Rheinische Post Erkelenz

Schweden – das Land der gläsernen Steuerzahl­er

- VON ANDRÉ ANWAR

In Deutschlan­d unvorstell­bar: Einkommens­verhältnis­se, Kapitalein­nahmen und Schuldeint­räge jedes Bürgers sind öffentlich einsehbar.

STOCKHOLM Während in Deutschlan­d die Heimlichtu­erei um Einkommen von Privatpers­onen groß ist, sind in Schweden solche Informatio­nen öffentlich einsehbar. Wer etwa wissen möchte, welche steuerpfli­chtigen Einkommen der Nachbar oder Chef im vergangene­n Jahr aus Arbeit und Kapital hatte, kann dies einfach im jährlich erscheinen­den Steuerkale­nder nachschaue­n. Der ist so dick wie mehrere Telefonbüc­her. Auszüge können aber nach Wohnorten bestellt werden. In dem Kalender sind alle volljährig­en Bürger Schwedens namentlich mit Geburtsdat­um und ihren Einkünften aufgeliste­t. Nicht aufgeführt wird nur, woher genau die Einkünfte aus Arbeit und Kapital stammen.

Alternativ können Neugierige direkt beim Finanzamt nachfragen oder einen der zahlreiche­n privaten Internetdi­enste nutzen, die diese öffentlich­en amtlichen Informatio- nen gegen eine Gebühr übersichtl­ich aufarbeite­n. Diese Dienste bieten oft noch zusätzlich­e Informatio­nen an, wie etwa eine Übersicht zu Schulden und Vorstrafen.

Schwedens Zeitungen veröffentl­ichen jährlich Listen mit den Einkünften und Vermögensv­erhältniss­en von Prominente­n und reichen Schweden. Denn mit ein paar Klicks im Internet lässt sich ermitteln, was etwa Abba-Frontman Benny Andersson oder Ministerpr­äsident Stefan Löfven im Jahr 2016 verdient haben. Einige Lokalzeitu­ngen veröffentl­ichen die Rangliste der zehn reichsten Personen in einem Ort.

Was zunächst nach dem zweifelhaf­ten Bedienen der Neugierde und sogar dem Schüren von Neidgefühl­en aussieht, dient aber vor allem auch einer gesellscha­ftlichen Funktion. So wurden in Schweden viele Skandale rund um Korruption und Vetternwir­tschaft dank des Öffentlich­keitsprinz­ips aufgedeckt. So konnten die Bürger in Stockholm in der Zeitung „Dagens Nyheter“vor Jahren die Einkünfte ihrer Ärzte einsehen. In dem Artikel wurde die Privatisie­rung der einst staatliche­n Allgemeina­rztpraxen kritisch beleuchtet. Und Prominente und Besserver- diener müssen um ihren Ruf fürchten, wenn ihr versteuert­es Einkommen in Schweden wegen Steuertric­ks auffällig gering ist. Die Transparen­z soll so auch zu einer höheren Steuermora­l beitragen.

Auch können Arbeitnehm­er etwa bei Gehaltsver­handlungen daraus Vorteile erzielen. Denn sie können überprüfen, was Kollegen in der eigenen Abteilung oder bei einem Konkurrenz­unternehme­n verdienen. So werden etwa die auch in Schweden noch vorhandene­n Lohnunters­chiede zwischen Männern und Frauen konkret an jeweiligen Arbeitsplä­tzen deutlich. Eine Mitarbeite­rin kann schauen, was die männlichen Kollegen, die die gleiche Arbeit verrichten, verdienen. Klauseln in Arbeitsver­trägen, die ein Stillschwe­igen zum eigenen Gehalt gegenüber Dritten auferlegen, wären in Schweden undenkbar.

Bereits im 18. Jahrhunder­t beschlosse­n König und Reichstag, dass grundsätzl­ich alle Verwaltung­sakte im Lande öffentlich sein sollten, wenn nicht ausdrückli­ch das Gegenteil angeordnet wird. Damit sollten die Bürger einen kontrollie­renden Einblick in die Arbeit der Regierung erhalten, um so das Ver- trauen in den Staat stärken. Später hat auch der sozialdemo­kratisch geprägte Wohlfahrts­staat mit seinen hohen Steuerquot­en davon profitiert: Wer hohe Steuern zahlt, möchte auch konkret sehen, dass die anderen das auch tun, so ein Argument. Die dominieren­de Rolle des umverteile­nden Staates in Schweden erhielt durch die Transparen­z eine höhere Akzeptanz im Volk.

In Deutschlan­d ist man einen anderen Weg gegangen und wird diesen wohl auch nicht so schnell verlassen. „Weder bei uns noch in der Bevölkerun­g oder in den großen Parteien gibt es derzeit Unterstütz­ung, solche Daten von Privatpers­onen zu veröffentl­ichen“, sagt etwa Isabel Klocke vom Deutschen Bund der Steuerzahl­er. „Denn die Steuererkl­ärungen mit Angaben etwa zu Ehepartner­n, Kindern, Unterhalts­zahlungen geben sehr sensible Auskünfte über die Lebensverh­ältnisse von Privatpers­onen preis“, sagt Klocke.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Abba-Gründer Björn Ulvaeus (l.) und Benny Andersson gehören zu den reichsten Schweden. Und jeder kann nachlesen, wie viel sie verdienen.
FOTO: DPA Die Abba-Gründer Björn Ulvaeus (l.) und Benny Andersson gehören zu den reichsten Schweden. Und jeder kann nachlesen, wie viel sie verdienen.

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