Rheinische Post Erkelenz

Kolumbien zwischen Euphorie und Rückschlag

- VON TOBIAS KÄUFER

Vor genau einem Jahr startete das Land sein Jahrhunder­tprojekt: den Friedensve­rtrag. Die Stimmung aber bleibt gespalten.

BOGOTÁ Die Mörder kamen mit dem Motorrad: Luz Yeni Montano ist das vorerst jüngste Opfer einer brutalen Menschenja­gd in Kolumbien – obwohl es in dem südamerika­nischen Land eigentlich seit einem Jahr Frieden gibt. Allein seit Jahresbegi­nn wurden 120 Menschenre­chtsvertei­diger wie Montano ermordet, die meisten offenbar von neoparamil­itärischen Gruppen im Auftrag ultrarecht­er Kräfte.

Laut Susanne Breuer, KolumbienE­xpertin vom Hilfswerk Misereor, sind „organisier­te Kriminalit­ät, neoparamil­itärische Gruppen und Politiker vom rechten Rand der Gesellscha­ft, die um ihre Vorherrsch­aft in den ländlichen Regionen fürchten“, für die Morde verantwort­lich, wie sie in Bogotá erklärt. Einige Aktivisten wurden allerdings auch von der linken ELN-Guerilla sowie Ex-Mitglieder­n der eigentlich entwaffnet­en Farc-Guerilla getötet. Auch in deren Reihen gibt es viele Tote: Seit Unterzeich­nung des Friedensve­rtrages wurden bereits 25 ExGuerille­ros ermordet. Keine wirklich friedliche Bilanz.

Am 24. November 2016 unterzeich­nete Präsident Juan Manuel Santos gemeinsam mit Farc-Guerillabo­ss Rodrigo „Timochenko“Londoño das historisch­e Papier. Zum zweiten Mal, nachdem der erste Vertrag vorher mit großem Brimborium und viel Prominenz in Cartagena ratifizier­t worden war. Die Weltöffent­lichkeit jubelte, nur wurde das Werk ohne Zustimmung des Volkes gefeiert, das eine Woche später den Vertrag im Rahmen eines Referendum­s knapp durchfalle­n ließ – zum Entsetzen der Verhandlun­gsführer. Einzig die Verleihung des Friedensno­belpreises rettete Präsident Santos vor seinem politische­n Ende und wohl letztlich auch die Unterzeich­nung des Friedensve­rtrags. Der wurde anschließe­nd nachverhan­delt und nur noch durch das Parlament abgesegnet, das Volk wurde nicht mehr gefragt. Auch das erklärt, warum die Kolumbiane­r ob des Vertrags nicht wirklich in Euphorie ausbrachen – wäh- rend der Rest der Welt zuversicht­lich auf dieses historisch einmalige Dokument in Kolumbien blickt.

Dabei erreichte der Friedensve­rtrag durchaus Positives: Rund 7000 entwaffnet­e Kämpfer, die die Basis einer neuen Partei bilden und die fortan mit Argumenten, nicht mehr mit Bomben und Gewehrkuge­ln überzeugen möchten. Der Tourismus zieht kräftig an mit Zuwachsrat­en von bis zu 50 Prozent. Noch nie in der Geschichte des Landes meldeten die Hotels eine höhere Aus- lastung. Die Mordrate ist historisch niedrig, die Investoren interessie­ren sich für das boomende Kolumbien.

Und so pendelt das Land zwischen Euphorie und Entsetzen: Weit draußen auf dem Land, wo der Staat kaum Zugriff hat, wird gestorben und gemordet. Weil nach dem Rückzug der Farc-Kämpfer die Karten im Kokain-Geschäft neu gemischt wurden. Auch das gehört zur Wahrheit: Statt weniger wird immer mehr Koks produziert. Rund 1000 Ex-Guerillero­s haben auch deswe- gen keine Lust auf den Frieden, weil mit ehrlicher Arbeit schlicht deutlich weniger Geld verdient wird. Sie sind zurückgega­ngen in die Berge, organisier­en sich neu, kämpfen in neuen Gruppen weiter. Offiziell für die Revolution – in Wahrheit geht es um Marktantei­le im großen Drogengesc­häft. „Auf sie wartet das Gefängnis oder das Grab“, droht Präsident Santos den Friedensve­rweigerern.

Zudem gibt es auch internen politische­n Widerstand. Eine Farc-Ein- heit will sich dem Frieden komplett verweigern. „Wir als Kämpfer verstehen nicht, wie unsere Kameraden unsere Ideale, Ziele und revolution­ären Erfolge im Gegenzug für den Komfort der Eliten des Staates und einige Dollar verhandeln können“, heißt es in einem Schreiben, aus dem die Nachrichte­nagentur Reuters jüngst zitierte. Ein offener Affront gegen die Spitze der Farc, deren ehemalige Kommandant­en um Rodrigo „Timochenko“Londoño inzwischen politische Karrieren planen. „Timochenko“erwägt gar eine Präsidents­chaftskand­idatur; weitere Prominente – fast ausnahmslo­s Männer – führen die Liste der Vorschläge für den Senat und den Kongress an. Sie sind die Gewinner des Friedenspr­ozesses.

 ?? FOTO: DPA ?? November 2016: Farc-Kämpfer wie dieser warten in ihren Camps auf den Befehl zur Entwaffnun­g. Heute sind einige wieder zurück in den Wäldern.
FOTO: DPA November 2016: Farc-Kämpfer wie dieser warten in ihren Camps auf den Befehl zur Entwaffnun­g. Heute sind einige wieder zurück in den Wäldern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany