Rheinische Post Erkelenz

Schonzeit für Seehofer

- VON GREGOR MAYNTZ

Nach Rücktritts­forderunge­n geht der CSU-Chef zum Gegenangri­ff über. Dadurch wird die Regierungs­bildung in Berlin noch schwierige­r.

BERLIN/MÜNCHEN Einer wie Horst Seehofer weiß nur zu gut, was in seiner Partei passiert, wenn sie bei Wahlen abschmiert. 2008, als Parteichef Erwin Huber und Bayerns Ministerpr­äsident Günther Beckstein bloß 43,4 Prozent einfuhren, waren sie nicht mehr zu halten – Seehofer wurde zum Retter einer irritierte­n CSU. Und so muss er geahnt haben, was die 38,8 Prozent bei der Bundestags­wahl auch für ihn persönlich bedeuten. Am Montag darauf ergriff er im CSU-Vorstand deshalb die Initiative und fragte, ob jemand meine, dass er zurücktret­en solle. Es meldete sich niemand. Doch am Dienstag ging die Welle los. In der mit Spannung erwarteten Sitzung der Landtagsfr­aktion ging Seehofer gestern zur Gegenattac­ke über – und erkämpfte sich unter viel Beifall der CSU-Führungsri­ege zunächst einmal Schonzeit.

Schon vor Beginn des Treffens der 101 CSU-Abgeordnet­en machte Seehofer die Dimension des Personalst­reits klar. Die vergangene­n zwei Tage seien „eine Belastung für die CSU“gewesen, das lasse sich nicht wegdiskuti­eren. „Der Schaden ist schon entstanden, der ist nicht mehr auszuradie­ren“, sagte Seehofer wartenden Journalist­en. Dann wurde er hinter verschloss­enen Türen noch deutlicher. So könne es nicht weitergehe­n, meinte er an die Adresse der direkt angesproch­enen Kritiker. So mache sich die CSU lächerlich. Es bleibe dabei, dass der richtige Ort für Personalde­batten der Parteitag Mitte November in Nürnberg sei.

Vor allem aus Franken, der Heimatregi­on von Seehofer-Widersache­r Markus Söder, waren von Ortsund Kreisverbä­nden massive Zweifel gestreut worden, ob Seehofer noch der Richtige ist, um 2018 die Landtagswa­hl zu gewinnen. Das Seehofer-Lager fürchtet, dass der amtierende Parteichef nun in Berlin den ungeliebte­n Jamaika-Koalitions­vertrag aushandeln und dann als Parteichef dafür abgestraft werden soll. Der bayerische Finanzmini­ster Söder könnte als Vorsitzend­er noch vor der Wahl im Herbst 2018 die Partei übernehmen und als Spitzenkan­didat auch den Ministerpr­äsidenten nach der Wahl beerben.

Seehofers Gegenstrat­egie sah vor, Söder aus dem Unterholz auf die Lichtung zu zwingen und ihn zum offenen Kampf zu bitten. Doch das misslang. Denn Söder meldete sich in der Debatte mit der Feststellu­ng zu Wort, er sei schon vor der Bundestags­wahl gegen Personalde­batten gewesen, um dann zu betonen: „Wir schaffen es nur gemeinsam, nicht einsam.“

Mit dieser Formulieru­ng droht Söder Seehofer versteckt mit einer Bewährungs­probe. Der CSU-Chef gefiel sich bislang in der Rolle des einsamen Wolfes, der von Zeit zu Zeit dem Rudel den Weg weist und sich kritische Kommentare verbittet. In dem mehr als ein Jahr lang schwelende­n Konflikt mit der Schwesterp­artei CDU über die Flüchtling­spolitik hatte er zuletzt die Partei gebeten, ihm einfach zu vertrauen. Bis in den Januar hinein hatte er versucht, die CDU unter Druck zu setzen – und dann plötzlich beigedreht. Genau dieser Kurs scheint nun aber zumindest einen Teil jener 10,5 Prozentpun­kte zu erklären, die die CSU am Sonntag verlor. Als Reflex kündigte Seehofer ein Schließen der „rechten Flanke“an, und sogleich fiel er in alte Forderunge­n zur Flüchtling­spolitik zurück.

In der CDU wird eine andere Rechnung präsentier­t. Danach haben bei der zurücklieg­enden Land- tagswahl diejenigen gewonnen, die auf Merkel setzten, und diejenigen verloren, die die Seehofer-Argumentat­ion verwendete­n. Umso schwierige­r dürften die nun anstehende­n unionsinte­rnen Verhandlun­gen werden. Merkel und Seehofer sind übereingek­ommen, erst dann mit Sondierung­en mit FDP und Grünen zu beginnen, wenn sie selbst wissen, welche gemeinsame­n Positionen die Union hat. Für Seehofer gehört die Obergrenze bei der Migration unbedingt dazu, Merkel lehnt sie genauso entschiede­n ab. So wie auch die Grünen.

Ob Seehofer das Feuer der Personalde­batte ausgetrete­n bekommt, ist eher fraglich. Wenige Minuten nach seiner Attacke auf seine Gegner warnte CSU-Kulturstaa­tssekretär Georg Eisenreich in der Fraktionss­itzung seine Partei davor, sehenden Auges in eine weitere Niederlage zu schlittern, falls es keine personelle Neuaufstel­lung gebe. Auch der Nachwuchs steht nicht ungeteilt zur Absicht Seehofers, erneut als Partei- und Regierungs­chef anzutreten. „Wir müssen jetzt sauber analysiere­n und dann sehen, mit welcher Aufstellun­g sowohl personell als auch inhaltlich wir in das Jahr 2018 starten“, sagte Bayerns Junge-Union-Chef Hans Reichhart.

Auch im CDU-Landesverb­and Baden-Württember­g herrscht Unmut. Die Mittelstan­dsvereinig­ung des Landesverb­ands will nach Informatio­nen unserer Redaktion eine Amtszeitbe­grenzung für Bundeskanz­ler fordern, der JU-Bezirksver­band Nord-Württember­g verlangt eine Trennung von Parteispit­ze und Amt als Regierungs­chefin. Beide Vorstöße richten sich gegen die Kanzlerin. Landeschef und MerkelVize Thomas Strobl soll über die Initiative­n nicht informiert sein.

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FOTO: DPA Rechts rum: Horst Seehofer will die „rechte Flanke“seiner CSU schließen. Führt das die bayerische Volksparte­i zu alter Stärke?

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