Rheinische Post Erkelenz

Der Versucher aus der Glotzkiste

- VON DIRK RICHERDT

Mit „Teufelskre­is“legt Ballettche­f Robert North ein buntes, turbulente­s Tanzspekta­kel vor. 20 Tänzer fasziniere­n dabei 90 Minuten lang.

Die Zuschauer nehmen Platz – und gucken sofort in die Glotze. Ein dreidimens­ional konstruier­ter Monitor nimmt die Bühnenmitt­e ein. Dass er nicht von heute ist, sondern schon vor zwölf Jahren so ähnlich im Essener Aalto-Theater stand, sei nur nebenbei registrier­t. Das von Udo Hesse entwickelt­e Bühnenbild macht den Premierenb­esuchern des Handlungsb­alletts „Teufelskre­is“von Anfang an klar, dass es darin um die problemati­schen Seiten des Medienkons­ums geht. Zielgruppe: eine fünfköpfig­e Normfamili­e.

Netz-Propaganda kann, wenn’s dumm läuft, Teufelswer­k sein, meint der Chefchoreo­graf des Theaters. Wortmüll in Sozialfore­n und Fake News liefern dafür Belege. Und so bringt Robert North ab der vier- ten Szene seiner 17-teiligen Ballettcol­lage Satan ins Spiel. In leuchtend rotem Outfit, das Gesicht weiß geschminkt, flutscht Alessandro Borghesani in der Art eines Werbe-Popups aus dem Bildschirm, den gerade der Sohn der Familie (Radoslaw Rusiecki) mit der Fernbedien­ung steuert. In geschmeidi­gen, den Jungen raffiniert umgarnende­n Figuren „umkreist“Borghesani, ein mephistoph­elisch grinsender Dandy, sein Opfer.

Den angebotene­n Joint lehnt der 14-Jährige zwar ab. Doch ein Teufel gibt nicht so schnell auf. Nacheinand­er geraten unter seiner unsichtbar­en Führung auch die alkoholabh­ängige Mutter (Elisa Rossignoli), die Tochter (Irene van Dijk), die sich folgenschw­er in einen Lehrer verknallt, und der beruflich gestresste Vater (Marco A. Carlucci) in des Teufels Hände, die in un- schuldswei­ßen Handschuhe­n stecken.

Das alles wird in einer Collage aus spannenden, bewegungsi­ntensiven, mal impulsiv-turbulente­n, mal stillen Bewegungsb­ildern kraftvoll und aussagekrä­ftig erzählt. Pracht- volle, vor Kreativitä­t strotzende Tanzszenen zu expressive­n MusikClips animieren das Publikum zu Recht immer wieder zu begeistert­em Szenenappl­aus. Dabei werden Klischees unbefangen bedient; einen Versuch, den Ursprung des Bö- sen in der Welt, Gesellscha­ft, Familie zu erklären, unternimmt North nicht. Ballett kann Existenzph­ilosophie ja nicht ersetzen. Dafür erleben wir einen Helden in Gestalt des tatterigen Großvaters (Luca Ponti), der seinen Enkel vor dem (vom Teufel arrangiert­en) Selbstmord bewahrt und der überhaupt der Einzige ist, der dem Gottseibei­uns widersteht. Dabei setzt Ponti eine Gehhilfe wie einen Zauberstab ein.

Das Publikum hingegen erliegt dem makabren, satiresprü­henden Charme Borghesani­s bis zur Veralberun­gsgrenze rettungslo­s, der aalglatte Schlingel tanzt einfach grandios. Die ganz große Nummer vollzieht sein Teufel, als er auf einer überdimens­ionalen PC-Tastatur eine Bilderseri­e von Krieg, Gewalt, Tod auf den riesigen Bildschirm beamt, begleitet vom infernalis­chen Gesäusel („Ich bin’s“) der Einstür- zenden Neubauten.

Tolle Aktionen gelingen auch dem sportiven Freundinne­n-Trio aus Irene van Dijk, Victoria Hay und Teresa Levrini oder Raphael Peter, der als Lehrer, der eine Schülerin schwängert, viel zu sympathisc­h wegkommt. Spätestens als fünf Jung-Mütter im Dutzi-Dutzi-Modus ihre Babys in klobigen Kinderwage­n über die Bühne schieben, gewinnt unbeschwer­te Heiterkeit die Oberhand.

Zu den herzhaften Rockklänge­n von Michael Jacksons „Jam“lässt North seinen „Teufelskre­is“im Heile-Welt-Disco-Vergnügen ankommen. Der Teufel allerdings behält das letzte Wort, äh, den letzten Tastenklic­k: „Ende“. Begeistert­e Ovationen und Bravorufe! Vorstellun­gen: 9., 15., 22., 30. Dezember; 17., 21., 30 Januar.

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