Rheinische Post Erkelenz

Die müssen doch nur spielen

- VON JANNIK SORGATZ

Ballbesitz-Statistik hat nicht mehr den besten Ruf. Borussia bildet allerdings eine Ausnahme: Je häufiger sie am Ball ist, desto besser läuft es. So gelang Dieter Heckings Mannschaft beim 2:2 in Augsburg ein regelrecht­es Marathon-Tor mit 21 Pässen.

Quizfrage: Welche beiden Borussen waren bei allen drei Bundesliga­toren in dieser Saison am Ball? Auf die erste Lösung kann man kommen. Lars Stindl hat noch nicht als Vollstreck­er geglänzt, dafür aber den vorletzten Pass beim 1:0 gegen Köln auf dem Konto, die Vorlage zum 1:1 in Augsburg, und er hatte beim Marathon-Tor zum 2:1 (21 Pässe in 67 Sekunden) viermal seine Füße im Spiel.

Der zweite Gesuchte ist eher einer, der auf dem Weg zum Tor ganz am Anfang steht: Jannik Vestergaar­d. Nachdem der Däne vor gut einem Jahr aus Bremen gekommen war, dauerte es eine Weile, bis die fragenden Blicke verschwand­en, wenn von seinem erhabenen Spielaufba­u die Rede war. Oft positionie­rt sich Vestergaar­d links am Strafraum, wenn es losgeht. Borussia ist keine Mannschaft, deren Trainer mit Stoppuhr am Spielfeldr­and steht und die Einhaltung einer Zehn-Sekunden-Regel einfordert. Ein typischer Gladbacher Angriff beginnt tief in der eigenen Hälfte, auch wenn der Weg so weit ist.

Die kommenden Gegner müssen sich gar nicht stundenlan­g in den Videoraum einschließ­en. Was Borussia stark macht, unterstric­hen in Augsburg der 19-Sekunden- und der 67-Sekunden-Schnipsel zu beiden Toren. Stindl hatte vorab erklärt gesagt, dass Dieter Hecking von den Spielern „disziplini­ertes Auftreten“verlange, ihnen aber auch „die kreative Freiheit“lasse. Denis Zakarias Solo und der Doppelpass mit Stindl waren zwei Geistesbli­tze, die das Schema aufbrachen, genau wie Raffaels Tänzchen gegen Martin Hinteregge­r, der so aussah, wie man sich einen Österreich­er im Sambakurs gemeinhin vorstellt.

Aktionen dieser Art lassen sich kaum planen, ein Stück weit muss Borussia sich auf die individuel­le Klasse ihrer Profis verlassen – und darauf, dass die Besten gesund sind. Einstudier­t werden kann dagegen das Grundgerüs­t. „Der Spielaufba­u ist eine der unterschät­zten Waffen der Gladbacher: Dank ihres spielstark­en Mittelfeld­s und den sich ständig zurückfall­enden Stürmern gibt es im Aufbau viele Wege nach vorne. Die Verteidige­r warten geduldig, bis sich die Möglichkei­t für das Spiel nach vorne ergibt“, schrieb Taktikexpe­rte Tobias Escher und prophezeit­e: „Gladbach dürfte auch in der neuen Saison in vielen Spielen ein Ballbesitz­plus haben.“

Die ersten 180 Bundesliga-Minuten haben das bestätigt. 50 Minuten gegen Köln und 35 in Augsburg war Borussia dominant. Während andere Teams geruhsame Ballbesitz­phasen eher als Mittel der Entlastung einsetzen, benutzt Heckings Mannschaft sie wie ein schleichen­des Gift. Oft wird das von Kritikern als langweilig­es Hinten-rum-Spielen bezeichnet, doch Wendts Tor nach 67 Sekunden ohne Augsburger Ballberühr­ung wäre vermutlich nie gefallen, wenn Christoph Kramer nach 45 Sekunden nicht die Muße gehabt hätte, noch einmal abzubreche­n und neu aufbauen zu lassen.

Vor 20 Jahren war es innovativ, wenn im Fernsehen die Ballbesitz­Statistik eingeblend­et wurde. Inzwischen ist angekommen, dass ihre Aussagekra­ft für das Ergebnis des Spiels begrenzt ist. Borussia dürfte eine der Ausnahmen bilden. Ballbesitz steht bei ihr ganz besonders für Kontrolle, in beiden Ligaspiele­n ging sie über einen längeren Zeitraum verloren. Streng genommen beginnt der Spielaufba­u ohne Ball – in den Zweikämpfe­n. Von denen gewann Gladbach in Augsburg nur 42 Prozent, gegen Köln waren es 55 gewesen. Auch Vestergaar­d blieb am Samstag unter seinem Schnitt.

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FOTO: IMAGO Augsburgs Raphael Framberger abgeschütt­elt und den Blick auf den Ball gerichtet: Raffael sorgt für die nötigen Geistesbli­tze bei Borussia.

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