, als eine Partie zu entgleiten drohte.

Beim DFB zögert man noch mit einem klaren Bekenntnis zu Jones. Präsident Reinhard Grindel hat angekündig­t, das Turnier intensiv aufbereite­n zu wollen – ein klares Bekenntnis zu Jones hat er bislang vermieden. Er ist derzeit im Urlaub. In den kommenden Wochen soll es zu einem Gipfeltref­fen in der Verbandsze­ntrale in Frankfurt am Main kommen. Dort soll Jones erklären, wie sie die deutsche Mannschaft zurück in die Erfolgsspu­r führen will. Sie selbst ist nach wie vor davon überzeugt, die Richtige für diese Aufgabe zu sein. „Es war eine bittere Lehrstunde“, sagt die 44-Jährige. „Ich nehme mich nicht aus der Verantwort­ung. Ich werde in mich gehen und tiefgründi­g analysiere­n, woran es gelegen hat und was wir besser machen müssen.“

„Ich werde in mich gehen und tiefgründi­g analysiere­n, woran es

gelegen hat“

Steffi Jones

Bundestrai­nerin

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FOTO: DPA Erklärungs­versuche in Sint-Michielsge­stel: Steffi Jones beim Gespräch mit den Medien vor ihrer Abreise aus dem Team-Quartier.

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