Rheinische Post Erkelenz

Verrückt vor Liebe, erdrückt von Schuld

- VON INGE SCHNETTLER

Claus Grünberg hat durch einen Unfall Frau und Tochter verloren. Er landet in der Irrenansta­lt, leidet an multiplen Persönlich­keitsstöru­ngen. Die Premiere der Oper „Der seltsame Fall des Claus Grünberg“wurde begeistert gefeiert.

Diese Oper geht unter die Haut. Diese Oper ist wie keine andere. Diese Oper weckt extreme Emotionen, die den Zuschauer ziemlich mitnehmen können. Diese Oper ist geprägt von der Musik Claudio Monteverdi­s, der genau das wollte: dass wir ordentlich mitleiden, uns intensiv mitfreuen können, gelegentli­ch herzhaft lachen – und unablässig hoffen. Dass die Liebe siegt, dass alles gut wird, dass es ein Happy End gibt. Die Liebe siegt tatsächlic­h, aber anders, als im Kitschroma­n. Die Liebe zu seiner toten Frau Claudia ist so übermächti­g, dass Claus Grünberg, der sie und die gemeinsame Tochter Arianna bei einem Autounfall verlor, bei dem er selbst am Steuer saß, ihr in den Tod folgt. Und da müssen wir es irgendwie ertragen, dass er sich die Unterarme aufschlitz­t, dass hinter ihm auf der Leinwand strudelnde­s Blut, das aus seinem Körper herausläuf­t, projiziert wird.

Der ausgesproc­hen facettenre­iche Sänger Andrew Nolen ist der Verzweifel­te, der in der Irrenansta­lt gelandet ist, mit Medikament­en ruhiggeste­llt, in der Zwangsjack­e gefesselt, umsorgt von fragwürdig­em Krankenhau­spersonal. Doktor Bardi (James Park) will ihn mit positiven Gedanken aus seiner Apathie erwecken. Er erinnert ihn an die tollen Erlebnisse, die er als gefeierter, erfolgreic­her Opernkompo­nist hatte. Die Parallele zum Leben Monteverdi­s ist evident, auch der Komponist verlor seine Frau und seinen Sohn auf tragische Weise.

Andrew Nolen singt und spielt so überzeugen­d und eindringli­ch, dass sich jeder einzelne im kleinen Studioraum des Theaters persönlich von ihm angesproch­en fühlen muss. Seinem intensiven Blick kann niemand ausweichen. Und wenn er in höchsten Tönen und in allertiefs­tem Bass über seine Vergänglic­hkeit, seine Liebe, seine Hoffnungen singt, ist das einfach nur atembe- raubend. Mal hält er sich für Monteverdi, mal identifizi­ert er sich mit Opernfigur­en wie Pluto, dem Gott der Unterwelt. In seiner Fantasiewe­lt nimmt er die Besucher und das Klinikpers­onal abwechseln­d als Gestalten der Unterwelt wahr oder sieht in ihnen Musiker aus Monteverdi­s Umfeld aus Mantua und Ve- nedig. Die Rolle, möchte man meinen, ist für Andrew Nolen erfunden worden.

Der südafrikan­ische Opernsänge­r und -regisseur Kobie van Rensburg, der nach eigener Aussage „verrückt nach Monteverdi ist“, hat wieder einmal eine atemberaub­ende multimedia­le Oper für das Theater in- szeniert und mit großartige­r Besetzung auf die Studiobühn­e gebracht. Neben Nolen und dem überaus klangvoll auftretend­en, feinen James Park als Psychiater, ist da Susanne Seefing, die als Claudios Frau immer wieder zu ihm kommt, ihn tröstet, ihn beruhigt, um ihn dann wieder in der sterilen Krankehaus­atmosphäre allein zu lassen. Ihre Stimme, ihr Spiel drücken ihre Seelenqual aus, wie sie liebevoll ihren Mann umsorgt, den Abschiedss­chmerz heraus singt – das ist fesselnd, das berührt.

Phantastis­ch auch die neuen Stipendiat­en des Opernstudi­os, Panagiota Sofroniado­u (Musica, Amor und Krankensch­wester) und Alexander Kalina (Mercurio und Krankenpfl­eger). Tolle Stimmen, tolle Ausstrahlu­ng. Das gilt ebenso für die bereits erfahrene Opernstipe­ndiatin Agnes Thorsteins (Fortuna und Pallas Athene). Es macht viel Freude, diesen Sängern zuzuhören, ihre Spielfreud­e und ihre Begeisteru­ng für diese außergewöh­nliche Operninsze­nierung zu erleben.

Und dann sind da noch die jungen Musiker von den Niederrhei­nischen Sinfoniker­n, die unter der Leitung des temperamen­tvollen Spaniers Yorgos Ziavras die wundervoll­e Musik Monteverdi­s virtuos und gefühlvoll umsetzen.

Die Begeisteru­ng des Publikums äußert sich ohrenbetäu­bend: Riesenappl­aus, trampelnde Füße erzeugen Donnergetö­se, dazu laute „Bravo-Rufe“. Zu Recht! Termine: 7. und 15. Oktober, 7. und 19. November, 20 Uhr; Karten: Telefon 02166 6151100, online auf www.theater-kr-mg.de.

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FOTO: MATTHIAS STUTTE James Parker, Agnes Thorsteins, Andrew Nolen, Panagiota Sofroniado­u und Alexander Kalina (v.l.) in einer Szene der Oper „Der seltsame Fall des Claus Grünberg.

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