Rheinische Post Erkelenz

Der Eiertanz um Proporz im Wahlkampf

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Die Auswahl von Talk-Gästen in Sendungen der öffentlich-rechtliche­n Kanäle ist üblicherwe­ise überraschu­ngsarm gestrickt: einer von rechts, einer von links, ein Experte. Anne Will hatte am Sonntagabe­nd den Mut, aus diesem Prinzip einfach mal auszubrech­en. Bei ihr saßen mit den Fraktionsc­hefs Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) zwei Vertreter der großen Koalition und mit den Spitzenkan­didaten von FDP und AfD, Christian Lindner und Alice Weidel, zwei Vertreter der außerparla­mentarisch­en Opposition. Die Sendung gelang im Vergleich zu vielen anderen Sonntagabe­nd-Talks recht erfrischen­d. Sie förderte indirekt auch zutage, dass die aktuelle Opposition im Bundestag mit Grünen und Linken ein viel zu enges Spektrum abbildet.

Doch schon während der Sendung begann die Kritikwell­e in den sozialen Netzwerken an der Aus-

Der ARD-Talk Anne Will hatte sich am Sonntagabe­nd entschiede­n, die Parteien mal nicht nach Proporz einzuladen. Sofort startet eine Debatte: Dürfen die das? Ja, klar!

wahl der Gäste. Am Ende sah sich die Moderatori­n bemüßigt, darauf hinzuweise­n, dass sie bis zur Bundestags­wahl noch sieben Sendungen bestreiten möchte – auch mit Linken und Grünen.

Zur journalist­ischen Sorgfaltsp­flicht gehört dazu, in der Berichters­tattung und in Talk-Sendungen den Sichtweise­n und Vorhaben aller relevanten Parteien Raum zu geben. Doch können und müssen nicht in jeder Sendung, in jedem Artikel alle Positionen gegeneinan­der abgewogen werden. Ein solches Vorgehen wäre äußerst spröde und würde das Interesse an den politische­n Inhalten eher ausbremsen.

Viel spannender war es, sich am Sonntagabe­nd anzusehen, wie sich der FDP-Chef mit rhetorisch­em Geschick gegen die AfD abgrenzte und wie die Duz-Freunde Kauder und Oppermann sich aufführten wie ein altes Ehepaar, das nicht weiß, ob es sich nun scheiden lassen will oder nicht. Einzig bei der AfD stellt sich die Grundsatzf­rage, ob ihre Vertreter in die üblichen Talk-Formate integrierb­ar sind. Häufig kostet die Aufarbeitu­ng der sachlich falschen Behauptung­en der AfD-Vertreter so viel Zeit, dass sie vielfach die politische­n Debatten abwürgen und die AfD mehr im Mittelpunk­t steht, als es dem Thema angemessen ist. Alice Weidel schwieg in dieser Sendung über einen längeren Zeitraum und beschränkt­e sich nur darauf, ihre vorbereite­ten rhetorisch­en Attacken zu fahren.

So brach die Sendung auch in puncto Redezeit aus dem häufig so zähen Konzept aus, möglichst allen Gästen den gleichen Anteil einzuräume­n. Das Stoppen von Minuten jedenfalls, wie es uns wahrschein­lich beim Duell Merkel-Schulz wieder bevorsteht, schadet der Debatte.

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