Rheinische Post Erkelenz

REISE&ERHOLUNG

- VON BERND F. MEIER

VLIELAND (dpa) Mittags schmeißt Aant van der Veen den Motor an, und die 325 PS des bulligen Trucks erwachen zum Leben. „Vliehors Expres“steht auf dem knallgelbe­n ehemaligen Bundeswehr-Lkw, mit dem van der Veen Urlauber über den Strand von Vlieland kutschiert. Expres, das ist niederländ­isch und trotzdem ziemlich übertriebe­n. Mit gerade mal 15 km/h rollt der umgebaute Transporte­r gemächlich gen Westen, links ziehen haushohe Dünen vorbei, auf der rechten Seite braust die Brandung der Nordsee.

Sand und Meer sind für die 50 Gäste an Bord erst mal Nebensache: Gemeinsame­s Singen mit Wouter Bouma ist angesagt. Wouter ist 75 Jahre alt, gilt als der beste Akkordeons­pieler der Insel und sorgt seit 18 Jahren während der Trucktoure­n mit Musik für Schunkelst­immung. „An der Nordseeküs­te...“– das geht auch auf Niederländ­isch.

Irgendwann verschwind­en die Dünen, und das Land wird platt, hoher Himmel mit weißen Wolkenberg­en wölbt sich bis zum Horizont. „Wir erreichen nun Vliehors, die Sahara des Nordens“, ruft der 35-jährige Aant über das Bordmikrof­on. Vliehors ist die größte Sandbank Nordeuropa­s, deren Ausdehnung zwischen 21 und 25 Quadratkil­ometer schwankt. Mal Land und mal Meer, ständig im Wechsel der Gezeiten. An die Weite der Wüsten erinnern die Einsamkeit und Stille.

Stille? Wochentags wird die Ruhe manchmal jäh unterbroch­en. Ein Teil des Gebietes ist militärisc­he Sperrzone und wird von der Nato als Luft-Boden-Schießplat­z genutzt. Kampfjets donnern im Tiefflug über die Sandbank. Doch an den Wochenende­n kann der „Vliehors Expres“ungehinder­t bis zum westlichst­en Zipfel Vlielands vordringen.

Dort ist die Nachbarins­el Texel mit ihrem Leuchtturm zum Greifen nahe. Im Wattenmeer entdecken die Expres-Reisenden mit etwas Glück Dutzende Seehunde. Ein paar Holzstange­n im blütenweiß­en Sand kennzeichn­en den Anlegesteg der Personenfä­hre, die im Sommer regelmäßig zwischen Vlieland und Texel verkehrt.

Am Wochenende gehört Vliehors auch sportliche­n Strandwand­erern: Bis zu vier Stunden dauert ihre Tippeltour von der Gaststätte „Posthuys“bis zum urigen Strandgutm­useum „Drenkeling­enhuisje“, an dem auch van der Veen mit dem Truck einen Zwischenst­opp einlegt. In früheren Zeiten retteten sich hier die Schiffbrüc­higen vor den Sturmflute­n, heute laufen dort jedes Jahr ein paar Dutzend Verliebte in den Hafen der Ehe ein.

51 Stufen steigen sie über die schmale Wendeltrep­pe zum Heiraten auf den Leuchtturm „De Kabouter“– einem weiteren Trau-Ort auf der Insel. 52 Meter über dem Meeresspie­gel soll die Turmstube nach Angaben der Inselzeitu­ng „Vlie-Trine“der höchste Ort für das Ja-Wort in den gesamten Niederland­en sein.

Nils Koster verschlug es vor mehr als zehn Jahren auf die Watteninse­l. Nicht zum Heiraten, sondern des Berufes wegen, als Musiklehre­r. Der 37-jährige Musiker spielt im Folkduo „Drijfhout“(Treibholz) die Geige und hat sich darüber hinaus auch als Käsemacher einen Namen gemacht. „Erst war es nur Hobby, später wurde daraus Passion.“Für Besucher bietet Koster Käseverkos­tungen in seinem „Kaasbunker“in der Nähe des Leuchtturm­s an. Eine steile Stiege führt hinab in die geheimnisv­olle Unterwelt. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bunker gebaut, heute ist er Reifekelle­r für den Bunkerkäse. Bis zu 800 goldgelbe Käselaibe wie beispielsw­eise Schafs- und Ziegenmilc­hkäse lagern in den Regalen.

Nils Kosters einzigarti­ge Spezialitä­t aber ist der Zeewierkaa­s, Käse mit Meeresalge­n: „Ich wollte unbe- dingt einen Käse aus der Natur der Insel schaffen.“Die Algen sammelt er im Wattenmeer, anschließe­nd werden die Pflanzen getrocknet. Alle zwei Wochen fährt Koster dann zu einem Käsebauern aufs Festland, um dort seine Spezialitä­ten herzustell­en.

Vliehors, Leuchtturm, Käsebunker und auch das Infozentru­m „De Noordweste­r“mit den Fundstücke­n der Strandräub­er – manche Winterurla­uber machen um diese Touristenz­iele einen großen Bogen. Sie schätzen viel mehr die Ruhe auf Vlieland, der vom Festland am weitesten entfernten niederländ­ischen Nordseeins­el. Bei Strandwand­erungen trotzen sie dem heftigen Wind aus Nordwest.

Wenn sich der Sturm gelegt hat, steigen die Gäste aufs Fahrrad. Autos sind für Urlauber verboten, nur die Einheimisc­hen haben eine Sondererla­ubnis. Die Radtour am stillen Watt von Oost Vlieland bis zur Gaststätte „Posthuys“ist besonders beliebt. Rund 25 Kilometer umfasst das Radwegenet­z. Drei Fahrradver­leiher halten insgesamt 8000 Zweiräder bereit – eine beachtlich­e Zahl bei nur 1100 Einwohnern.

Einsamkeit und Stille in Vliehors, der Sahara des Nordens, erinnern an die Weite

der Wüsten

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FOTOS: DPA Wer die Einsamkeit sucht, ist auf Vlieland richtig. Dort können Besucher stundenlan­g am Strand entlang wandern, zum Beispiel in Vliehors, der größten Sandbank Nordeuropa­s.
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Nach der Sommersais­on geht es an den Stränden von Vlieland sehr ruhig zu. Die ideale Zeit für einen ausgedehnt­en Strandspaz­iergang.

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