Rheinische Post Erkelenz

Oranje braucht ein kleines Fußball-Wunder

- VON ANDRÉ SCHAHIDI

Drei Tage nach dem blamablen 0:4 in Paris gegen Frankreich müht sich die Niederland­e zum 3:1 gegen Bulgarien und hat noch die Chance auf die WM-Teilnahme. Zur internatio­nalen Spitzenkla­sse gehört die Mannschaft von Dick Advocaat trotzdem nicht mehr.

AMSTERDAM/DÜSSELDORF Als endlich der Schlusspfi­ff in der Amsterdam Arena ertönt, ist von großem Jubel nicht viel zu spüren. Pflichtbew­usst klatschen Arjen Robben und seine Kollegen sich ab. Ihnen ist auch nach dem 3:1-Sieg gegen Bulgarien klar, dass Oranje für die Teilnahme an der Weltmeiste­rschaft im kommenden Jahr in Russland ein kleines Fußball-Wunder benötigt: Drei Punkte und sechs Treffer müssten die Niederländ­er in den letzten beiden Spielen, darunter einem direktes Duell, auf Schweden aufholen, um noch sicher Zweiter zu werden. Eine Mammutaufg­abe.

Wenn man aber ehrlich ist, hat dieses Oranje bei der WM sportlich wenig zu suchen. Beim „Gipfeltref­fen“am vergangene­n Donnerstag in Frankreich (0:4) wurde deutlich: Die Niederländ­er sind im europäisch­en Vergleich nicht mehr wettbewerb­sfähig. Körperlich, taktisch, technisch – auf allen Ebenen waren die Franzosen drückend überlegen. An dieser Einschätzu­ng konnten die Niederländ­er auch gegen deutlich schwächere Bulgaren nur wenig rütteln. Lange Zeit tat sich das Team von Trainer Dick Advocaat schwer, Tore von Arjen Robben und Davy Pröpper entschiede­n das schwache Spiel erst in der Schlusspha­se.

Wie konnte die Nation, die dreimal im WM-Finale stand und großartige Fußballer hervorbrac­hte, derart den Anschluss verlieren? Der wichtigste Grund ist eine für Holländer fast typische Selbstüber- schätzung. Die kostete schon den WM-Titel 1974 – und sorgt auch aktuell dafür, dass andere Länder vorbeigezo­gen sind. Während diese ihr Spielsyste­m über Jahrzehnte hinwegs anpassten und verbessert­en, spielte Holland stoisch weiter im antiquiert­en 4-3-3 – ohne jedoch die nötige defensive Stabilität für ein solch offensives System zu haben.

Denn die Spieler im Oranje-Trikot werden immer schlechter. Seit Jah- ren produziere­n die Talentschm­ieden von Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam und PSV Eindhoven keine Nachwuchsk­räfte der Marke „Spitzenkla­sse“mehr. Und gibt es doch mal ein kleines Juwel, erliegt der junge Kicker noch vor dem Durchbruch dem Geld aus England. Viele Top-Talente wechseln für viel Geld in die Nachwuchsa­bteilungen der Premier-LeagueKlub­s, versauern dort in Reserve- teams und landen dann Jahre später, wie Karim Rekik (Berlin) oder Jeffrey Bruma (Wolfsburg), als durchschni­ttliche Kicker in Europas Ligen. Es ist ein Teufelskre­is: Die Eredivisie ist im europäisch­en Vergleich längst nicht mehr konkurrenz­fähig, wodurch junge Spieler immer früher den Sprung ins Ausland wagen und die heimische Liga qualitativ noch weiter ausblutet.

Aussicht auf Besserung ist kaum gegeben. Anders als in Deutschlan­d, wo nach dem EM-Debakel 2004 der Fußball komplett auf den Kopf gestellt wurde, gibt es Innovation­en höchstens auf dem Papier. Das beste Beispiel dafür ist der Bondscoach: Dick Advocaat ist 69 und bereits zum dritten Mal Nationaltr­ainer. Seine besten Zeiten als Trainer sind bereits Jahrzehnte vorbei – zuletzt sah man Advocaat nur noch dort, wo das meiste Geld zu verdienen war. Reformen sehen anders aus. Und solange beim Verband kein radikales Umdenken einsetzt, werden sich die niederländ­ischen FußballFan­s daran gewöhnen müssen, dass ihr Team bei den großen Turnieren nicht dabei ist.

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