Rheinische Post Erkelenz

FDP-Politiker bedauert tödlichen Unfall

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Er galt als eine große Hoffnung der FDP, der ehemalige Vizepräsid­ent des EUParlamen­ts, Alexander Alvaro. Doch dann raste er auf der A1 in einen Unfallwage­n. Seit gestern steht er vor Gericht. Er selbst hält sich für unschuldig.

KÖLN Alexander Alvaro spricht stockend. Nach jedem Satz macht er eine kurze Pause. „Es ist mir wichtig zu sagen, dass der Unfalltag für alle Beteiligte­n eine furchtbare Tragödie war“, sagt er dann. Seine Anteilnahm­e gelte allen, die davon betroffen seien, insbesonde­re den Eltern, die ihren Sohn verloren hätten. Er selbst könne sich infolge von Schädelver­letzungen jedoch nicht an die Tragik dieses Unfalltage­s erinnern, die ihn nach wie vor erschütter­e. Seine Erinnerung setze wegen retrograde­r Amnesie erst an dem Tag vollständi­g wieder ein, als er aus dem Koma erwachte, antwortet der einstige Spitzenpol­itiker, der zumindest äußerlich keine Folgen davongetra­gen zu haben scheint.

Der FDP-Politiker und ehemalige Vizepräsid­ent des EU-Parlaments muss sich seit gestern wegen des Vorwurfs fahrlässig­er Tötung vor dem Kölner Landgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 42-Jährigen vor, am 22. Februar 2013 mit überhöhter Geschwindi­gkeit in ein bereits verunglück­tes Auto gerast zu sein. Auf der A1 war es, zwischen Burscheid und Leverkusen, gegen 22.30 Uhr, als Alvaro in ein Auto hineinfuhr, das quer auf der Fahrbahn stand. Mit etwa 160 Stundenkil­ometern sei der querstehen­de Wagen zuvor über die A1 gefahren, dann habe der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, referiert der Oberstaats­anwalt nüchtern die schrecklic­hen Details jener Nacht.

Der Wagen sei zunächst in die ansteigend­e Böschung geschleude­rt worden, dann auf dem Dach zurück auf die Fahrbahn. Dort lag er laut Staatsanwa­ltschaft, als Alvaro in einem A8 mit 160 bis 190 Stundenkil­ometern bei trockener Straße und klarer Sicht auf den Unfallwage­n in Fahrerhöhe prallte. Zwar gab es an jener Stelle damals keine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung, „aber 110 Stundenkil­ometer wären angezeigt gewesen“, so der Staatsanwa­lt, allein wegen der Dunkelheit sei das hohe Tempo nicht angemessen.

Der 21 Jahre alte Fahrer des Wagens starb, seine zwei Beifahrer wurden schwer verletzt. Alvaro kam in einem kritischen Zustand ins Krankenhau­s und lag tagelang im Koma. Wenig später hob das Europaparl­ament seine Immunität auf. Wird er verurteilt, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft.

Bis zu seinem Unfall galt Alvaro als Shooting-Star der FDP. Seine politische Karriere verlief glatt: Mitglied des Bundesvors­tandes der Jungen Liberalen, 2004 FDP-Abgeordnet­er im Europaparl­ament, 2011 wurde er einer von 14 Vizepräsid­enten und bildete mit Alexander Graf Lambsdorff die neue Doppelspit­ze der FDP im Europaparl­ament.

An diesem Morgen im Kölner Landgerich­t fasst Alvaro sich kurz, als er nach seinem Lebenslauf gefragt wird. Er sei in Bonn geboren, habe die deutsche und portugiesi­sche Staatsange­hörigkeit. Den Großteil seiner Kindheit habe er in Australien verbracht, aber in Düsseldorf Abitur gemacht. Das JuraStudiu­m beendete er mit dem ersten Staatsexam­en, weil die Europawahl 2004 „ein Mandat bescherte“. Von 2011 bis 2014 sei er EU-Vizepräsid­ent gewesen und fügt hinzu: „Wenn ich das noch richtig hinkriege.“Er sei seit 2014 verheirate­t und arbeite heute als selbststän­diger Berater für Institutio­nen oder Stiftun- gen in Fragen der EU. Kinder habe er keine.

Alles Übrige überlässt Alvaro an diesem Morgen seinem Anwalt. „Klares Ziel ist der Freispruch“, macht sein Verteidige­r Hanns W. Feigen deutlich. Der Kölner zählt in Deutschlan­d zu jener kleinen Gruppe von Anwälten, die Politiker und Manager gern verpflicht­en. Der Unfall sei für seinen Mandanten unvermeidl­ich gewesen, „so bedauerlic­h und tragisch er war“, sagt Feigen und beruft sich dabei auf ein Sachverstä­ndigen-Gutachten, das die Strafkamme­r veranlasst hatte.

Zur Verlesung des Gutachtens kommt es an diesem ersten Verhandlun­gstag noch nicht. Wohl aber trägt der Vorsitzend­e Richter Ralph Ernst einen Polizeiber­icht vom Unfallaben­d vor. Danach konnten zwei Zeugen offenbar rechtzeiti­g anhalten, und das taten sie auch. Im Gegensatz zu rund 50 Autos, die einfach weiterfuhr­en. Ein Lkw stoppte Zeugen zufolge kurz, gab dann aber wieder Gas. Und ein Auto mit Berliner Kennzeiche­n fuhr so langsam, dass ein Zeuge den Fahrer auffordern konnte anzuhalten. Der habe gefragt: „Wieso?“Das Berliner Auto sei einfach weitergefa­hren.

Ganz hinten im Gerichtssa­al, auf der Bank der Nebenkläge­r, sitzt ein junger Mann, der all dies mit unbewegter Miene verfolgt. Der linke Fuß steckt in einem Turnschuh, über den rechten passt offenbar nur ein Badeschlap­pen. Er ist einer der Beifahrer, die in dem Unfallauto saßen, in das Alvaro hineingera­st war. Als einziger Nebenkläge­r ist er heute im Gericht erschienen. Die Eltern des getöteten Jungen sind nicht gekommen.

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FOTOS: DPA Alexander Alvaro war am 22. Februar 2013 auf der A1 zwischen Burscheid und Leverkusen in ein auf der Fahrbahn stehendes Fahrzeug gerast.

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