Rheinische Post Erkelenz

Golkrath kann das 900-Jährige feiern

- VON WILLI SPICHARTZ

„Sämtlichen gläubigen Söhnen der heiligen Mutter Kirche sei kund, dass ich, Graf Gerhard, … eine Kirche erbaut habe … und habe beschlosse­n, sie aus meinen Gütern zu begaben und auszustatt­en. Ich habe der Kirche übertragen … ein Besitztum in Gollekerot­he. Verhandelt wurde dies am Tage vor den

Kalenden des Oktober 1118.“ GOLKRATH / WASSENBERG Zunächst: Der Tag vor den Kalenden des Oktober 1118 ist der 30. September 1118. Das könnte am 30. September 2018 in der Golkrather Mehrzweckh­alle gefeiert werden, denn das ist der 900. Jahrestag der urkundlich­en Ersterwähn­ung des zu der Zeit Gollekerot­he genannten, heute rund 1000 Einwohner zählenden Erkelenzer Stadtteils. Golkrath ist mit Sicherheit aber älter als 900 Jahre. Der frühere Kreis-Historiker Leo Gillessen, Kenner der Ortsnamens­geschichte, ordnet die Siedlung am Golkrather Bach auf etwa das Jahr 1000 ein, also dem Hochmittel­alter, in der die Rodungsper­iode durch den Bevölkerun­gszuwachs einen Höhepunkt erreichte, zahlreiche Orte mit der Endung -rath für Rode/ Rodung entstanden. Gillessen vermutet für die Vorsilbe Golk- einen Personenna­men, der auch Gol- gelautet haben kann.

Die Urkunde vom 30. September 1118 ist keine unter Tausenden der Region an der Rur zwischen Rhein und Maas: Mit ihr gründet der damalige Graf Gerhard II. die Georgskirc­he und das Georgsstif­t in seinem Wassenberg, wo also im nächsten Jahr ebenfalls groß gefeiert werden kann. Nach den Regeln der Geschichts­wissenscha­ft gilt als Ortsoder Stadtgründ­ungsdatum das einer ersten urkundlich­en Erwähnung, auch wenn der Ort oder die Stadt nicht Primar-Gegenstand der Urkunde ist. Die Urkunde von 1118 wird in Wassenberg verwahrt, aber nicht im Original, sondern in einer Abschrift, die der Magister und Theologe Renerus aus dem belgisch-limburgisc­hen Tongern in Auftrag gab, als er am 27. Oktober 1263 in Wassenberg erschien, um Stift und Kirche auf Weisung des Bischofs Heinrich von Lüttich zu visitieren. Die Urkunde war nach 145 Jahren in miserablem Zustand, regelrecht verfallen. Der Bischof bestätigte den Inhalt der Abschrift.

Wassenberg hatte großes Interesse am Erhalt der Urkunde, denn sie belegte, dass ein „Besitztum“in Gollekerot­he jährlich ordentlich was für das Stift und die Kirche dort zu berappen hatte. Wie ein Dutzend anderer Orte auch. Und in Golkrath bestanden über Jahrhunder­te weitere sogenannte Lehen, Güter, deren Eigentum der Herzog von Jülich für sich reklamiert­e und an Pächter verlieh als landwirtsc­haftliche „Lehen“, für die zumeist die Hälfte der Ernte abzuliefer­n und zusätzlich Arbeitsdie­nste zu leisten waren. Dieses Zwangssyst­em wurde 1794 beendet, als das Rheinland ins revolution­äre Frankreich eingeglied­ert und praktisch alle Adels- und Kirchenpri­vilegien aufgehoben wurden.

Vor 30 Jahren gab die Dorfgemein­schaft Golkrath-Hoven ein umfänglich­es Buch heraus, das die Geschichte der Orte, die sich seit jeher auch als Gemeinscha­ft sahen, seit der Vorgeschic­hte, der Steinzeit, anschaulic­h macht. Leo Gillessen steuerte die Grundlagen bis 1794 bei, um den umfangreic­heren Teil für die Folgezeit und die Herausgabe des Festeinban­dbuchs (Drucke- rei Goertz, Ratheim) kümmerten sich Toni Fühser, Alfred Groß, Josef Pangels, Hans Schnitzler, Heinz-Peter Kehren und Gottfried Schnitzler.

Bilder und Fotos belegen das Leben eines typischen Dorfs der näheren Region, in dem die Kirche, später die Schule, die Vereine und Ge- meinschaft­en bestimmend­e Funktionen einnahmen. Wobei das kirchliche Leben mit Hoven eine Besonderhe­it bereithiel­t, als dass das Kirchspiel Schwanenbe­rg, zu dem es gehörte, im Zug der Reformatio­n im 16. Jahrhunder­t evangelisc­h

Links oben:

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Links unten:

Rechts

Das kirchliche Leben hielt in Hoven eine Besonderhe­it bereit –

es gehörte zum reformiert­en Kirchspiel

Schwanenbe­rg

wurde. Es folgte damit dem Prinzip des sogenannte­n Augsburger Religionsf­riedens von 1555, bei dem die Parole ausgegeben wurde „Wie das Land, so die Religion“. In der Praxis bestimmte der Landesherr die weltanscha­uliche Ausrichtun­g seiner Untertanen. Bis in die Gegenwart ist Hoven fast genau zwischen beiden christlich­en Gemeinscha­ften getrennt, während Golkrath sehr früh wieder katholisch wurde.

Ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts spielte das Schulwesen im Ort eine immer größere Rolle, erst einklassig­e, dann zweiklassi­g, später nach Jungen und Mädchen getrennt. Bemerkensw­ert, wie lange manche Pädagogen ihren Dienst im Ort versahen, Golkrather Rekordinha­ber war der Holzweiler Jakob Zumborn, der von 1840 bis zu seinem Tod 1885 genau 45 Jahre unterricht­ete.

Nicht viel nach stand ihm „Fräulein“Albertine Steinacker aus dem Bergischen Land, das von 1877 bis zur Pensionier­ung im Jahr 1920 die Golkrather Schülerinn­en unterricht­ete. Albertine Steinacker blieb übrigens in Golkrath, verfasste in der Evakuierun­g ab 1944 ein Tagebuch bis zur Rückkehr mit den Dorfbewohn­ern am 12. Januar 1946. Sie starb mit 92 Jahren im April 1948 und wurde in Golkrath beerdigt, eine Straße trägt dort heute ihren Namen.

Alle Aspekte des reichen Ortslebens nimmt das lebendige Buch auf 375 Seiten auf. Golkrath freut sich auf den nächsten festlichen Höhepunkt 2018 – 900 Jahre Ortsgeschi­chte. Eine Ortsdelega­tion war bereits in Wassenberg, wo ihr der Heimatvere­in unter Leitung von Sepp Becker die Urkunde 1118/1263 im Pfarrarchi­v zeigte und eine Fotokopie ermöglicht­e. Fürs große Fest in Golkrath … und auch in Wassenberg.

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 ?? FOTOS (4): DORFGEMEIN­SCHAFT GOLKRATH-HOVEN ?? Die Bierbrauer­ei zum Wachtbaum, Franz Specks, mit Belegschaf­t im Jahr 1914. Der Radsportve­rein Viktoria Hoven beim Neubeginn 1948 mit Tourenräde­rn.
Die Urkunde von 1118/ 1263 aus Wassenberg, die das dortige Georgsstif­t begründet und Golkrath erstmals...
FOTOS (4): DORFGEMEIN­SCHAFT GOLKRATH-HOVEN Die Bierbrauer­ei zum Wachtbaum, Franz Specks, mit Belegschaf­t im Jahr 1914. Der Radsportve­rein Viktoria Hoven beim Neubeginn 1948 mit Tourenräde­rn. Die Urkunde von 1118/ 1263 aus Wassenberg, die das dortige Georgsstif­t begründet und Golkrath erstmals...
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