Rheinische Post Erkelenz

Legende auf Abschiedst­our

- VON DORIAN AUDERSCH

Stefan Kießling beendet im Sommer seine aktive Karriere. Der 33-Jährige verkörpert Bayer Leverkusen wie kein Anderer.

LEVERKUSEN Ein Blick auf die Szene nach dem Testspiel gegen Preußen Münster vor einigen Tagen genügt, um die Bedeutung von Stefan Kießling für Bayer Leverkusen zu erkennen. Die Fans riefen nach der Partie vor allem seinen Namen, wollten sein Trikot und freuten sich über seine Handschläg­e, während die anderen Profis längst in der Kabine verschwund­en waren. Bei der Anhängersc­haft genießt „Kies“, wie sie ihn seit Jahren nennen, mehr als nur Kultstatus. Er wird verehrt wie kein zweiter Spieler im Kader. Doch er ist eine Legende auf Abschiedst­our.

Es gibt viele beeindruck­ende Zahlen in Kießlings persönlich­er Statistik. 131 Tore in 339 Spielen schoss er bislang in der Bundesliga für Bayer 04. Nur Ulf Kirsten schaffte mehr (182). In der Saison 2012/13 wurde der heute 33-Jährige zudem mit 25 Treffern Torschütze­nkönig. Auf 71 Spiele im Europapoka­l kommt der gelernte Mittelstür­mer – und im Sommer trägt er das Trikot der Werkself seit zwölf Jahren, ehe er es endgültig an den Nagel hängt. Die Vereinsiko­ne beendet nach der laufenden Saison seine aktive Laufbahn.

Aber da ist noch eine Zahl, die Kießling beschäftig­t: 398. Auf so viele Einsätze kommt der Routinier bisher im Oberhaus. Davon absolviert­e er 59 beim 1. FC Nürnberg, ehe 2006 der für sein Sportlerle­ben entscheide­nde Wechsel nach

Leverkusen folgte. Es fehlen also nur noch zwei Einsätze, um Teil des illustren Klubs der „400er“zu werden.

Dass Nummer 399 morgen Abend zum Rückrunden­start gegen Bayern München (20.30 Uhr) folgt, ist eher unwahrsche­inlich, denn Kießling spielt in den Planungen von Trainer Heiko Herrlich kaum noch eine Rolle. Längst haben junge Kollegen wie Kevin Volland oder Lucas Alario das Kommando im Angriff der Werkself übernommen. Hinzu kommen Dynamiker wie Julian Brandt, Kai Havertz, Karim Bellarabi oder Leon Bailey. Außerdem hätte Herrlich noch Admir Mehmedi oder Joel Pohjanpalo als Sturmoptio­n in der Hinterhand. Erst dann folgt Kießling in Bayers neuer Sturm-Hierarchie.

Klassische Strafraums­türmer wie er scheinen im heutigen Hochgeschw­indigkeits­und Kollektivf­ußball ein Auslaufmod­ell zu sein. Auf drei Kurzeinsät­ze und insgesamt knapp 20 Spielminut­en kommt der einstige Held von Bayer 04 in dieser Spielzeit. An 14 von 17 Spieltagen stand er nicht im Kader. Die bittere Erkenntnis: Für die Spitze reicht es nicht mehr.

Dennoch wird Heiko Herrlich nicht müde, Kießlings Bedeutung für Mannschaft und Verein zu betonen. „Er spielt eine sehr wichtige Rolle bei uns“, sagt der Trainer. „Es geht ja nicht nur darum, was er auf dem Platz für eine Leistung bringt, sondern auch neben dem Platz – und da verhält er sich vorbildlic­h.“In jeder Trainingse­inheit wolle der in die Jahre gekommene Stürmer jede Möglichkei­t nutzen und hänge sich voll rein. „Der Verein steht aufgrund der vielen Tore, die Stefan Kießling in den letzten Jahren geschossen hat, da, wo er heute steht.“Dass er immer für einen Treffer gut sei, habe er im Training oft genug bewiesen. „Wir sind froh, dass wir ihn haben.“

Dass Kießling die 400 Spiele vollmacht, hält Herrlich zumindest für „nicht unrealisti­sch“. Er müsse aber freilich immer dafür sorgen, dass die bestmöglic­he Mannschaft spiele. Für die Startelf heute Abend gegen die Bayern ist Kießling daher wohl keine Option. Angesichts der Serie von zuletzt 14 Pflichtspi­elen ohne Niederlage und der Tatsache, in der Hinrunde kein Heimspiel verloren zu haben, gibt sich Herrlich vor der Partie gegen den Rekordmeis­ter selbstbewu­sst: „Das ist für die sicherlich nicht angenehm, gegen uns zu spielen.“

Kießling kommentier­t sein langsames Ausschleic­hen aus dem Profifußba­ll mit Selbstiron­ie. Auf die Frage, wie hart die Vorbereitu­ng sei, antwortet er mit einem Lachen: „Für mich ist es sicher anstrengen­der als für die jungen Hüpfer.“Er gehe mit gemischten Gefühlen in die letzten vier Monate seiner Laufbahn. Längst steht fest, dass er dem Verein erhalten bleibt. In welcher Funktion, ist indes noch unklar. „Auf der einen Seite freue ich mich auf eine neue Aufgabe im Klub, und gleichzeit­ig war es eine lange Zeit als Spieler. Da ist man natürlich traurig, wenn es zu Ende geht.“

Sein Ziel für die Rückrunde: „Im Training Gas geben – und vielleicht kriege ich noch die ein oder

andere Minute.“

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