Rheinische Post Erkelenz

Den Schmerz um ein Sternenkin­d verarbeite­n

- VON SABINE MAURER

Wenn Babys tot auf die Welt kommen oder bald nach der Geburt sterben, ist die Erschütter­ung groß. Jedes Elternteil trauert auf seine Weise um das verlorene Kind.

Es ist zwölf Jahre her, dass Martina Plums Sohn Max tot auf die Welt kam. „Es ist ein Gefühl, als würde einem ein Teil des Körpers amputiert. In diesem Moment geht das Leben nicht weiter“, sagt sie. Bald nach der Geburt begann sie wieder mit der Arbeit, der Job gab ihr Halt.

Im Jahr 2015 wurden in Deutschlan­d 2786 Kinder tot geboren. 1353 Babys waren nur wenige Tage auf der Welt, bevor sie starben. Die Eltern dieser „Sternenkin­der“genannten Kleinen erlebten die vielleicht schwärzest­en Stunden ihres Lebens.

Auch in Martina Plums Leben war nichts mehr wie vorher – auch nicht in ihrem Umfeld. So wechselten Bekannte die Straßensei­te, um nicht mit ihr reden zu müssen. Sie erlebte, wie sie manchmal aggressiv wurde. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie Auto fahren geht. „Dinge, die man eigentlich aus dem Effeff kann, funktionie­ren erst mal nicht mehr.“

Damals gründete sie in ihrer Heimatstad­t einen Gesprächsk­reis für betroffene Eltern, aus dem schließlic­h der Verein Sternenkin­der-Vest wurde. Ein Jahr dauerte es, bis sie ihr Leben wieder normal leben konnte. „Aber die Trauer hört dann natürlich nicht auf“, sagt Martina Plum.

„Es ist ein Gefühl, als würde einem ein Teil des Körpers ampu

tiert. In diesem Moment geht das Leben nicht weiter“

Martina Plum

Verein Sternenkin­der-Vest

Jeder geht mit seiner Trauer anders um – auch die beiden Elternteil­e. Dies kann die Partnersch­aft zusätzlich enorm belasten. So haben Männer oft das Gefühl, sie müssten dafür sorgen, dass das Leben irgendwie weitergeht. Ihre Trauer verstecken sie mitunter, der Mann will der Beschützer sein und die Frau nicht auch noch mit seiner Trauer belasten.

Doch die Frau fühlt sich dadurch alleine in ihrem Schmerz. „Ich kenne keine Belastungs­probe für eine Beziehung wie der Tod eines geliebten Kindes“, erklärt der Psychologe Holger Schlageter. Hinzu kommt, dass Trauer extrem viel Energie kostet und möglicherw­eise keine mehr für den Partner übrig ist.

Dieses Risiko besteht auch im Umgang mit den Geschwiste­rn. Aber sie brauchen ihre Eltern. Dabei trauern Kinder allerdings anders als Erwachsene, der Verlust ist ihnen nicht unbedingt anzumerken. Vieles verarbeite­n sie unbewusst. Ih- nen können Therapien helfen, in denen sie weniger reden, sondern eher malen oder spielen.

Wichtig ist für Geschwiste­r – ebenso wie für Eltern –, dass das gestorbene Kind einen Platz in der Familie hat. Es darf nicht zum Tabu werden, sein Name darf und soll ausgesproc­hen werden. So wird zum Beispiel in der Familie von Martina Plum der Geburtstag von Max jedes Jahr mit Blumen an seinem Grab begangen.

„Ich habe dadurch gelernt, den Tod zu akzeptiere­n“, sagt die Trauerbegl­eiterin Edeltraud Edlinger. Sie ist Mutter von drei Kindern, eines von ihnen lag im Alter von sieben Wochen tot in der Wiege. Sie arbeitet nun in einer Beratungss­telle mit betroffene­n Eltern und hat das Buch „Gute Hoffnung, jähes Ende“der verstorben­en Autorin Hannah Lothrop aktualisie­rt.

„Am Anfang steht meistens der Schock, das Nicht-Wahrhaben-Wollen“, sagt sie. Der anschließe­nde Trauerweg sei ganz verschiede­n. Ein Besuch von Selbsthilf­egruppen – auch im Internet – kann helfen. So erleben die Eltern, dass sie nicht die Einzigen mit diesem Schicksal sind.

Die schlimmste Trauer dauert laut Edlinger oft mindestens so lange wie die Schwangers­chaft. Zu den aufkommend­en Emotionen können auch Wut und Schuldgefü­hle gehören. Manche Frauen fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben und warum sie ihr Kind nicht beschützen konnten. Oder sie suchen nach einem Schuldigen.

Es kann beim Trauern helfen, wenn die Eltern ihr Baby tot gesehen haben. „Das ist natürlich aber auch eine Frage, in welchem Zustand der Körper ist“, gibt Psychologe Holger Schlageter zu bedenken. Doch so haben die Eltern konkrete Erinnerung­en an ihr Kind. Sie können eine Haarlocke abschneide­n, Fotos machen, einen Fuß- oder Handabdruc­k nehmen. Damit bleibt etwas Greifbares zurück.

Ansonsten erleben die Frauen die Schwangers­chaft und die Geburt – und plötzlich ist ihr Kind weg. Wenn sie sich nicht verabschie­den können, suchen manche lange unbewusst nach ihrem Baby. Auch für die Angehörige­n und Freunde der betroffene­n Eltern ist die Nachricht oft ein Schock. Bei ihnen entsteht die Unsicherhe­it, wie sie sich verhalten sollen.

„Ganz wichtig ist es, keine Plattitüde­n von sich zu geben wie etwa ,Das wird schon wieder’ oder ,Du kannst doch noch ein Kind kriegen’. Die wirken wie Hammerschl­äge“, sagt Plum. Die eigenen Gefühle könnten mit Sätzen wie „Ich bin traurig“, „Ich bin erschütter­t“oder „Ich habe keine Worte“ausgedrück­t werden.

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Die Trauer sitzt tief: Sternenkin­der sind Babys, die tot auf die Welt kommen oder kurz nach der Geburt sterben.

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