Rheinische Post Erkelenz

„Kein Handy bei den Mahlzeiten!“

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Erfinder und Beobachter des „Pubertiers“rät, Jugendlich­en mehr Freiraum zu gönnen – in bestimmten Fragen aber strikt zu sein.

DÜSSELDORF Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist berühmt geworden durch Geschichte­n über seinen italienisc­hen Schwiegerv­ater, der als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d kam. In seinem ironisch-heiteren Ton hat er auch die Episoden aus dem Leben mit seinen Teenager-Kindern verfasst. Die „Pubertier“-Bücher sind Bestseller und wurden für Kino und TV verfilmt. Viele Menschen wünschen sich Kinder, aber niemand will ein Pubertier – warum sind die so unbeliebt? WEILER Weil sie so anstrengen­d sind. Kinder sind natürlich zu jeder Lebenszeit anstrengen­d, aber anfangs ist das eher körperlich, man muss sie durch die Gegend tragen oder aus dem Matsch ziehen. Bei den Pubertiere­n kommt die PsychoKomp­onente dazu. Die Kinder bekommen eine eigene Meinung, Haltung, Weltsicht – aber keine Einsicht. Brauchen Pubertiere vor allem Toleranz oder klare Ansagen? WEILER Beides. Ich finde es zum Beispiel überhaupt nicht gut, wenn Eltern ihre Kinder ständig darauf hinweisen, dass sie die falsche Kleidung tragen oder schlechte Musik hören und schlimme Schauspiel­er toll finden. Das sollen doch die Pubertiere selbst entscheide­n, sie müssen sich doch ausprobier­en! Da sollten Eltern Toleranz zeigen und sich daran erinnern, wie es ihnen früher selbst ging, wenn die Eltern ihnen alles madig machen wollten. Bei den Wertevorst­ellungen dagegen, wenn es wirklich wichtig wird, brauchen Pubertiere klare Ansagen. Da muss man ihnen sagen: Das geht nicht, das machen wir hier nicht! Zum Beispiel? WEILER Es gibt nur wenige Beispiele, bei denen ich mich durchgeset­zt hätte. (lacht) Was ich immer schrecklic­h fand: Wenn zu den Mahlzeiten Handys auf dem Tisch liegen. Das kann ich nicht ausstehen. Auch bei Erwachsene­n nicht. Es ist ein Unding, wenn Menschen am Tisch beieinande­r sitzen und die ganze Zeit auf ihre Handys glotzen. Das ist rücksichtl­os gegenüber denen, die gekocht haben, es ist langweilig und mir gefällt schon die Sitzhaltun­g nicht, die man dann einnimmt. Ich habe also von Anfang an klar gesagt: keine Telefone am Tisch. Auch nicht bei meiner Frau und mir. Was raten Sie Menschen, die plötzlich feststelle­n, dass in ihrem Kinderbett­chen ein Pubertier liegt? WEILER Da kann man nichts raten außer: Gelassenhe­it. Die Gelassenhe­it, die man selbst natürlich nicht hat. Ich bin weder Pädagoge noch Psychologe, ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Und da kann ich sagen: Was am besten hilft bei Konflikten mit dem Pubertier ist: sich ein bisschen zurückzieh­en, bisschen auf Abstand gehen, bisschen Klappe halten und in Ruhe lassen. Der größte erzieheris­che Irrtum besteht doch darin, dass Menschen glauben, sie müssten ihren Kindern viel mitteilen. Das ist nicht so. Kinder übernehmen den Wertekanon der Eltern sowieso. Wenn Eltern einigermaß­en anständig miteinande­r umgehen, werden die Kinder das mit anderen auch tun. Man muss ihnen nicht andauernd Vorträge halten. Das endlose Rumgetexte an den Kindern ist eine Seuche. Natürlich hat das auch mit Unsicherhe­it zu tun. Viele Menschen können Stille nicht ertragen und denken, dass immer etwas gesagt werden muss. Unsicherhe­it entsteht ja auch, weil es so viele Meinungen zu Erziehungs­fragen gibt. Helikopter­eltern werden geschmäht, die Dinge einfach laufen lassen, empfiehlt sich für den Um- gang mit Pubertiere­n aber auch nicht. WEILER Das hat damit zu tun, dass die Welt so viel unübersich­tlicher geworden ist. Kinder haben durch die technologi­sche Entwicklun­g so unfassbar viele Zerstreuun­gsmöglichk­eiten. Bei uns gab’s drei Programme, einen Plattenspi­eler und ein Kassettend­eck. Fertig. Heute gibt es allein sieben verschiede­ne Spielekons­olen, und Computer, Smartphone, Ipad, Tod und Teufel. Es ist also objektiv schwierige­r geworden für Kinder, ihren Weg zu finden. Und für Eltern, ihnen diesen Weg zu zeigen. Früher gab es eine gut betonierte Weltsicht: Wir hier, da die Russen. Dazu noch ein bisschen sauren Regen und Waldsterbe­n, das war’s doch eigentlich. Heute muss man sich wieder fragen, wie man Pubertiere so erzieht, dass sie nicht auf Populisten hereinfall­en. Was raten Sie? WEILER Cool bleiben. Die Jugendlich­en sind nicht doof, sie sehen von selber, dass der Opa mit der Försterkra­watte dummes Zeug redet. Außerdem setze ich hier auf die Kraft der Filterblas­e. Solange die Kinder ihre politische­n Informatio­nen von Olaf Schubert, Nico Semrott und der Heute-Show beziehen, mache ich mir keine Sorgen, dass sie nach Rechts abdriften. Sind Ihre Bücher vielleicht deswegen so erfolgreic­h, weil Sie weder Pädagoge noch Psychologe sind, also nichts besser wissen, dafür vieles selbst durchleide­n? Brauchen Eltern mehr Beistand? WEILER Viele Menschen reagieren auf meine Lesungen mit dem Satz: Genau wie bei uns! Die Leute sind auch inkonseque­nt und unsicher und fühlen sich selbst noch nicht alt. Mit 50 ist man heute ja nicht auf dieselbe Art 50 wie vor 30 Jahren. Man ist ja popkulture­ll sozialisie­rt, da ist es schwer, die Elternroll­e richtig zu finden und auszufülle­n. Wenn man diese Unsicherhe­it selber spürt und den Leuten nicht vormacht, man wisse, wie man richtig erzieht, dann hören sie einem auch zu. Ich blende die großen Kümmerniss­e in meinen Texten aus. Erzähle eher heiter. Nicht, weil ich um die Katastroph­en, die es auch geben kann, nicht wüsste. Ich möchte den Leuten das Gefühl geben, dass das Leben mit einem Pubertier schwierig ist, aber zwischendu­rch auch lustig.

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FOTO: IMAGO Autor Jan Weiler

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