Rheinische Post Erkelenz

„Die Hochschule­n wissen es selbst am besten“

- HENNING RASCHE, FRANK VOLLMER UND STEFAN WEIGEL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Die NRW-Wissenscha­ftsministe­rin verspricht Unis und Fachhochsc­hulen mehr Freiraum, sieht aber in der Forschung auch „Luft nach oben“.

DÜSSELDORF Isabel Pfeiffer-Poensgens Büro ist kahl – noch. Frisch gestrichen seien die Wände zwar, sagt Nordrhein-Westfalens parteilose Kultur- und Wissenscha­ftsministe­rin. Aber die Bilder fehlen noch, denn was ihre Vorgängeri­n Svenja Schulze (SPD) hatte aufhängen lassen, gefiel Pfeiffer-Poensgen nicht. Findungsph­ase also. Hochschulp­olitisch sei sie, sagt die Ministerin, noch „in der Betrachtun­gsphase“– heißt: Sie sucht das Gespräch mit den Rektoren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Große Linien ihrer Politik aber werden schnell klar. Können Sie die Klagen vieler Professore­n verstehen, Schulabgän­gern fehle heute oft die Studierfäh­igkeit? PFEIFFER-POENSGEN Dieses Argument kenne ich seit 20 Jahren. Das scheint mir eine Generation­enfrage zu sein – die Schwerpunk­te sind einfach unterschie­dlich. Die Qualifikat­ionen sind heute andere. Ähnliche Klagen führen Unternehme­n über die Bachelor-Absolvente­n. PFEIFFER-POENSGEN Dann wäre zu fragen, was genau fehlt und ob die Erwartunge­n realistisc­h sind. ... weil ein Studium nicht nur mit Einstellba­rkeit zu tun haben sollte? PFEIFFER-POENSGEN Seien wir realistisc­h: Unsere Absolvente­n müssen auf dem Arbeitsmar­kt bestehen können. Anderersei­ts sollte jede Hochschula­usbildung über die Qualifikat­ion für einen bestimmten Beruf hinausgehe­n. Es geht ja nicht nur um Spezialisi­erung, sondern auch darum, sich auf neue Herausford­erungen einzustell­en. Das geht über das enge Fachwissen hinaus. Ist unsere Bildung zu ökonomisie­rt? PFEIFFER-POENSGEN Darüber will ich mir in weiteren Gesprächen mit den Hochschule­n ein vertieftes Bild machen.

Aber einen Eindruck haben Sie doch. PFEIFFER-POENSGEN Es sollte in der Studienzei­t die Gelegenhei­t geben, den Blick zu weiten. Wir müssen uns die Frage stellen, ob das derzeit noch ausreichen­d möglich ist. Liegt das womöglich auch an der immer extremeren Spezialisi­erung der Bachelor-Studiengän­ge? PFEIFFER-POENSGEN Die Tendenz zu immer mehr spezialisi­erten Studiengän­gen ist in meiner Wahrnehmun­g inzwischen wieder rückläufig... ... in NRW gibt es allein mehr als 2000 Bachelor-Studiengän­ge. PFEIFFER-POENSGEN In dieser Angelegenh­eit entscheide­t jede Hochschule autonom. Aber eine stärkere Konzentrat­ion halten Sie schon für wünschensw­ert? PFEIFFER-POENSGEN Ja. Am Ende müssen die Studenten in jedem Fach auf einem gewissen Fundament aufbauen können. Und das geht bei thematisch sehr engen Studiengän­gen eben nicht. Da gab es sicher Übertreibu­ngen. Ist die NRW-Studierquo­te von rund zwei Dritteln zu hoch? PFEIFFER-POENSGEN Darüber habe ich neulich bei meinem Besuch in der Agentur für Arbeit NRW auch gesprochen. Die Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung sagte sehr klar: Nein! Bei Akademiker­n herrscht praktisch Vollbeschä­ftigung. Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft hat gesagt: Dieses Land braucht mehr Akademiker. Richtig? PFEIFFER-POENSGEN Das würde ich so pauschal nicht unterschre­iben. Muss die Politik da steuern? PFEIFFER-POENSGEN Bei uns herrscht Berufsfrei­heit. Wer lieber BWL studieren will, statt Handwerker zu werden, der soll das können. Wann kommt das neue Hochschulg­esetz? PFEIFFER-POENSGEN nächsten Jahres.

Im Laufe des Was muss dringend drinstehen? PFEIFFER-POENSGEN Was im Koalitions­vertrag steht: weniger Bürokratie, wieder mehr Autonomie der Hochschule­n. Die Durchgriff­srechte auf das Hochschulm­anagement etwa sollen abgeschaff­t werden. Danach können wir uns dem widmen, worum es eigentlich gehen sollte. Und das wäre? PFEIFFER-POENSGEN Gute Studienund Forschungs­bedingunge­n. Gehören gute Forschungs­bedingunge­n nicht ins Gesetz? PFEIFFER-POENSGEN zum Beispiel?

Welche ... die von Rot-Grün eingeführt­e Zivilklaus­el, die Hochschule­n auf friedliche Forschung verpflicht­et? PFEIFFER-POENSGEN Gute Forschung lässt sich nicht staatlich verordnen. Die Hochschule­n bestehen schließlic­h nicht aus Militarist­en, die nichts Besseres zu tun haben, als Rüstungsfo­rschung zu betreiben. Keine Hochschule ist gezwungen, sol- che Klauseln aus ihrer Grundordnu­ng wieder zu entfernen, wenn die Zivilklaus­el im Hochschulg­esetz gestrichen wird. Hochschule­n wissen selbst am besten, wie sie gut forschen und arbeiten. Warum wollen Sie den Hochschule­n wieder erlauben, die Anwesenhei­t der Studenten zu verlangen? PFEIFFER-POENSGEN Erstens ist das eine Frage der Hochschula­utonomie. Zweitens gibt es Formen der Lehre, bei denen Anwesenhei­t sinnvoll ist. Das muss vor Ort in den Gremien der Hochschule­n diskutiert und entschiede­n werden. Was bräuchte man, um aus der Uni Düsseldorf Harvard zu machen? PFEIFFER-POENSGEN Grundsätzl­ich inhaltlich­e Profilbild­ung – und sehr viel Geld, um die Betreuung zu verbessern. Uns fehlt hier allerdings die grundsätzl­iche Bereitscha­ft der Zivilgesel­lschaft wie in den USA, diese riesigen Beträge zur Verfügung zu stellen. Diese Art der Finanzieru­ng, verbunden mit hohen Studiengeb­ühren, erhöht für beide Seiten im Studium die Verbindlic­hkeit. Bereits in den siebziger Jahren haben wir uns in Deutschlan­d für ein ganz anderes Bildungssy­stem als das in den USA oder auch in Großbritan­nien entschiede­n.

Um wirklich Spitze zu werden, sind Milliarden nötig. Brauchen wir mehr private Finanzieru­ng? PFEIFFER-POENSGEN Ich habe keine Berührungs­ängste, mich mit Privaten zu verbünden, um bestimmte Ziele zu erreichen, etwa in der Forschung. Mehr Drittmitte­l von kleinen und mittleren Unternehme­n wären wünschensw­ert, und wir soll- ten überlegen, das steuerlich attraktive­r zu machen. Es gilt aber auch: Hochschulf­inanzierun­g, vor allem bei der Infrastruk­tur, ist in erster Linie staatliche Aufgabe. Man darf allerdings nicht vergessen: Nicht nur die Grundfinan­zierung kommt derzeit aus der öffentlich­en Hand, sondern auch der Großteil der Drittmitte­l. In der Endrunde der Exzellenzi­nitiative stehen 88 Anträge, davon 19 aus Nordrhein-Westfalen. Reicht das? PFEIFFER-POENSGEN Wir sind damit sehr zufrieden. Jetzt geht es darum, in der zweiten Phase zu reüssieren. Anders gefragt: Ist Nordrhein-Westfalen in der Exzellenzf­orschung seiner Bedeutung gemäß aufgestell­t? PFEIFFER-POENSGEN Die Hochschule­n im Land sind gut aufgestell­t, die Uni Bonn zum Beispiel ist nach der Zahl der zugelassen­en Anträge bundesweit­er Spitzenrei­ter, und auch die Uni Münster ist sehr gut aufgestell­t. Aber es ist auch immer Luft nach oben. Es wird Zeit, dass der alte Westen sich neu positionie­rt.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

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