Gewerkschaft: „Meisterbrief erhalten“
GREVENBROICH/ERKELENZ Eine Ära geht in der Nacht auf den ersten Oktober zu Ende, wenn das Kohlekraftwerk Frimmersdorf vom Netz genommen wird. Später wird auch in Neurath ein Block in den vorläufigen „Dornröschenschlaf“versetzt, wie es RWEPower-Vorstandsvorsitzender Matthias Hartung jetzt bei einem Jahrespressegespräch umschrieb. Die Kraftwerke müssen aber als Reserve für die Stromversorgungssicherheit auch jederzeit „aus dem Dornröschenschlaf“wieder „wach geküßt“werden können, will heißen: Wenn die Netzwerkbetreiber bei extremen Wetterlagen Alarm geben, müssten die vom Netz genommenen Kraftwerke binnen zehn Tagen hochgefahren werden können.
Dazu muss laut Braunkohlevorstand ein Mitarbeiterteam aus den sonstigen Kohlekraftwerken bereitgehalten werden. Auch in Frimmersdorf selbst und später in Neurath müssten zudem Mitarbeiter verbleiben, die die beweglichen Teile, wie Pumpen, Regler und Turbosätze,
gängig erhalten. Auch KREIS HEINSBERG (spe) Ein „klares Bekenntnis zum Meisterbrief“fordert die Gewerkschaft IG BauenAgrar-Umwelt (IG BAU) von den Bundestagskandidaten im Kreis Heinsberg. Hintergrund sind Pläne der EU-Kommission, die die Zugangsvoraussetzungen in Handwerksberufen europaweit angleichen will. Darunter würden Qualität und Ausbildung leiden, befürchtet IG BAU-Regionalleiter Holger Vermeer. Meisterbetriebe im grenznahen Kreis Heinsberg könnten besonders betroffen sein.
„Wohin der Abbau von Standards führen kann, zeigt sich im Fliesenlegerhandwerk“, erklärt Vermeer in einer Pressemitteilung. Mit der Novelle der Handwerksordnung im Jahr 2004 wurde hier die Meisterpflicht abgeschafft: „Allein seit 2006 ist die Zahl der Fliesenleger-Betriebe im Bereich der Handwerkskammer Aachen von 774 auf 1408 im vergangenen Jahr gestiegen. Immer mehr Ein-Mann-Betriebe buhlen um Aufträge. Qualität und Ausbildung bleiben aber oft auf der Strecke“, kritisiert Gewerkschafter Holger Vermeer.
Sollte sich die Entwicklung auf die ganze Baubranche ausdehnen, drohe eine weitere Verschärfung des Fachkräftemangels, heißt es seitens der IG BAU: „Die Handwerksmeister sind die tragende Säule der Berufsausbildung.“Neue Zahlen der Handwerkskammer Aachen bezeichnet Holger Vermeer deshalb als „beunruhigend“: „Lediglich 27 bestandene Meisterprüfungen im Bau- und Ausbaugewerbe zählte die Kammer im vergangenen Jahr. Der Lehrlingsbestand in der Branche ging im Zehn-Jahres-Vergleich um 24 Prozent auf zuletzt 1018 Azubis zurück.“Die Gewerkschaft für Bauen, Agrar und Umwelt rufe die heimischen Bundestagskandidaten deshalb dazu auf, sich für den Erhalt der Meisterpflicht im Handwerk einzusetzen. müsse dafür gesorgt werden, dass die Rohre in den Wasser-Dampfund Kühlkreisläufen nicht korrodierten. Braunkohlevorstand Lars Kulik weiß aber auch, dass die „Kohle-Dornröschen“nicht für alle Zeiten wieder wach geküsst werden, wie im Märchen. Langfristig sei der Rückbau (Abriss) der Kraftwerke in Grevenbroich geplant, mit dem 2022 begonnen werde: „Der Rückbau wird sich aber weit in die 2020er Jahre hineinziehen“, prognostiziert Kulik. Die Anschlussplanung für das dann ehemalige Kraftwerksgelände in Frimmersdorf sei die Schaffung eines neuen Gewerbe- und Industriegebietes. Baurechtlich und vom Flächenplan her seien die Kraftwerksgrundstücke dafür bereits vorgesehen. Die geplante Stilllegung von insgesamt fünf Koh- lekraftwerksblöcken und die bis zum Jahr 2030 angesteuerte Reduzierung von 40 bis 50 Prozent an CO2-Ausstoß geht auch einher mit Personalabbau. So werden in allen drei Kohletagebaustätten insgesamt 900 Arbeitskräfte und im Gesamtkohlebetrieb von RWE bis 2022 insgesamt 1500 Mitarbeiter eingespart. RWE-Vorstand Hartung betonte aber, dies könne wegen des relativ hohen Alters der Belegschaft sozialverträglich (durch Ruhestandsregelungen) abgewickelt werden. Auf der anderen Seite werde RWE im nächsten Jahr 35 junge Leute mehr ausbilden als in den Vorjahren. Und für 2019 seien allein im Rheinischen Revier 360 unbefristete Neueinstellun
gen, zum großen Teil für die eigenen Auszubildenden, geplant. 2020 werde RWE gesamt dann einen Stamm von 8000 Mitarbeitern haben.
Während der Kohletagebau Garzweiler II weiter nach Westen und damit nach Erkelenz verlegt wird, hat sich RWE zur großflächigen Rekultivierung auch auf Jüchener Gemeindegebiet verpflichtet. Die Vorstände kennen allerdings die häufig geäußerten Sorgen aus der Bevölkerung, dass für die Spätfolgen des Tagebaus der Konzern aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung eines Tages nicht mehr bereitstehen könnte. Denn nicht der politischen Entwicklung unter dem Schlagwort „Energiewende“, auch einem fortschreitenden Strompreisverfall muss sich RWE stellen. Der Strompreis sei von 35 Euro je Megawattstunde im Jahr 2016 auf 31 Euro in 2017 gesunken und werde 2018 nur noch bei 27 Euro liegen, führte Hartung aus. Er könne die Sorgen der Bürger, was die Tagebaufolgekosten anbelange, nachvollziehen, gab der RWEPower-Chef zu. Aber der Konzern verfüge über jahrzehntelange Erfahrung in der Rekultivierung von landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen Flächen. Man wisse, was zu tun sei und vor allem auch, was es koste. Zudem sei RWE in der sogenannten Organhaftung für die Tagebaufolgekosten, die im „Volksmund“gerne als „Ewigkeitskosten“bezeichnet werden. – Der Gesamtkonzern hafte mit seinem kompletten Vermögen und habe sich zu den entsprechenden Kostenrückstellungen für die Wiederherstellung nach Aufgabe des Tagebaus verpflichtet. – Allerdings musste Hartung auch einräumen, dass die Höhe der Rückstellungen naturgemäß auch vom wirtschaftlichen Erfolg und von der „Zukunft der Kohle“abhängig sind. Er verwies aber auf drei unabhängige Gutachten zum Themenkomplex Rekultivierung und Tagebaufolgekosten, die der Bergbaubehörde zur Veröffentlichung vorgelegt
worden seien.