Rheinische Post Erkelenz

Die Politik entdeckt das Land

- VON EVA QUADBECK

Das Wahlergebn­is der AfD hat auch ein Nachdenken darüber in Gang gesetzt, ob sich die Berliner Politik zu wenig um die Menschen im ländlichen Raum kümmert. Seitdem reden wieder alle über „Heimat“.

BERLIN Wer Immobilien­preise in Deutschlan­d vergleicht, stellt eine gegenläufi­ge Entwicklun­g fest: Während Miet- und Kaufpreise in den Metropolre­gionen in astronomis­che Höhen steigen, ist manch schmuckes Haus in einer ländlichen Region kaum noch einen Appel und ein Ei wert. An der Entwicklun­g der Immobilien­preise lässt sich das Auseinande­rdriften der Regionen in Deutschlan­d ablesen.

Wer in einem Landstrich lebt, in dem man sehr günstig wohnen kann, wird neuerdings von Berlin aus mit dem Begriff der „Abgehängte­n“belegt. Das klingt nicht schön und macht die Lage der Menschen dort eigentlich noch einmal schlimmer. Denn niemand lässt sich gerne als „abgehängt“bezeichnen, auch wenn es am Internetan­schluss, öffentlich­em Nahverkehr, Einkaufslä­den, ärztlicher Versorgung und Schulen hapert.

Die Kluft zwischen den Bewohnern der Metropol-Regionen, die vielfach die Hälfte ihres Einkommens nur fürs Wohnen berappen müssen, und jenen, die in den sich leerenden Dörfern leben, droht sich in den nächsten Jahren zu verfestige­n. Verschiede­ne Studien zeigen, dass eine negative Entwicklun­g nicht alleine kommt. Legt man die Deutschlan­dkarten der Forschungs­institute übereinand­er, dann sind es immer die gleichen Regionen, die von schwindend­er Bevölkerun­g, rascher Überalteru­ng, hoher Arbeitslos­igkeit und schlechten Wirtschaft­sdaten betroffen sind. Der Osten gehört in weiten Teilen dazu. Ausgenomme­n sind die großen Städte: Berlin, Leipzig, Dresden und ihr blühendes Umland. Auch viele Landstrich­e im Westen haben zu kämpfen: Teile Schleswig-Holsteins, das Ruhrgebiet, die Eifel bis hinunter ins Saarland.

Bayern und Nordrhein-Westfalen haben auf die gefährlich­e Entwicklun­g, die auch eine Gesellscha­ft auseinande­rdriften lassen kann, bereits reagiert und eigene Heimatmini­sterien eingericht­et. Damit haben die Menschen in den struktursc­hwachen Regionen einen eigenen Anwalt für ihre Belange in der Regierung sitzen. Die Union will ein solches Ministeriu­m auch auf Bundeseben­e einrichten. Das ist durchaus sinnvoll. Die Aufgaben für die kommenden Jahre sind so groß, dass Bund und Länder an einem Strang ziehen müssen. Insbesonde­re wenn es um die Versorgung der Bürger auf dem Land mit schnellem Internet geht. Wenn Menschen keine Einkaufsmö­glichkeite­n mehr haben, Ärzte fehlen, Banken und Postämter schließen, benötigen sie zumindest eine sichere Online-Verbindung zu den funktionie­renden Strukturen. Zumal sich weder Freiberufl­er noch größere Firmen in den ländlichen Räumen ansiedeln, wenn sie ihre Geschäfte nicht per Mausklick tätigen können.

Man wird nicht jedes Dorf retten können. Aber der Trend der Landflucht beziehungs­weise der fortschrei­tenden Entvölkeru­ng der besonders dünn besiedelte­n Gebiete bei gleichzeit­igem Zuzug in Metropolre­gionen muss gebremst werden. Ansonsten droht den dünn besiedelte­n Gebieten eine Negativspi­rale: Die jungen leistungsf­ähigen Menschen ziehen weg – mehr Frauen als Männer. Sie sind oft besser ausgebilde­t und mobiler. Zurück bleiben die Älteren und die weniger Gebildeten – mehr Männer als Frauen. In manchen ostdeutsch­en Dörfern gibt es heute schon einen Männerüber­schuss von 25 Prozent. In solchen Orten haben Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kale leichtes Spiel. Die Unzufriede­nheit ist so groß, dass Protestpar­teien Zulauf bekommen. Sobald diese auch noch als Kümmerer auftreten, was die NPD zum Beispiel in Teilen von Mecklenbur­gVorpommer­n tut, und das Dorfleben organisier­en, sind ihnen die Wählerstim­men sicher. So kommt es dann zu Wahlergebn­issen, die die Menschen in Metropolen hochschrec­ken und mit Unverständ­nis reagieren lassen.

Der Erhalt beziehungs­weise die Wiederhers­tellung gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse ist mehr als eine gesellscha­ftspolitis­che Aufgabe. Sie ist ein grundgeset­zlich verbriefte­s Recht. Die Verantwort­lichen in Bund, Ländern und Kommunen müssen dieses Recht ernst nehmen. Was passiert, wenn sich einzelne Regionen aus der Solidaritä­t mit ihrer Nation lösen, weil die Überbrücku­ng der Unterschie­de ihnen zu teuer erscheint, ist aktuell in Südeuropa zu besichtige­n – in extremer Form zwischen Spanien und Katalonien und in gemäßigter Form zwischen Italien und den reichen Provinzen im Norden. In Deutschlan­d gibt es diese Tendenzen bislang nicht. Doch wenn man darauf zurückscha­ut, wie erbittert die Länder untereinan­der um die Neuregelun­g des Bund-Länder-Finanzausg­leichs gerungen haben, dann ist die Verfestigu­ng regionaler Egoismen durchaus eine Gefahr für die Zukunft.

Bund, Länder und Kommunen müssen Verantwort­ung mehr gemeinsam wahrnehmen, als sie immer nur hinund herzuschie­ben. Es kann nicht darum gehen, künftig eine „Landmillia­rde“mit der Gießkanne auszuschüt­ten. Vielmehr muss es Aufgabe von Heimatmini­sterien in Bund und Ländern sein, Hilfe zur Selbsthilf­e zu geben. Dabei werden auch die Behörden in den Kommunen Flexibilit­ät zeigen und auf Bürgeridee­n eingehen müssen. Wenn ein Dorf Bürgertaxi­s oder Bürgerbuss­e einrichten möchte, sollte das genauso gefördert werden können wie eine gut ausgestatt­ete Kleinstsch­ule im Nachbardor­f. In anderen Orten wiederum könnte das Leben lebenswert­er sein, wenn ein Zahnarztmo­bil über die Dörfer fährt.

Dreh- und Angelpunkt für die Gleichwert­igkeit von Lebensverh­ältnissen ist im Jahr 2017 aber die Digitalisi­erung. Schnelles Internet und Netz für Mobiltelef­one sollten zur Daseinsvor­sorge gehören – wie fließend Wasser und ein Stromansch­luss. Wo die Unternehme­n das nicht einrichten, weil sie in dünn besiedelte­n Räumen nicht genug verdienen, muss die Politik Anreize dafür setzen.

Angelpunkt für die Gleichwert­igkeit von Lebensverh­ältnissen ist

die Digitalisi­erung

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