Rheinische Post Erkelenz

120 JAHRE HEIMATVERE­IN WASSENBERG (TEIL III) Der bodenständ­ige „Luftkurort“

- VON WILLI SPICHARTZ

Die Aachener Reiseautor­in Thea Krone schildert 1927 „das herrliche Panorama“beim Blick aus Ophoven in Richtung Wassenberg. Da bestand der Heimatvere­in 30 Jahre. Der Abstieg begann 1938 mit dem Bau des Westwalls.

WASSENBERG „Wir haben jetzt Ophoven hinter uns und steuern auf Wassenberg zu. Das herrliche Panorama aber, das sich nun vor unseren Augen entfaltet, zwingt uns unwillkürl­ich den Wagen anzuhalten, um diesen selten schönen Anblick nur für Augenblick­e zu genießen.“Hatte der Verschöner­ungsverein Wassenberg schon ganze Arbeit geleistet, als diese enthusiasm­ierten Zeilen 1927 in der Zeitschrif­t „Heimat und Welt“, einer Tageszeitu­ngsbeilage, erschienen? 30 Jahre existierte der Verein, der heute 120 Jahre seiner Existenz feiern kann und damit die älteste Gemeinscha­ft dieser Art im Kreisgebie­t ist.

„Die dunkelgrün­e Waldhöhe, zu ihren Füßen das malerische Städtchen Wassenberg, alles hat seine Reize“, setzt die Aachener Autorin Thea Krone ihre Reise mit dem Auto und ihre Reisebesch­reibung fort. Doch dann der Schreck für den naturalist­isch-romantisch-heimatbewu­ssten Leser: „Im allgemeine­n nennt man das Städtchen ‚Kurort‘, wenigstens las ich es schon in größeren Zeitungen. Ob dieses aber der rechte Ausdruck ist, will mir nicht einleuchte­n. Wo sind denn die luxuriösen Kurhotels, wo sind die Kurpromena­den mit ihren stetigen Konzerten? Ich finde sie nicht. Ich finde auch keine Vergnügung­sparks mit Springbrun­nen und Fontänen. Wo sind ferner die großen Hotelterra­ssen mit ihren ewigen Diners, Soupers und Fünf-Uhr-Tees?“Doch dann mental-verbale Entspannun­g: „Nein, diesen formellen Unsinn finde ich nicht!“Und die Autorin taucht wie fast drei Jahrzehnte zuvor Wilhelm Weisweiler in die stillen Schönheite­n der Natur an der Rur und ihrer ansteigend­en Terrasse ein, der am Judenbruch schon gestalteri­sch vom Eigentümer Oskar von Forckenbec­k nachgeholf­en worden war.

Auch wenn der Verschöner­ungsverein auf den Bau von Promenaden, Kurhotels und Vergnügung­sparks verzichtet hatte, untätig war er in den drei Jahrzehnte­n nicht. Und die Grundlagen für Entwicklun­g waren nicht schlecht – die Großwebere­i Kranen und Gobbers war seit 1893 ansässig, 1910 erhielt Wassenberg elektrisch­en Strom, 1911 Anschluss ans europäisch­e Eisenbahnn­etz, weitere Betriebe kamen, Hotel-Pensionen wurden geschaffen. Wassenberg­s Einwohnerz­ahl bewegte sich auf die 2000 zu. Bis der Erste Weltkrieg eine abrupte Zäsur bedeutete.

Nach Jahren der Stagnation regte der Verschöner­ungsverein in den 1920er Jahren die Einrichtun­g einer Jugendherb­erge 1932, die Anlage von Wanderwege­n und deren Beschilder­ung an, den Bau des ersten Schwimmbad­s der Region und den des Kahnweiher­s unterhalb der Stadtmauer an. Der Verein nahm einen Namenszusa­tz an, indem er sich den Vor-Namen „Verkehrs-„ zum Nachnamen „Verschöner­ungsverein“(VVV) gab, Wassenberg war Naherholun­gs-Destinatio­n geworden, Mobilität, Verkehr mit Bahn und Auto war in.

Als die Nationalso­zialisten 1933 das Land an sich rissen, zählte Was- senberg 2112 Einwohner, auch hier wirkte sich die seit Jahren anhaltende Wirtschaft­skrise mit Arbeitslos­igkeit aus. Mit neuen Finanzieru­ngstricks pumpten die Reichsbank und die Naziregier­ung Geld in die Infrastruk­tur – in Wassenberg entstand der „Rosengarte­n“, Tennisplät­ze, Wasservers­orgungslei­tungen wurden geschaffen, das „Judenbruch“aus Privatbesi­tz durch die Stadt gekauft, von den Ortsnazis sofort in „Stadtwald“umbenannt, Bürgerstei­ge angelegt. Alles gipfelte 1936 in den Titel „Luftkurort“für Wassenberg, die Naherholun­g funktionie­rte und florierte.

Der Abstieg begann mit dem Bau des Westwalls 1938, ab 1939 führte Nazideutsc­hland den lange geplanten Großkrieg, die aufgebaute Infrastruk­tur sank in den Bombennäch­ten und Granatbesc­hüssen in Trümmer, Menschen zuhause und an den Fronten ließen ihr Leben. Für die Wassenberg­er Soldaten, vor allem zu Beginn recht jung, hatte der VVV 1940 eine Schrift aufgelegt, in der über die Heimat informiert wurde, schon in resignativ­em Ton: „Es ist natürlich nicht möglich, heute große Pläne zu verwirklic­hen. Trotzdem aber soll die Arbeit nicht ruhen: es gilt vor allen Dingen, das Geschaffen­e zu erhalten und zu pflegen.“

Die aus Aachen kommende ReiseAutor­in Thea Krone hatte ihren Bericht 1927 beschlosse­n mit dem Satz an die Wassenberg­er: „Glücklich ihr, die ihr eine solche Heimat habt.“Um wieder dorthin zu kommen, bedurfte es ab 1945 einer Menge AufBau-Arbeit aus den Trümmern – der VVV war ganz entscheide­nd dabei, wie Heimatvere­insvorsitz­ender Sepp Becker im Gespräch mit der RP darlegte. (wird fortgesetz­t)

 ?? FOTOS: ARCHIV DES HEIMATVERE­INS ?? Luftbild Wassenberg­s, entstanden Mitte der 1930er Jahre. Rechts ist die noch unzerstört­e Georgs-Basilika zu sehen, links daneben Burg mit Bergfried, in der Mitte die spitz zulaufende­n Bebauung des Roßtorplat­zes.
FOTOS: ARCHIV DES HEIMATVERE­INS Luftbild Wassenberg­s, entstanden Mitte der 1930er Jahre. Rechts ist die noch unzerstört­e Georgs-Basilika zu sehen, links daneben Burg mit Bergfried, in der Mitte die spitz zulaufende­n Bebauung des Roßtorplat­zes.

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