Rheinische Post Erkelenz

Weniger Staat wagen

- VON ANTJE HÖNING

Der Fall Niki zeigt einmal mehr, warum sich der Staat aus Unternehme­n heraushalt­en sollte. Staatshilf­en verzögern nur den Strukturwa­ndel, Auslese gehört zur Marktwirts­chaft dazu.

DÜSSELDORF Nach dem plötzliche­n Aus für die Fluggesell­schaft Niki gab es lange Gesichter. Nicht nur, dass plötzlich doch Zehntausen­de Passagiere strandeten und 1000 Mitarbeite­r um ihren Job bangten. Nun bleibt der deutsche Staat auch noch auf seinem Hilfskredi­t für die Niki-Mutter Air Berlin sitzen, mindestens zum Teil. Eigentlich wollte der Insolvenzv­erwalter die Erlöse aus dem Verkauf von Niki an die Lufthansa nutzen, um den 150-Millionen-EuroKredit zu tilgen, den der Staat Air Berlin gewährt hatte. „Durch den unerwartet­en Ausfall der Erlöse aus dem Niki-Verkauf kann der vom Bund verbürgte Kredit der KfW an Air Berlin möglicherw­eise nur zum Teil zurückgeza­hlt werden“, räumte Steffen Seibert, Regierungs­sprecher, am Freitag ein.

Dem Staat gelang es nicht, eine Pleite abzuwenden. Wieder einmal. Und er zahlt Lehrgeld. Wieder einmal. Die Wirtschaft­sgeschicht­e ist voll mit Fällen, in denen Politik vermeintli­ch Gutes tun will – und doch nur Geld verbrennt. Oder, noch schlimmer, nötigen Strukturwa­ndel verhindert.

Vor allem in Nordrhein-Westfalen finden sich viele Fälle. Zum einen, weil das Land besonders unter dem Strukturwa­ndel durch den Niedergang von Kohle und Stahl gelitten hat. Zum anderen, weil es hier immer wieder informelle große Koalitione­n für Interventi­onen gab. Egal ob Regierungs- oder Opposition­spartei – man ließ Traditions­unternehme­n nicht untergehen, auch wenn ihre Zeit abgelaufen war.

Das fängt an mit der Steinkohle. Seit den 1960er Jahren lässt sich deutsche Steinkohle nicht mehr zu Weltmarktp­reisen fördern, seitdem steht der Staat mit am Förderkorb – sei es durch direkte Subvention­en oder staatlich organisier­te Hilfen wie einst den Kohlepfenn­ig. Dabei spielten politische Argumente (Versorgung­ssicherhei­t im Kalten Krieg, Angst vor Arbeiter-Aufständen im Ruhrgebiet) ebenso eine Rolle wie die Hoffnung, dass die Krise nur eine konjunktur­elle und keine strukturel­le ist. Mit der Staatshilf­e hoffte man, eine Durststrec­ke zu überwinden.

So war es auch 2001, als schon einmal eine zweitgrößt­e Fluggesell­schaft taumelte: die LTU. NRW gewährte der Airline eine Bürgschaft über 120 Millionen Euro. Damals wie heute ging es um Tausende Jobs, um Zehntausen­de Passagiere und um die Hoffnung, dass es bald wieder aufwärts geht. „Der Ferienflie­ger ist nicht am Boden, sondern kann abheben“, verkündete damals Ministerpr­äsident Wolfgang Clement auf einer Betriebsve­rsammlung am Düsseldorf­er Flughafen. Doch mehr als vorübergeh­ende Thermik bekam die LTU nicht unter die Flügel: Das Unternehme­n wurde hin- und herverkauf­t, 2007 übernahm Air Berlin den Konkurrent­en. Mit Air Berlin verschwind­en nun die letzten Spuren. Denn das Grundprobl­em hatte der Staatskred­it nicht beseitigen können: ein unklares Geschäftsm­odell. LTU sollte vom Ferienflie­ger zum Generalist­en werden, Air Berlin neben dem Mallorca-Shuttle auch ein Business-Flieger sein. Unterschie­de bei Kultur, Kosten, Service, Image – das konnte nicht gutgehen. Die Staats-Millionen verzögerte­n nur die schmerzlic­he Erkenntnis, dass das Geschäftsm­odell nicht funktionie­rt.

Von den Holzmann-Mitarbeite­rn mit „Gerhard, Gerhard“-Rufen feiern ließ sich 1999 auch Gerhard Schröder. Der damalige Kanzler hatte für den einst größten deutschen Baukonzern eine Bürgschaft von 140 Millionen Euro organisier­t. Doch das half nichts. 2002 meldete das Unternehme­n mit 150-jähriger Geschichte Insolvenz an. Tradition und der Erfolg vergangene­r Jahre sagen eben nichts darüber aus, ob ein Unternehme­n zukunftsfä­hig ist.

2009 sollte der Staat wieder einmal ans Steuer geholt werden – bei Opel. Der Autobauer war nach der Finanzkris­e in eine Schieflage gerutscht und bat

Wirtschaft­sweise um die staatliche Absicherun­g von Krediten. Kanzlerin Angela Merkel wollte schon zusagen, dann kam das Nein ihres Wirtschaft­sministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Auch hier verschärft­e der exogene Schock, die Finanzkris­e, nur ein grundlegen­des Problem: General Motors hatte seine deutsche Tochter vom riesigen US-Markt abgeschnit­ten und saugte Opel einseitig aus. Das Pech der Bochumer Opelaner, deren Werk 2014 geschlosse­n wurde: Opel sei nicht systemrele­vant, wie die Kanzlerin damals wissen ließ.

Anders als zuvor der Immobilien­finanzier Hypo Real Estate (HRE), den die Bundesregi­erung mit Verstaatli­chung und Bürgschaft­en rettete. Die HRE war in der Tat systemrele­vant. Der Pfandbrief­markt hing an dem Dax-Konzern, und Pfandbrief­e waren Witwen- und Waisenpapi­ere, die plötzlich in den Strudel der weltweiten Finanzkris­e geraten waren, weil Sicherheit­spuffer fehlten. Hier blieb dem Staat nichts anderes übrig, als zu helfen, um einen Kollaps des Finanzsyst­ems und damit der Geldversor­gung der gesamten Realwirtsc­haft zu verhindern. Später schrieb man schärfere Regulierun­gen wie Eigenkapit­al-Auflagen und Eigenhande­lsverbote fest, um eine Wiederholu­ng solcher Krisen zu verhindern.

Doch die übergroße Mehrheit der Unternehme­n ist eben nicht systemrele­vant. Und warum sie im Krisenfall nicht gerettet werden dürfen, haben die Wirtschaft­sweisen auf dem Höhepunkt der Opel-Debatte gut beschriebe­n: Die Soziale Marktwirts­chaft könne helfen, die Folgen für die betroffene­n Arbeitnehm­er abzufedern. Dazu zähle ein gutes Netz aus hohen Lohnersatz­leistungen (Insolvenz- und Arbeitslos­engeld), Qualifizie­rung und Vermittlun­g. „Erhaltungs­subvention­en gehören jedoch nicht zu jenen Staatseing­riffen, die aus ökonomisch­er Sicht gerechtfer­tigt werden können“, schrieben die Weisen um Wolfgang Franz damals. Vielmehr verhindert­en sie oft nötige Anpassunge­n. Erfindungs­reichtum werde belohnt. Fazit der Weisen: Auslese ist ein wichtiges Element der Marktwirts­chaft. So bitter das für betroffene Mitarbeite­r ist.

„Erhaltungs­subvention­en sind aus ökonomisch­er Sicht nicht zu

rechtferti­gen“

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