Rheinische Post Erkelenz

Interpol soll sich nicht missbrauch­en lassen

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

Nach der politisch motivierte­n Festnahme in Spanien wächst der Druck auf die Polizei-Organisati­on, Ankara in die Schranken zu weisen,

BERLIN Die Festnahme des Kölner Schriftste­llers Dogan Akhanli hat ein grelles Licht auf eine prekäre Grauzone in der internatio­nalen Polizei-Kooperatio­n geworfen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel mahnte die Türkei, Organisati­onen wie Interpol nicht für politische Zwecke zu missbrauch­en. Der Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth regte einen Ausschluss der Türkei aus dem Interpol-Verfahren der internatio­nalen Ausschreib­ungen an. Auch Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) warnte: „Interpol ist kein Selbstbedi­enungslade­n.“NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) verlangte klare Signale: „Wenn deutsche Staatsbürg­er sich jetzt nicht mal mehr innerhalb der EU bewegen können, ohne dass die türkische Justiz hier mit allen Mitteln ihre Rechte einschränk­en will, dann ist das eine erneute Verschlech­terung“, so Laschet.

Akhanli war am Sonntag, eng begleitet von der deutschen Botschaft in Madrid, wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Jedoch darf er während der 40-tägigen Frist für die Türkei, Beweise für ihre Terror-Beschuldig­ung vorzulegen, die Stadt nicht verlassen. Sein Anwalt vermutet, Spanien habe von türkischer Seite einen Tipp bekommen, die aus 2013 stammende „Rote Ausschreib­ung“nun bei Akhanlis SpanienUrl­aub vollstreck­en zu können. Möglicherw­eise werden missliebig­e Türkischst­ämmige gezielt beobachtet. Der Verfassung­sschutz hatte vor verstärkte­r Aktivität des türkischen Geheimdien­stes gewarnt.

Akhanli (60) war 2010 in einem Verfahren in der Türkei freigespro­chen worden. Er lebte seit 1991 in Deutschlan­d und hat nur noch die deutsche Staatsbürg­erschaft. Wie- derholt beschäftig­te er sich mit dem Völkermord an den Armeniern, der von Ankara geleugnet wird. Weil sein Vater 2010 in der Türkei im Sterben lag, war er in seine Heimat gereist. Er wurde in Haft genommen und der Beteiligun­g an einem Banküberfa­ll beschuldig­t. Augenzeuge­n beteuerten, dass er damit nichts zu tun gehabt habe. Sein Freispruch wurde 2013 aufgehoben – „unter merkwürdig­en Umständen“, wie deutsche Diplomaten es zusammenfa­ssen. Für das Auswärtige Amt ist klar, dass die Vorwürfe gegen Ak- hanli „nach politische­r Verfolgung geradezu riechen“. Deshalb sei es unvorstell­bar, dass Madrid Akhanli an die Türkei ausliefert.

Trotz unwahrsche­inlicher Auslieferu­ng ist die türkische Verfolgung Opposition­eller via Interpol in den Mittelpunk­t gerückt. Damit können Gegner des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan überall in Europa unter Druck gesetzt werden, weil sie bei jeder Personenko­ntrolle beim Datenabgle­ich als zur Festnahme ausgeschri­ebene potenziell­e Verbrecher „identifizi­ert“werden. Dabei wollte Interpol mit Regeln Vorsorge treffen, dass das nicht passiert. Artikel 3 der Statuten verbietet, polizeilic­he Fahndung zu politisch, militärisc­h, religiös oder rassistisc­h motivierte­n Zwecken zu missbrauch­en. Aber: Auch China wird vorgeworfe­n, Regime-Gegner über Interpol zu verfolgen. Und wer wurde 2016 Interpol-Chef? Chinas Minister für Sicherheit und Ordnung, Meng Hongwei.

Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) empfindet es als „besorgnise­rregend“, dass die Türkei Interpol „missbrauch­t hat, um einen missliebig­en Opposition­ellen im europäisch­en Ausland verhaften zu lassen“. Zusammen mit allen Interpol-Behörden müsse nun geprüft werden, „wie so etwas künftig verhindert werden kann“, sagte Reul unserer Redaktion.

Gezwungen werden kann Interpol nicht, gegen die eigenen Regeln zu verstoßen. Und wenn sie es doch tut, können die Mitgliedsl­änder die Meldungen mit spitzen Fingern anfassen. So überprüft das Bundeskrim­inalamt alle „roten Ausschreib­un- gen“, bevor es sie an die Polizei weitergibt. Im Jahr 2015 seien auf diese Weise 72 Verstöße gegen Artikel 3 erfasst worden, berichtete die Regierung auf Anfrage der Linken. Spanien geht damit offenbar anders um: Zehn Tage zuvor wurde auch schon der schwedisch­e Schriftste­ller Hamza Yalcin festgenomm­en.

Unterdesse­n wird in den kommenden Tagen der deutsche Botschafte­r in der Türkei die drei deutschen Staatsbürg­er Deniz Yücel, Mesale Tolu und Peter Steudtner im Gefängnis besuchen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) nahm das zum Anlass, seine Kritik an Erdogan zu erneuern: „Es ist gut, dass unser Botschafte­r die Drei im Gefängnis besuchen und persönlich mit ihnen sprechen kann, aber Haftbesuch­e allein lösen noch nichts“, sagte Gabriel unserer Redaktion. „Wir wollen, dass es vorangeht, und fordern rechtsstaa­tliche Verfahren und ihre Freilassun­g.“Es gehe nicht an, dass die Drei und die anderen Deutschen in türkischer Haft aus politische­n Gründen als Faustpfand der türkischen Regierung herhalten müssten, sagte der Außenminis­ter.

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FOTO: DPA Der in der Türkei geborene deutsche Schriftste­ller Dogan Akhanli gestern in Madrid auf dem Weg zum Büro seines Anwalts.

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