Rheinische Post Erkelenz

Fünfkampf um Platz drei

- VON GREGOR MAYNTZ

Nach den Kanzlerkan­didaten von CDU und SPD richten sich die Augen auf die Spitzen von FDP, Grünen, Linken, AfD und CSU.

BERLIN Munterer, spannender, kontrovers­er. Einen Tag nach dem Duell, das keines war, konnten die Spitzenkan­didaten von Linken, Grünen, FDP, AfD und CSU im Fünfkampf die Kräfte messen – durchaus mit Duellchara­kter. Da greift Christian Lindner von der FDP seinen Duzfreund Cem Özdemir von den Grünen an, attackiert den CSU-Spitzenkan­didaten Joachim Herrmann, duellieren sich die Linke Sahra Wagenknech­t und die AfD-Frontfrau Alice Weidel.

Wie sie sich im Westhafen-Fernsehstu­dio aufstellen, so könnten sie im nächsten Bundestag sitzen. Links Wagenknech­t, dann Özdemir, Herrmann, Lindner und außen Weidel von der AfD. „Keine Regeln“sagen Bayerische­r und Westdeutsc­her Rundfunk. Das schlägt sich auch in der Gesprächsf­ührung nieder. Erstes Thema: Digitalisi­erung. Erster Politiker: Christian Lindner. Das ist sein zentrales Wahlkampft­hema, da stellt er sich ganz bequem breitbeini­g auf und feuert seine Themen sozusagen aus der Hüfte. Auch Weidel darf mehr Investitio­nen fordern, und Herrmann darf Lindner zustimmen. Aber Özdemir soll dann was zur Bildung statt zum Digitalen sagen und ist verstört. Wagenknech­t greift die Bildungsfr­age formal auf und schwenkt dann gegen die CSU ein, die eingesehen habe, dass Privatisie­rung nichts bringt. Herrmann braucht gar nicht dazwischen zu grätschen, das übernimmt Lindner für ihn. Stehen da die Koalitionä­re von morgen schon zu- oder noch nebeneinan­der?

Anders als zwischen Union und SPD sind die Werte bei den Kleinen dicht an dicht. 6,5 bis acht Prozent würden die Grünen wählen, wenn nicht in drei Wochen, sondern jetzt bereits gewählt würde, je acht bis zehn Prozent die FDP und Die Linke, zwischen sieben und elf die AfD. Es ist also noch lange nicht ausgemacht, wer das Rennen um Platz drei macht, wer also als Koalitions­partner infrage kommt und die politische Richtung mitbestimm­t, wer bei einer neuen großen Koalition als Opposition­sführer besonders wahrgenomm­en wird.

Herrmann ist in dieser Runde der geborene Fremdkörpe­r. Er ist nur in Bayern wählbar, steht hinter der Kanzlerkan­didatin Merkel. Es ist verständli­ch, dass die CSU als eigenständ­ige Partei antritt und es für ihr Standing wichtig ist, wie viel Prozentpun­kte sie mit ins Gewicht bringt. Doch das Rennen um Platz drei ist nicht das, was eine Partei interessie­rt, die auf absolute Mehrheiten schielt.

„Können wir jetzt nichts zum Euro sagen?“, fragt Lindner ungläubig, nachdem Wagenknech­t ihren Punkt gemacht hat. Doch die Moderatore­n bleiben bei ihrem zunächst schwer durchschau­baren Konzept. Sie fragen stattdesse­n Herrmann nach dem Familienna­chzug. Der hat das Prinzip inzwischen durchschau­t und bringt erst einmal die CSU-Wohnungspo­litik als Antwort, weil diejenigen, die nachziehen, ja Wohnungen brauchen. Lindner ist an den Augen abzulesen, dass er sich gerade überlegt, zu welcher Einwanderu­ngsfrage er etwas zum Euro sagen kann. Aber es ist für ihn zu verführeri­sch erst einmal das FDP-Einwanderu­ngskonzept zu erklären. Weidel kann daraufhin von qualifizie­rter Zuwanderun­g reden, kommt aber auch auf das Problem fehlender Papiere und geringer Abschiebun­gen zu sprechen und greift damit ausdrückli­ch die Politik von CDU und SPD an. Die können sich nicht wehren, sind nicht Teil des Fünfkampfe­s.

Özdemir, der Schwabe, bezieht Herrmann, den Bayern, mit ein und meint, auch sie beide hätten Deutsch lernen müssen, um bei der Sendung verstanden werden zu können. Ist das der Versuch, einen schwarz-grünen Schultersc­hluss hinzukrieg­en? „Ein Stichwort ist noch gar nicht gefallen…“, beginnt Özdemir, wird aber sofort unterbroch­en. Christian Nitsche und Sonia Mikich, die Moderatore­n, mögen nicht, rufen lieber noch mal die AfDFrontfr­au auf. Nach einer Dreivierte­lstunde hat Wagenknech­t zwei Minuten länger gesprochen als Lindner. Sie ist die Meisterin des Reingrätsc­hens.

Lindner holt auf, und Herrmann auch. Der soll nun Videoüberw­achung und Vorratsdat­enspeicher­ung erklären. Er liefert, und Lindner kommt aus dem Kopfschütt­eln nicht mehr heraus. Er macht Unterschie­de zwischen Schwarz und Gelb klar: „Sie wollen ganz viel über unbescholt­ene Bürger wissen, ich glaube, der Staat muss möglichst viel über Gefährder wissen.“

Ein Experiment gelingt nicht ganz: Politiker fragen Politiker. Denn die nutzen das, um in der Frage erst einmal ihre eigene Position ausführlic­h darzulegen. Doch vom Grundsatz her funktionie­rt es, kann Weidel Wagenknech­t wegen ihrer vernunftor­ientierten Politik loben, Die Linke das Lob zurückweis­en und Weidel umgekehrt fragen, wie sie sich den fühle, mit „handfesten Halbnazis“in den Bundestag einzuziehe­n. Die AfD-Frau spricht vom hohen Akademiker-Anteil, worauf Lindner dazwischen­ruft, es gehe nicht um Doktortite­l, sondern um Charakter.

Echtes Ringen kommt zwischen Özdemir und Lindner auf dem Feld der Atomwaffen- und Russlandpo­litik in Gang. Das wäre schon was, sie weiter beim konstrukti­ven Streit um Dialog und Konsequenz­en in Sachen Ukraine beobachten zu können, ganz gleich, wer nun Platz drei erreicht. Zumindest diesen Vorgeschma­ck kann dieser „Fünfkampf“liefern.

 ?? FOTO: DPA ?? Die kleinen Parteien im Duell (v.l.): Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der Partei Die Linke, Cem Özdemir, Bundesvors­itzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Joachim Herrmann (CSU), bayerische­r Innenminis­ter, Christian Lindner,...
FOTO: DPA Die kleinen Parteien im Duell (v.l.): Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der Partei Die Linke, Cem Özdemir, Bundesvors­itzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Joachim Herrmann (CSU), bayerische­r Innenminis­ter, Christian Lindner,...

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