Corbyn: „Labour ist bereit“
Der britische Alt-Linke schwimmt auf einer Erfolgswelle. Nächstes Ziel: Premierministerin May stürzen.
BRIGHTON Erfolg macht sexy. Vor einem Jahr war Jeremy Corbyn praktisch abgeschrieben. Der LabourChef galt als Alt-Linker, der zwar von der Basis geliebt, aber von seinen Kollegen in der Fraktion verachtet wurde und in den Umfragen keinen Blumentopf gewinnen konnte. Dann kam die von Premierministerin Theresa May ohne Not angesetzte Neuwahl, und Corbyn überraschte jedermann. Der 68-Jährige gewann 30 Sitze für Labour hinzu, jagte den Konservativen ihre absolute Mehrheit ab und würde, glaubt man den jüngsten Umfragen, bei der nächsten Wahl in die Downing Street Nummer zehn einziehen.
Kein Wunder also, dass der Parteitag von Labour im südenglischen Brighton zu einer regelrechten Huldigung geriet. Corbyns Konterfei auf T-Shirts und Tee-Bechern fand reißenden Absatz. Innerhalb der Fraktion ist der Widerstand gegen ihn zusammengebrochen, denn gegen Corbyns Erfolg an der Wahlurne – er hat immerhin 40 Prozent der Stimmen holen können – lässt sich nicht argumentieren.
„Wir sind“, rief er den Genossen in seiner Rede zum Abschluss des Parteitags zu, „zu einer Regierung im Wartestand geworden. Unsere Botschaft an unser Land könnte nicht deutlicher sein: Labour ist bereit.“Der Opposi- tionschef vertritt ein unverhohlen sozialistisches Programm: Verstaatlichung der Eisenbahn, der EnergieUnternehmen, der Wasserwerke und der Königlichen Post. Eine Reichensteuer soll eingeführt und die Austeritätspolitik beendet werden. Man will ein öffentliches Investitionsprogramm in Höhe von einer halben Milliarde Pfund (570 Millionen Euro) auflegen und die Körperschaftsteuer anheben. Der Mindestlohn wird auf zehn Pfund (elf Euro) pro Stunde gehievt und die Studiengebühren gestrichen. Es ist, wie Corbyn unterstreicht, „ein Sozialismus für das 21. Jahr- hundert: für die vielen, nicht die wenigen.“Heute würden 43 Prozent der Briten Labour wählen, aber nur 39 Prozent die Konservativen, teilte das Umfrageinstitut Yougov mit.
Zum Streitthema Nummer eins, dem Brexit, sagte Corbyn allerdings wenig. Man sei bereit, „eine neue und progressive Beziehung mit Europa“zu bauen, sagte er, führte aber nicht aus, wie die aussehen könnte. Labour hat sich als die Partei des weichen Brexit positioniert – man will möglichst lange im Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben, aber die EU-Einwanderung kontrollieren. Die Zerrissenheit der Torys bei dem Thema, hofft der Labour-Chef, wird bald wieder zu einer Neuwahl führen. Labour, das war Corbyns Botschaft in Brighton, stehe „an der Schwelle zur Macht“.