Razzien bei Stahlherstellern
Kaum eine Branche gerät so häufig ins Visier der Wettbewerbshüter wie die Stahlindustrie. Dieses Mal soll sogar der Stahlverband eine Rolle gespielt haben. Klar äußern will sich die Wirtschaftsvereinigung Stahl dazu nicht.
DÜSSELDORF Es ist gerade mal ein Jahrzehnt her, da gaben die Chefs großer Stahlkonzerne öffentlich bereitwillig darüber Auskunft, ob die Stahlpreise in nächster Zeit ihrer Meinung nach steigen oder sinken. Selbst die Höhe der voraussichtlichen Preissteigerungen war dabei kein Tabu.
In jüngerer Zeit jedoch wuchsen offenbar die Zweifel. „Zu Preisen wollen wir uns nicht äußern“, hieß es immer häufiger, auch bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Man wolle ja nicht unter Kartellverdacht geraten.
Genau dies ist nun erneut geschehen. In einer groß angelegten Aktion durchsuchte das Bundeskartellamt nach eigenen Angaben Ende August sieben Stahlunternehmen und drei Privaträume und bestätigte damit Informationen unserer Redaktion. Standorte von Arcelor-Mittal und Salzgitter waren darunter, wie die Unternehmen gestern bestätigten. Bei Salzgitter soll es laut Insidern auch eine Razzia im Büro des Vorstandsvorsitzenden Heinz Jörg Fuhrmann gegeben haben. Hierzu äußerte sich der zweitgrößte deutsche Stahlkonzern gestern jedoch nicht. Auch über die durchsuchten Standorte war in den Konzernen nichts zu erfahren. Die Razzien sollen laut Insidern unter anderem bei den Töchtern Ilsenburger Grobblech, Salzgitter Mannesmann Grobblech in Mülheim/Ruhr und in der Zentrale in Salzgitter stattgefunden haben.
Dagegen verneinte die mit Salzgitter bei der Produktion von Großrohren verbundene Dillinger Hütte, dass es Ende August im eigenen Unternehmen zu Razzien kam. Auch Thyssenkrupp, der größte deutsche Stahlhersteller, war von den jüngs- ten Durchsuchungen nach eigenen Angaben nicht betroffen.
Ein Konzernsprecher sagte aber: „Das Bundeskartellamt ermittelt seit Herbst 2015 gegen diverse Unternehmen und Wirtschaftsverbände der deutschen Stahlindustrie. Im Verdacht stehen insbesondere Absprachen bei der Festlegung von Zuschlägen bei Edelstahlprodukten beziehungsweise legierten Stählen. Auch Thyssenkrupp Steel Europe wurde jetzt über das vorläufige Ergebnis dieser Untersuchung informiert. In diesem Zusammenhang hat uns das Bundeskartellamt zudem mitgeteilt, dass es seine Er- mittlungen auf weitere Stahlprodukte ausgeweitet hat. Auch hier gibt es Berührungspunkte zur Arbeit der Wirtschaftsverbände. Wir nehmen die Vorgänge sehr ernst und unterstützen die Ermittlungen der Behörde, können aufgrund der laufenden Verfahren derzeit jedoch keine weiteren Angaben machen.“
Insidern zufolge könnte es am Rande von Arbeitskreisen der Wirtschaftsvereinigung Stahl zu illegalen Absprachen über Mengen oder Preise gekommen sein. Der Stahlverband selbst wollte sich dazu gestern nicht konkret äußern: „Die Wirtschaftsvereinigung Stahl nimmt zu laufenden Verfahren keine Stellung“, hieß es dort. Der Verband setze sich aber intensiv und verantwortungsvoll mit den eingeleiteten Verfahren auseinander.
In den vergangenen Jahren geriet die deutsche Stahlindustrie immer wieder einmal ins Visier der Wettbewerbshüter. Zurzeit sind allein drei Ermittlungsverfahren bei der Bonner Behörde anhängig. Ein Abschluss dieser Verfahren ist bisher nicht absehbar, bewiesen ist bisher noch nichts.
Prominentes Beispiel für einen Kartellfall in jüngster Vergangenheit ist das sogenannte Schienenkartell. Jahrzehntelang hatten Stahlhersteller Preise und Mengen bei Eisenbahnschienen und Weichen für die Deutsche Bahn abgesprochen. Die beteiligten Unternehmen mussten damals am Ende rund 100 Millionen Euro Bußgeld zahlen.
Das könnte sich nun für manch ein Unternehmen rächen, sollte sich der jüngste Verdacht erhärten. Denn Wiederholungstätern drohen schärfere Strafen. Zudem kann es passieren, dass Hersteller Rückstellungen bilden müssen, die das Eigenkapital schmälern können. Schwache Bilanzen würden dadurch zusätzlich strapaziert.