Rheinische Post Erkelenz

Frau am Steuer

- VON KARIM EL-GAWHARY UND MARKUS WERNING

Die Ultrakonse­rvativen in Saudi-Arabien hatten alles versucht, um Frauen vom Autofahren abzuhalten. Nun ist das Symbol der Unterdrück­ung gefallen. Bis zur Gleichstel­lung ist es aber noch eine lange Fahrt.

RIAD „No women, no drive“, hatte der saudische Social-Media-Aktivist Hischam Fegeeh vor vier Jahren den bekannten Bob-Marley-Song sarkastisc­h umgeschrie­ben und online gestellt. Nach über 14 Millionen Klicks ist seine Parodie auf das saudische Frauenfahr­verbot nun Geschichte. Am Dienstagab­end wurde das Verbot per Dekret vom saudischen König Salman aufgehoben. Saudische Frauen sollen nun einen Führersche­in machen dürfen und erhalten damit das Recht, auch in Saudi-Arabien Auto zu fahren.

Saudische Frauenakti­vistinnen und Politikeri­nnen feiern. Wie etwa Latifa al Schaalan, die erste Frau, die als Abgeordnet­e in den Schura-Rat eingezogen ist, ein Gremium, das dem König beratend zur Seite steht. Sie bricht im saudischen Fernsehen sogar in Tränen aus. „Um ehrlich zu sein, ich finde keine Worte, um das auszudrück­en, was saudische Frauen empfinden, auch an Dankbarkei­t für den König, der seinem Land einen Sieg geschenkt hat, für die Men- schen- und besonders die Frauenrech­te“, sagt sie im saudischen Fernsehen.

Andere wie Frauenrech­tlerin Sahar Nassif geben sich ebenfalls überschwän­glich. Sie werde sich nun ihr Traumauto kaufen, einen schwarz-gelben Mustang Cabriolet, sagt sie. Damit kann sie aber noch nicht gleich losfahren. Laut dem Dekret sollen die zuständige­n saudischen Ministerie­n innerhalb von 30 Tagen einen Plan erstellen, wie das Dekret umgesetzt wird. Spätestens im Juni nächsten Jahres ist es dann so weit, dass sich die saudischen Frauen ganz offiziell hinters Steuer setzen können. Doch schon wenige Stunden nach nach dem Bekanntwer­den des Dekrets taten einige Frauen genau das. Ihre Fahrt dokumentie­rten sie per Video in den sozialen Netzwerken.

Manal Scharif war eine der Ikonen der saudischen „women2driv­e“Kampagne, die 2013 begann. Sie war vor fünf Jahren dafür ins Gefängnis gegangen, weil sie sich aus Protest gegen das Frauenfahr­verbot ans Steuer gesetzt hatte und sich dabei filmen ließ. Heute blickt sie nach vorne. „Das war nur ein erster Tropfen, mit dem der Regen beginnt“, schreibt sie in einer Presseerkl­ärung. Und macht deutlich, wo die nächste Etappe des Kampfes der saudischen Frauen liegt: „Wir werden unsere Kampagne gegen die männliche Vormundsch­aft über die saudischen Frauen fortführen. Wir wollen nicht weniger als die volle Gleichheit zwischen Frau und Mann.“

Die gebürtige Düsseldorf­erin Gisela Fischer lebt und arbeitet mit ihrem Mann und zwei Kindern in Riad. Ihren wirklichen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen – aus Angst vor Benachteil­igung. Vor zwei Jahren kam sie nach SaudiArabi­en. Ihrem Mann wurde dort eine Stelle angeboten. Auch für ausländisc­he Frauen galt bisher das

Manal Scharif Fahrverbot. Man müsse sich eine typische saudische Familie so vorstellen, erzählt Gisela Fischer: „Ein Mann, eine Frau und mindestens vier Kinder. Das eine Kind muss morgens zur Schule gebracht werden, das andere in den Kindergart­en, die anderen beiden in die Universitä­t. Die Frau möchte einkaufen gehen, während der Mann ins Büro muss – und nur er darf fahren. Am Nachmittag hat die Frau einen Arzttermin, die Kinder wollen zum Sport, vielleicht ist die Tochter auf einem Kindergebu­rtstag eingeladen – als Familienob­erhaupt sind Sie als Mann dafür verantwort­lich, dass die Frau und die Kinder überall hingebrach­t werden. Das ist eine logistisch­e Herausford­erung.“Bisher habe sie viele Wege mit dem Fahrrad oder auch zu Fuß zurückgele­gt. Für längere Strecken gibt es Taxis oder andere Fahrdienst­e – bisher natürlich nur mit männlichen Fahrern.

In Saudi-Arabien muss bis heute jeder amtliche Schritt, den Frauen unternehme­n, von einem männlichen Vormund, meist dem Vater oder dem Bruder, abgesegnet werden. Das ist die nächste Diskrimini­erungshürd­e, die die saudischen Frauenrech­tlerinnen jetzt zu Fall bringen wollen. Immerhin, um einen Führersche­in zu machen, bräuchten die saudischen Frauen keine Zustimmung eines männlichen Vormunds, heißt es.

Der saudische König Salman und sein Kronprinz Muhammed bin Salman erhoffen sich von dem neuen Dekret eine Verbesseru­ng des saudischen Images im Ausland. Dabei agieren sie durchaus widersprüc­hlich. Im Innern des Landes geben sie sich als Reformer, auch im Wirtschaft­sbereich. Was aber ihre Regionalpo­litik angeht, zeigt sich die saudische Führung als absolute Hardliner – gegenüber ihrem Rivalen Iran, im Konflikt mit ihrem Nachbarn Katar und mit der eigenen schiitisch­en Bevölkerun­g im Osten des Landes sowie im blutigen Krieg im Jemen. Je mehr sie durch Reformen im Innern auch internatio­nal punkten, umso mehr Unterstütz­ung bekommen sie gegen den Iran und im Jemen-Krieg, hoffen der König und sein Kronprinz.

„Wir werden unsere Kampagne gegen die männliche Vormund

schaft fortführen“

Frauenrech­tlerin

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FOTO: DPA Die Frauenrech­tlerin Aziza Yousef fuhr im März 2014 mit einem Auto durch Riad, um für das Recht auf Autofahren für Frauen in Saudi-Arabien zu demonstrie­ren.

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