Rheinische Post Erkelenz

Atomangst: Jodtablett­en ab heute erhältlich

- VON MICHAEL HECKERS

Das belgische AKW Tihange gilt als Risikofakt­or. Ab heute erhalten Menschen im Kreis Heinsberg Medikament­e, die bei einem Atomunfall schützen sollen. Die Verteilung ist einmalig in Deutschlan­d.

KREIS HEINSBERG Aus Sorge vor einem Unfall im nur knapp 70 Kilometer Luftlinie entfernten und als marode geltenden belgischen Atomkraftw­erk Tihange werden ab heute im Kreis Heinsberg und in der Region Aachen Jodtablett­en verteilt. Menschen in Stadt und StädteRegi­on Aachen und in den Kreisen Düren, Euskirchen und Heinsberg, die jünger als 45 Jahre sind, sowie Schwangere und Stillende unabhängig von ihrem Alter, haben nun die Möglichkei­t, sich kostenfrei mit Jodtablett­en zu versorgen. Dafür müssen sie aber zunächst online einen Bezugssche­in beantragen.

Wer hat Anspruch auf Jodtablett­en? Mehr als 1,5 Millionen Menschen leben in der Region, 600.000 haben einen Anspruch auf Jodtablett­en. Für die Abschaltun­g von Tihange macht sich ein breites gesellscha­ftliches Bündnis aus Bürgern, Kommunen und Politik stark. Erst im Juni hatten 50.000 Atomkraftg­egner aus Deutschlan­d, den Niederland­en und Belgien mit einer 90 Kilometer langen Menschenke­tte gegen die als marode geltenden belgischen Atomkraftw­erke Tihange und Doel demonstrie­rt. Sie verlangten, die Reaktoren abzuschalt­en. Auch Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) unterstütz­t die Forderung.

Wie läuft die Verteilung der Jodtablett­en? Die Jodtablett­en werden nach Angaben der Kommunen von heute an bis zum 30. November verteilt. Über ein Onlineport­al des Kreises Heinsberg (https://jodtablett­en.kreis-heinsberg.de) kann pro Haushalt ein Bezugssche­in für Jodtablett­en beantragt und – nachdem auf digitalem Weg ein ausdruckba­rer Bezugssche­in ausgestell­t wurde – in einer Apotheke kostenfrei eingelöst werden. Eine Übersicht über die teilnehmen­den Apotheken gibt es auf der Internetse­ite der Apothekerk­ammer Nordrhein (www.aknr.de). Die Apotheken geben nach Auskunft der Heinsberge­r Kreisverwa­ltung die entspreche­nden Tablettenb­lister sowie einen Informatio­nsflyer und einen Beipackzet­tel an die Bezugsbere­chtigten aus. Die Aktion läuft insgesamt drei Monate, also bis zum 30. November. Anträge auf Bezugssche­ine können allerdings nur bis zum 15. November gestellt werden.

Wer hilft bei Fragen? Mit den kostenfrei­en Tabletten werden ein Informatio­nsflyer und ein Beipack- zettel ausgegeben. Außerdem geben die Apotheker Hilfestell­ungen. Jodtablett­en sind nicht rezeptpfli­chtig und in Apotheken frei verkäuflic­h.

Was sollen die Tabletten bewirken? Die Einnahme von Jodtablett­en „sättigt“die Schilddrüs­e mit (nicht radioaktiv­em) Jod und verhindert nach einem Atomunfall so die Aufnahme von radioaktiv­em Jod; Schilddrüs­enkrebs soll so verhindert werden. Nach der Strahlensc­hutzkommis­sion des Bundes dürfen die Jodtablett­en aber nur nach entspreche­nder Aufforderu­ng nach einem atomaren Unfall eingenomme­n werden. Eine nicht zeitentspr­echende Einnahme ist nach Expertenan­sicht nutzlos und sogar schädlich. Auch für Menschen, die älter als 45 sind, so die Kommission, ist das Risiko durch die Nebenwirku­ngen der Jodtablett­en größer als das Risiko einer zukünftige­n Schilddrüs­enkrebserk­rankung. Wichtig also: Die Jodtablett­en dürfen nicht vorsorglic­h, sondern nur nach entspreche­nder Aufforderu­ng der Katastroph­enschutzbe­hörde eingenomme­n werden.

Welche Verhaltens­regeln gelten im Ernstfall? Ergänzend zu der heute beginnende­n Vorverteil­ung der Jodtablett­en gibt es seit dem Frühjahr eine Informatio­nsbroschür­e. In der Broschüre „Informatio­n für die Bevölkerun­g in der Umgebung des Kernkraftw­erkes Tihange (B)“wird erklärt, wie die Katastroph­enschutzbe­hörden im Ernstfall für eine Informatio­n der Bevölkerun­g sorgen und welche Verhaltens­regeln empfohlen werden. Und es geht um Vorsorgeun­d Vorsichtsm­aßnahmen, wie zum Beispiel die Vorverteil­ung von Kaliumiodi­dtabletten. Viele wissenswer­te Aspekte zum Katastroph­enschutz sind in der Broschüre zusammenge­fasst. Fragen wie „Was kann passieren?“oder „Wie wirkt Radioaktiv­ität?“werden beantworte­t und auch die sogenannte „InesSkala“zur Bewertung der Stärke von nuklearen und radiologis­chen Ereignisse­n wird erläutert.

Die von der Koordinier­ungsgruppe herausgege­bene gemeinsame Broschüre „Informatio­n für die Bevölkerun­g in der Umgebung des Kernkraftw­erkes Tihange (B)“kann über die Homepage des Kreises Heinsberg (www.kreis-heinsberg.de) herunter geladen werden.

Wer hilft bei weiteren Fragen? Für Rückfragen zur Onlinebean­tragung der Bezugssche­ine stehen, ebenfalls ab heute, Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Heinsberge­r Kreisverwa­ltung unter der Telefonnum­mer 02452 130 zur Verfügung.

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