Rheinische Post Erkelenz

Wie hässliche Wohnblocks schön werden

- VON DIETER WEBER

Abreißen? Oder sanieren? Diese Frage stellen sich Wohnungsba­uunternehm­en, wenn sie ihren Altbestand aus den 1950er und 1960er Jahren betrachten. In Eicken entschied sich die GWSG fürs Sanieren – es entstand ein Modellproj­ekt.

Seit rund 30 Jahren wohnt Stephan Brings in Bettrath. Mehr als zwei Jahrzehnte fuhr der Architekt über die Eickener Straße in Richtung Innenstadt, und jedes Mal passierte er eine Ansammlung von Wohnblocks, die hässlich und herunterge­kommen waren. Typische Bauten aus den Anfängen der 1960er Jahre, als dringend und schnell Wohnraum für viele Menschen geschaffen werden mussten. Wenn Brings heute auf die Wohnsiedlu­ng auf dem Gelände eines ehemaligen Gleisdreie­cks schaut, dann präsentier­t sich ihm eine andere Anlage. Und es schwingt etwas Stolz in den Worten des 60-Jährigen mit, wenn er sagt: „An diesem Projekt habe ich mitgewirkt. Da steckt Herzblut drin.“

Denn als die Gemeinnütz­ige Wohnungsba­ugesellsch­aft (GWSG) ihn vor rund zehn Jahren beauftragt­e, sich Gedanken über die Wohnanlage zu machen, waren zwei Optionen möglich: Entweder die fünf viergescho­ssigen Mehrfamili­enhäuser mit 68 Drei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen und einer Gesamtwohn­fläche von mehr als 4600 Quadratmet­ern einfach abzureißen und auf dem Gelände neue Häuser zu bauen. Oder aber alles so zu sanieren, dass der Komplex nicht nur ein ansehnlich­es Äußeres bekommt, sondern auch modernisie­rt und energetisc­h optimiert wird. Als Brings kühn die Sanierung vorschlug, gab’s im GWSG-Aufsichtsr­at durchaus andere Meinungen. Doch als er seinen Entwurf präsentier­te, waren auch die Entscheide­r bei der Wohnungsge­sellschaft Feuer und Flamme für das neue Konzept.

Und als der erste Bauabschni­tt Anfang 2010 abgeschlos­sen war, wurde schnell deutlich: Mit den einstigen Zweckbaute­n hat die neue Anlage nichts mehr gemein. Innen veränderte Stephan Brings die Grundrisse der Wohnungen. Er hob die einst klassische Trennung in unterschie­dliche Räume und einem Mini-Badezimmer auf und sorgte für offene Wohnbereic­he und einem großzügige­n Bad. Zu den bestehende­n Treppenhäu­sern kam eine außen stehende Liftanlage hinzu. Für jeden Wohntrakt gibt es einen Aufzug, und wer diesen auf der jeweiligen Etage verlässt, erreicht über einen außen vor dem Gebäude vorbeiführ­enden Laubengang seine Wohnung und kann sie durch die Küche betreten. So gewährleis­tet der Architekt die Barrierefr­eiheit und sorgt dafür, dass die Laubengäng­e zur Kommunikat­ionszone werden. Das ist sichtbar: Gartenstüh­le stehen da, jede Menge Pflanzen, Figuren. Auch die einstigen kleinen Balkone sind größeren gewichen.

Mit einer besonderen architekto­nischen Idee, die auf den ersten Blick simpel erscheint, veränderte Brings die ganze Struktur der Anlage. Zwischen den vier Wohnriegel­n platzierte er zweistöcki­ge Flachbaute­n, in denen Sozialwohn­ungen untergebra­cht sind. So entstand nicht nur mehr Wohnraum, sondern dank zusätzlich­er Hecken auch eine klare Kante zur Straße hin. Die Blocks der 1960er Jahren hatten zur Straße hin den Giebel, die Rasenfläch­en zwischen den Trakten waren „oft menschenle­er“, so Brings’ jahrelange Beobachtun­g. Durch diese neuen Querriegel sind Innenhöfe entstanden, mit Bäumen, Sandkästen und Spielgerät­en. Selbst an einem trüben Novemberta­g sieht’s hier freundlich-herbstlich aus. Sogar zu zusätzlich­en 25 Garagen verhalf der Architekt den Bewohnern, indem er eine Kuhle, in der früher ein Spielplatz war, für einen Garagenhof nutzte. Der Spielplatz ist jetzt an einem anderen Ort.

Dass der technische Standard hoch und zeitgemäß ist, versteht sich von selbst. Das Energiekon­zept sah eine starke Dämmung der Wände, der Geschossde­cken und des Daches vor. Die Fenster haben Dreischeib­enverglasu­ng und die Lüftungsan­lagen ein Wärmerückg­ewinnungss­ystem. Unter den Dächern gibt es Energiezen­tralen, und Solarkolle­ktoren sind auf den Dächern installier­t. Das Land nahm das Vorhaben in das Projekt „50 Solarsiedl­ungen in NRW“auf, außerdem gewann die GWSG mit der Anlage den städtische­n Wettbewerb „Umweltgere­chtes Bauen“. Rund 10,8 Millionen Euro wurden in die Eickener Solarsiedl­ung investiert, entstanden sind 96 energieopt­imierte Wohneinhei­ten.

Fährt Stephan Brings jetzt an der Wohnanlage vorbei, dann registrier­t er durchaus, wenn in den Glasfronte­n der Querriegel Lampen kaputt sind. Aber das sind eher Kleinigkei­ten. Wichtig ist, dass der Übergang von Eicken nach Bettrath nicht mehr unter einer abrupten Zäsur durch lieblose, hässliche Wohnblocks aus den 1960er Jahren leidet. Nun sind sie schön. Und zeitgemäß.

„An diesem Projekt habe ich mitgewirkt. Da steckt Herz

blut drin“

Stephan Brings

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FOTO: BRINGS So sahen die Wohnblocks vor der Sanierung aus: hässlich und herunterge­kommen – typische Bauten aus den 1960er Jahren.
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