Liebeswirren auf dem Rummelplatz
In Woody Allens neuem Film verlieben sich die Gattin eines Karussellbesitzers und ihre Stieftochter in einen Bademeister.
Am legendären Strand von Coney Island, dort wo das südlichste Ende von Brooklyn in den Atlantik übergeht, sich früher die Vergnügungsparks aneinanderreihten und ein beträchtlicher Teil der New Yorker Heiratsanträge gestellt wurde, siedelt Woody Allen seinen neuen Film „Wonder Wheel“an. Schon vor 40 Jahren besuchte Allen in „Der Stadtneurotiker“Coney Island und nahm die dortige Achterbahn als metaphorischen Bildhintergrund in Gebrauch. Sein damaliger Protagonist, Erzähler und sein Alter Ego Alvy Singer hatte die Kindheit in dieser Schaustellerwelt verbracht, woraus sich nach eigenem Bekunden seine Schwierigkeiten bei der Trennung von Fantasie und Realität ableiteten.
Justin Timberlake spielt
den Bademeister Mickey, der von einem Job als Schriftsteller
träumt
Auch in „Wonder Wheel“gibt es einen Erzähler, der die Ereignisse immer wieder kommentiert und das Publikum mit direktem Blick in die Kamera adressiert. Justin Timberlake spielt den Bademeister Mickey, der von seinem Hochsitz am Strand den Überblick behält, bis er sich selbst ins Geschehen einbezieht. Neben seinem Baywatch-Job studiert Mickey Literatur, strebt ein Dasein als Theater-Autor an und schaut auf die Wirklichkeit mit dem Blick des Dramatikers, der sich selbst die Rolle des romantischen Helden zugedacht hat. Eines regnerischen Tages stolziert Ginny (Kate Winslet) in ihrer ganzen melancholischen Pracht über Mickeys Strandabschnitt. Dieser ist gleich mit einem riesigen Schirm und Warnungen vor herannahenden Gewittern zur Stelle, und Ginny ist ihrerseits von solch ungewohnter Galanterie stark beeindruckt.
Das Leben hat es bisher nicht sehr gut mit ihr gemeint. Ihre erste Ehe mit einem Jazz-Drummer hat Ginny genauso wie ihre beginnende Schauspielkarriere durch eigenes Verschulden in den Sand gesetzt. Mit ihrem Sohn, der einen Hang zu Pyromanie und Cinephilie – also der Leidenschaft fürs Kino – in sich trägt, flüchtete sie sich in eine glücklose Ehe mit dem Karussellbesitzer Humpty (Jim Belushi) und verdingt sich außerdem als Kellnerin in einer Strandbar. Die Affäre mit dem deutlich jüngeren, kultivierten Bademeister lässt sie von einem anderen, besseren Leben träumen, während für Mickey die Sommerliebelei eher ein dramatisches Forschungsprojekt darstellt. Als Ginnys Stieftochter Carolina (Juno Temple) das Interesse des Strandwärters weckt, beginnen die emotionalen Wirrnisse schließlich Shakespeare’sche Ausmaße anzunehmen.
Die romantischen Vorstellungen der Figuren vermischen sich mit der Eigendynamik des Lebens – es geht zu wie auf der Achterbahn – und bieten einem kühn gecasteten Ensemble vielfache Entfaltungsmöglichkeiten. Vor allem überzeugt Kate Winslet als Frau in den besten Jahren, die mehr vom Leben will als das, was es ihr im Amerika der 50er Jahre zu bieten hat. Wunderbar, wie Winslet tiefe Sehnsucht und Verzweiflung am Rande zum Wahnsinn ausbalanciert und die Figur aus Allens ironisiertem Erzählstrom herauslöst. Aber auch Jim Belushi liefert als grober, proletarischer Ehe-