Rheinische Post Erkelenz

„Panneschöp­p“nur noch zu erahnen

- VON KURT LEHMKUHL

In die Blütezeit der Dachziegel­produktion in Wassenberg im 19. Jahrhunder­t entführte Walter Bienen vom Heimatvere­in die Teilnehmer eines heimatkund­lichen Spaziergan­gs. Überreste eines Dachziegel­ofens bei „Tante Lucie“.

WASSENBERG Der kleine Hügel am Rande des Spielplatz­es neben dem Restaurant „Tante Lucie“lässt allenfalls erahnen, dass er die Überreste des letzten Dachziegel­ofens von Wassenberg darstellt. Der Zuhörer muss sich auf das verlassen, was ihm Walter Bienen, Stadtgäste­führer des Heimatvere­ins Wassenberg, bei diesem kulturhist­orischen Spaziergan­g einleuchte­nd erklärt. Fast 30 Interessen­ten haben sich zu dem Rundgang mit Bienen zu den ehemaligen Panneschöp­p eingefunde­n.

„Elf bis 13, also wahrschein­lich zwölf Panneschöp­p hat es in diesem Bereich nahe ,Tante Lucie’ Ende des 19. /Anfang des 20. Jahrhunder­ts gegeben“, berichtet Bienen vor Ort. Sie alle sind verschwund­en. Unter einer Villa gegenüber der Wingertsmü­hle vermutet er gleich mehrere Brennstell­en.

Ein Zeitungsar­tikel vom 7. September 1929, den Bienen im Kreisarchi­v in Heinsberg entdeckt hatte, brachte ihn auf die Spur der ehemaligen Öfen. Hubert Wild, wie sein Vater zuvor Forstmeist­er im Judenbruch, war zwar 1917 nach Pommern gezogen, hatte aber die Beziehung zu seiner Heimat nie verloren, kehrte 1929 zurück und berichtete in einer Artikelser­ie über das frühere Wassenberg. Dabei stieß Bienen auf Wilds Schilderun­g der Panneschöp­p, der Schuppen, in denen Dachziegel gebrannt wurden.

Seine Neugier war geweckt, inzwischen weiß er so ziemlich alles über die Panneschöp­p in Wassenberg. Nicht ohne Grund waren sie in der Nähe von „Tante Lucie“und der Wingertsmü­hle angesiedel­t. Von dort war es nicht weit bis zu den Tongruben zwischen Myhl und Ratheim. Rund 150 Morgen groß war die Abbaufläch­e. Mit Kippwägelc­hen wurde das Material auf einer Eisenbahn transporti­ert. Auch diese Trasse ist fast nur noch zu erahnen.

„1870/1880 befand sich die Ziegelindu­strie in voller Blüte“, schildert Bienen. „Die Arbeiter in den Panneschöp­p wurden Tichelbäck­er, Pannebäcke­r oder Dachziegle­r genannt. Nach der Arbeit genossen sie oft einen feucht-fröhlichen Abend bei ,Tante Lucie’“, meint er nach der Lektüre von Wilds Zeitungsar­tikeln. 5000 Ziegel wurden bei einem Brennvorga­ng hergestell­t. Alle diese Informatio­nen vermittelt der Stadtgäste­führer seinen Begleitern, die auch aus Niederkrüc­hten, Heinsberg, Erkelenz und Hückelhove­n gekommen sind, um zu erfahren, was es mit den Panneschöp­p in Wassenberg auf sich hat.

Die Geschichte der Dachziegel­industrie in Wassenberg endet dramatisch im Zweiten Weltkrieg. Doch schon zuvor hatte der Untergang eingesetzt. Zum einen machte die Konkurrenz aus Brüggen-Bracht den Panneschöp­p zu schaffen, zum anderen könnte es auch an der Qualität des Tons gelegen haben. Entscheide­nd war aber die maschinell­e Produktion von Dachziegel­n, die von Frankreich ausgehend im Rheinland Folgen hatte.

Mit dem Bahnanschl­uss kamen 1911 billigere Dachziegel aus Frankreich nach Wassenberg – Beginn des Niedergang­s

„Mit dem Bahnanschl­uss kamen 1911 auch die Dachziegel aus Frankreich nach Wassenberg“, schildert Bienen. Mit den günstigen Preisen konnten die in Handarbeit hergestell­ten „Panne“aus der Region nicht mithalten. Brennofen nach Brennofen wurde aufgegeben, lediglich die Dachziegel­fabrik Jansen stemmte sich gegen den Niedergang und versuchte den Aufbau einer maschinell­en Produktion. Nach einem Bombeneins­chlag brannte die Fabrik aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte das Geld zum Neubeginn. Das Ende der Dachziegel­produktion in den Wassenberg­er Panneschöp­p war besiegelt.

 ?? RP-FOTO: LEHMKUHL ?? Nahe der Wingertsmü­hle (Hintergrun­d) und des Restaurant­s „Tante Lucie“wurden früher Dachziegel gebrannt. Stadtgäste­führer Walter Bienen (Mitte) erzählte bei einer Führung über diesen Handwerksz­weig.
RP-FOTO: LEHMKUHL Nahe der Wingertsmü­hle (Hintergrun­d) und des Restaurant­s „Tante Lucie“wurden früher Dachziegel gebrannt. Stadtgäste­führer Walter Bienen (Mitte) erzählte bei einer Führung über diesen Handwerksz­weig.

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