SIMON ROLFES „Der Videobeweis ist nicht aufzuhalten“
Der frühere Leverkusener Profi (35) ist heute Spielerberater und Inhaber der Torlinientechnologie-Firma GoalControl. Die Debatte um den Videoschiedsrichter sieht er entspannt. Er sagt, „esports“zeige dem Fußball, wie die Zukunft aussieht.
DÜSSELDORF Simon Rolfes ist im dritten Jahr Ex-Profi. Langweilig wird dem früheren Leverkusener aber nicht. Der 35-Jährige führt eine Spielerberatung und übernahm im Mai die Aachener TorlinientechnikFirma GoalControl. Herr Rolfes, wie lautet die passende Berufsbezeichnung für Sie seit Ihrem Karriereende? ROLFES Unternehmer passt wahrscheinlich am besten. Was steht denn auf der Visitenkarte? ROLFES Managing Partner. Hand aufs Herz: Haben Sie sich als Profi manchmal intellektuell unterfordert gefühlt? ROLFES Sagen wir mal so: Ich hatte schon immer den Drang, dass da noch mehr sein muss im Leben. Und das ist gar keine Kritik am Profidasein. Es ist fantastatisch, Profi zu sein, es gibt so viele fantastische Momente. Aber ich habe mich vom Kopf her nicht ausgelastet gefühlt. Und ich merke ja jetzt, dass du im „normalen“Berufsleben viel mehr gefordert wirst, vielfältiger, als Persönlichkeit vor allem. Als Spieler hast du eigentlich nur den Druck, dass du am Wochenende 90 Minuten lang liefern musst. Der kann aber auch belasten. Und welchen Druck haben Sie heute? ROLFES Jetzt ist es anders. Du hast nicht diesen einen Erfolgsmoment, dieses Adrenalin wie bei einem Tor oder einem Sieg, und das steht am nächsten Tag auch in der Zeitung. Jetzt arbeitest du jeden Tag an Projekten, und wenn sie klappen, freut sich deine Frau mit dir, aber es steht tags darauf nicht in der Zeitung. Wie wichtig war für das neue Leben die Eintrittskarte „Ex-Profi“? ROLFES Die ist schon wichtig. Du bist einfach Teil der Branche, einer übersichtlichen Branche. Da öffnen sich viele Türen viel leichter, das muss ich schon sagen. Für die Abschlussarbeit meines Uefa-Studiums habe ich neun Vereine in Europa besucht. Barcelona, Atletico Madrid, Bilbao, Tottenham, Eindhoven, Salzburg, Leipzig, Dortmund und Gladbach. Als ich bei denen angefragt habe, kannten sie mich entweder, oder ich kannte einen dazwischen. Wie läuft der Wettbewerb von GoalControl mit Konkurrent HawkEye, der die Bundesliga-Tore überwacht? ROLFES Es ist ein junger Markt mit einer spannenden Konstellation, weil es ja weltweit nur zwei Anbieter für die Technologie gibt, die zudem per Lizenz geschützt sind. Bisher leisten sich ja nur die Top-Ligen die Technologie, aber grundsätzlich erobert Technologie immer mehr den Fußball. Die Frage ist nur, in welcher Geschwindigkeit. Aber dass die Ligen sich vor der Technik schützen können, wird nicht funktionieren. Die Menschen wollen überall technologische Lösungen, auch im Fußball. Gibt es eine Kampfansage Richtung HawkEye? ROLFES Mal schauen. Wir versuchen natürlich Weltmarktführer zu werden. Dazu brauchen wir immer die neueste und beste Technologie. Mit der RWTH Aachen haben wir im Ingenieur- und Informatikbereich einen guten Standort. Irgendwann werden dann ja auch die Rechte in der Bundesliga neu vergeben. Wann das sein wird, steht noch nicht fest. Natürlich wäre es schön, wenn wir dann den Zuschlag bekommen. Im Gegensatz zur Torlinientechnologie ist der Videobeweis in der Bundesliga umstritten. Ist der DFB zu schnell vorgegangen? ROLFES Nein, das glaube ich nicht. Auch der Weg mit dem OperationCenter in Köln ist der richtige Weg, da mussten DFB und DFL einfach Pionier sein. Dass am Anfang auch darüber diskutiert wird, war klar. Womit ich ein Problem habe: Ich weiß selbst nicht mehr, welche Entscheidung über den Videobeweis geregelt werden soll. Man hätte sich erstmal nur auf glasklare Fehlentscheidungen konzentrieren sollen, aber man ist zu schnell in die Graubereiche rein. Und über die diskutieren wir jetzt jede Woche. Deswegen muss neu justiert werden, und dann wird das auch laufen. Also bleibt der Videobeweis definitiv? ROLFES Ja, auf jeden Fall! Das ist nicht mehr aufzuhalten. In Italien läuft es super. Da sind alle zufrieden. Auch weil Juventus Turin dadurch nicht immer bevorteilt wird (lacht). Nein, Spaß beiseite. Hier wird das alles sehr negativ gesehen. Ist es also ein Mentalitätsproblem von uns Deutschen? ROLFES Man könnte es ja auch so sehen: Die DFL versucht mit diesem Projekt Weltmarktführer zu werden. Das sollte man schon positiv hervorheben. Die große Problemstellung ist natürlich: Wann greift der Assistent ein? Da wollen wir vielleicht auch zu perfekt sein. Wenn der Zu- schauer aus seinem normalen Verhalten herausgerissen wird, muss man sehr sensibel sein, wie man ihm die neue Technologie schmackhaft macht. Diese Wartepause wird noch lange polarisieren. Das muss der Fan aber aushalten? ROLFES Ja. Aber die Pause bis zur Entscheidung muss kürzer werden. Die Prozesse und die Technik müssen optimiert werden. Wird die Diskussion abebben? ROLFES Sie ebbt ja jetzt schon ein bisschen ab. Es ist doch keinem 15Jährigen mehr zu vermitteln, dass eine Technik nicht gut sein soll. Es ist nicht das Problem, dass es zu viel Technik im Fußball gibt. Die Frage muss doch eher lauten: Wie nehmen wir die technikaffine Jugend mit? Die wachsende esports-Branche zeigt doch, wohin der Trend geht. Und wie viel Technik verträgt die Trainingssteuerung? ROLFES Generell sind die technischen Möglichkeiten grenzenlos. Es gibt selbstfahrende Autos, da sollte die Überwachung eines Trainingsplatzes ein Kinderspiel sein. Es wird spannend zu beobachten, wo genau Technik genutzt wird. Das weiß noch keiner so genau. Wie sieht die Zukunftsvision aus? ROLFES Ich hoffe, der Trainer der Zukunft hat dank Technik wieder mehr Zeit, um auf sein Gefühl zu hören. Die großen Spiele werden doch nicht nur entschieden, weil Räume richtig besetzt werden. Sie werden am Ende auch dadurch entschieden, dass einer auf den anderen losmarschiert und das Eins-gegeneins-Duell gewinnt.