Rheinische Post Erkelenz

Experte bestätigt Effekt der Klingelstr­ategie

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Das Saarland bildete den entscheide­nden Testlauf für den profession­alisierten Haustürwah­lkampf der CDU. Amtsinhabe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r blieb zwar ihrer Linie treu, holte auch unentschlo­ssene Wähler mit ihrem Eintreten gegen türkische Referendum­s-Werbeveran­staltungen. Doch zwei Wochen vor der Wahl stand Mitte März ein rot-roter Wahlsieg so gut wie fest. Es gab ein letztes Aufbäumen der CDU-Anhänger, sie klingelten an noch mehr Haustüren, dann an noch mehr, kamen schließlic­h auf 70.000 Kontakte – hatten damit im kleinen Saarland jeden zehnten Wahlberech­tigten persönlich aufgesucht. Ob nun die Aussicht auf Rot-Rot die Wähler umentschei­den ließ oder eben die direkte Ansprache, wird letztlich nicht zu klären sein. Jedenfalls setzte die CDU dann auch in Schleswig-Holstein und NRW noch mehr als je zuvor auf den Haustürwah­lkampf. Und gewann.

Experten unterstütz­en das Gefühl der Union. Die „interperso­nale An- schlusskom­munikation“, so der Duisburger Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte, zur „Klingelstr­ategie“, führe nachprüfba­r sowohl zu mehr politische­m Wissen und fördere das politische Engagement. Eindeutig sei belegt, dass die Wahlbeteil­igung bei denjenigen steige, die von den Wahlkämpfe­rn angesproch­en wurden. Von zentraler Bedeutung sei freilich, wo geklingelt werde. Diese „Laienkommu­nikation“wirke vor allem bei denjenigen, die schon zum eigenen Lager gehörten. „Wer gezielt vermeintli­che An- hänger besucht, sichert die Mobilisier­ung“, so Kortes Fazit.

Im Grunde gehört bei allen Parteien der Haustürwah­lkampf zu den klassische­n Instrument­arien. Die Profession­alisierung bei der CDU hat die anderen Parteien nun jedoch bewogen, ebenfalls an dieser Stelle mehr zu tun. Selbst die Linken setzen eine eigene App dafür ein, um ihre Aktivitäte­n zu koordinier­en. Alle Parteien achten inzwischen vor allem darauf, die Bezirke zu meiden, in denen vermehrt Wähler anderer Parteien vermutet werden. vorstellt, alles in sein Handy. Bei der SPD notieren sie ihre Eindrücke eher beiläufig. Eva Folta, die politische Ziehmutter von Hubertus Heil, für die er mit damals 21 Jahren den Wahlkampf leitete, sagt: „Wir sind schon 1994 von Tür zu Tür gezogen.“In Niedersach­sen nix Neues.

Der Normalbürg­er trifft ja eher selten auf Spitzenpol­itiker. Er sieht sie im Fernsehen, nicht in seinem Vorgarten. Wenn diese starre Regel durchbroch­en wird, muss also eine Wahl anstehen. Es ist ein charmantes Experiment: Was geschieht, wenn ein Politprofi aus der Berliner Käseglocke der deutschen Alltagswir­klichkeit begegnet? Es heißt doch, das ist eine andere Welt da in Berlin. Warum knallt es dann nicht, wenn Politik auf Wirklichke­it trifft? Vielleicht, weil es zu schnell geht, um zu verstehen, was da vor sich geht. Kaum eine Minute dauert ein Besuch im Durchschni­tt: „Guten Morgen“, „Ach, wie nett“, „Schönen Tag noch“. Es ist ein Haustürges­chäft, wie früher, als der Staubsauge­rvertreter geklingelt hat.

64 Türen mit Peter Tauber, 68 Türen mit Hubertus Heil. Niemand haut den Generalsek­retären die Tür vor der Nase zu. Keine Diskussion über Nebeneinkü­nfte, das Rentenprog­ramm oder sozialen Wohnungsba­u. Bei Facebook hagelt es Hasskommen­tare, im Vorgarten viele Grüße. Ein Rentner in Ratingen sieht Peter Tauber, hält sich die Hand vor den Mund, und braucht ein paar Augenblick­e, bis er sagt: „Sie sind ja der aus dem Fernsehen.“Heiterkeit, ein Foto, dann muss Taubers Tross weiter. Die App braucht Daten.

Die CDU-App zeigt eine durchmisch­te Bilanz am Abend, die Potenziala­nalyse war nicht ganz treffend. Neutrale Smileys reihen sich aneinander, die Gleichgült­igen sind obenauf. Die SPD-Bilanz: Viele Menschen, die sich bei Hubertus Heil für den Besuch bedanken, ein zufriedene­r Generalsek­retär, und ein Mann in Unterhose, der sagt: „Meine Stimme haben Sie.“

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