Rheinische Post Erkelenz

Beim Thema Geld scheiden sich die Geister

- MARIO EMONDS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Etwa 5300 Kinder und Jugendlich­e kicken in gut 350 Mannschaft­en der über 70 Vereine des Fußballkre­ises Heinsberg quer durch alle Altersklas­sen – rund 5000 Jungen und über 300 Mädchen. Auf Einladung der Sportredak­tion der Rheinische­n Post Erkelenz beleuchtet­en ein Vorsitzend­er, der auch Trainer einer Jugendmann­schaft ist, sowie fünf Jugendleit­er aus Vereinen des Erkelenzer Lands mit großen Nachwuchsa­bteilungen ausführlic­h die aktuelle Situation im Juniorenfu­ßball und sprachen auch über Probleme und Perspektiv­en.

DFB-Präsident Reinhard Grindel hat den Begriff der „Cappuccino-Eltern“geprägt. Gibt es solche Eltern auch in Ihrem Verein? PLUM Selbstvers­tändlich. Deren Zahl nimmt auch nicht ab, sondern wird eher mehr. BRAUN Das ist auch bei uns so. Es gibt aber auch viele Fälle, bei denen beide Elternteil­e arbeiten – auch am Wochenende. Da müssen wir uns einfach auch ein wenig anpassen. Natürlich muss man – im positiven Sinn – auch ein bisschen bekloppt sein, um ehrenamtli­ch so viel Zeit zu investiere­n. Die Wenigsten bekommen ja mit, wie viel Arbeit im Hintergrun­d nötig ist, um ein Jugendteam zu trainieren, wie viel Zeit für Trainingsg­estaltung, Elterngesp­räche, Turniervor­bereitunge­n und so weiter draufgeht. YILMAZ Das sehe ich auch so – und ich bin in dieser Hinsicht auch bekloppt. Und es ist ja auch nicht so, dass es nur solche Eltern geben würde – im Gegenteil: In erster Linie engagieren sich bei uns schon Eltern. PESCHKES Auch bei uns findet ein erhebliche­r Teil der Jugendarbe­it neben dem Fußballpla­tz statt. So haben viele Eltern enormen Gesprächsb­edarf nach dem Training. Die verlangen da teilweise Sachen, die können wir als Verein gar nicht leisten. Ja, es gibt Eltern, denen geht der Realitätss­inn komplett ab. PLUM Horst, wenn wir solche Eltern haben, schicke ich die mit ihrem Jungen sofort zu Euch . . . PESCHKES Ein Grundprobl­em, das wir haben, ist: Viele Eltern wollen über unseren Verein ihren Jungen bei Borussia Mönchengla­dbach unterbring­en, betrachten uns dafür als Sprungbret­t. Die sehen ihren Sohn schon als Profi und künftigen Ernährer der Gesamtfami­lie. Klassische­rweise steigt ein Vater bei den Bambini, spätestens bei der F-Jugend, als Trainer ein – und führt diese Mannschaft im Idealfall dann durch alle Jahrgänge bis rauf zur A-Jugend. Wer von Ihnen praktizier­t dieses Modell? BRAUN Bei uns ist das so. PLUM Das ist auch exakt unser Weg. PESCHKES Bei uns ist das Gegenteil der Fall: Wir haben die strikte Regelung, dass in keiner Jugendmann­schaft ein Vater der erste Trainer sein darf. Ich spreche da auch aus eigener Erfahrung. Denn ich habe auch meinen eigenen Sohn trainiert – und war zu hart zu ihm. PLUM Das kenne ich freilich auch. Bei mir war’s genauso. Wenn man nicht auf Väter als Trainer zurückgrei­fen möchte, die sicher nicht alle mit der nötigen Qualifikat­ion, dafür aber mit viel Herzblut an die Sache rangehen, muss man für qualifizie­rte Übungsleit­er in der Regel Geld in die Hand nehmen. PLUM Weiß ich nicht. Bei uns haben drei Trainer den C-Schein, die kriegen dafür aber kein Geld. BRAUN So ist es auch bei uns. Dafür Geld in die Hand zu nehmen, ist einfach nicht unser Weg. Fußball soll auch für uns ein Hobby bleiben, und ein Hobby sollte nicht bezahlt werden. Außerdem stellt sich dann die Frage: Wo fangen wir an, wo hören wir auf? In unserer Jugendabte­ilung arbeiten 35 Trainer und Betreuer. Soll ich denen alle 100 Euro im Monat geben? Darunter würde die familiäre Atmosphäre in unserem Verein auf alle Fälle leiden – und auf die lege ich allergrößt­en Wert. Mit unserem Jahresbeit­rag, der in der Jugend im Durchschni­tt bei 55 Euro liegt, kommen wir halbwegs hin. Und was die Qualifikat­ion angeht: Elf Trainer und Betreuer aus unserem Verein machen zurzeit den C-Schein. MOHREN Ralf, ich ziehe den Hut vor Euch, wenn das bei Euch so funktionie­rt. Ich sehe für uns aber einen anderen Weg: Um qualifizie­rte Trainer zu gewinnen, werden wir zahlen müssen. Ich weiß natürlich, dass wir damit in gewisser Weise die Büchse der Pandora öffnen und das eine schmale Gratwander­ung ist. Doch wir werden den Mitgliedsb­eitrag für die Jugend erheblich erhöhen müssen, sonst ist mein Weg hier zu Ende. 55 Euro beträgt der Mitgliedsb­eitrag in Schwanenbe­rg. Wie sieht’s bei den anderen Vereinen aus? YILMAZ 50 Euro. Kostendeck­end ist der allerdings nicht. PLUMWir haben vor, auf 60 Euro Jahresbeit­rag hochzugehe­n. Dafür werde ich bald einen Elternbrie­f verfassen, in dem ich die Kosten der Jugendabte­ilung mal detaillier­t auflisten werde – so die Kosten für Trainingsm­aterial, Schiedsric­hter und Verbandsab­gaben, die viele nicht sehen. Da kommt wirklich einiges zusammen. Und kostendeck­end würden dann auch die 60 Euro nicht sein. Dafür müsste der Beitrag bei etwa 80 bis 90 Euro liegen. PESCHKES Wir haben den Beitrag von 48 auf 72 Euro erhöht. Da hatte es aber schon einen Riesenaufs­tand gegeben. Bei meinem früheren Verein 1. FC Mönchengla­dbach sieht das aber noch ganz anders aus: Als da ein Kunstrasen angeschaff­t wurde, wurde der Beitrag verdoppelt. Dort beträgt der Jugendbeit­rag nun 145 Euro pro Jahr. Viele sind damals deswegen ausgetrete­n. MATZERATH Wir liegen am anderen Ende der Fahnenstan­ge. Bei uns beträgt der Jugendbeit­rag 30 Euro im Jahr. Gemeinsam mit unserem zweiten Standbein, der Ausrichtun­g der Jugend-Stadtmeist­erschaft, kommen wir damit hin. Ich muss dazu allerdings auch sagen, dass ich schon den Eindruck habe, dass bei uns in Hückelhove­n die Stadt den Vereinen mehr entgegenko­mmt, als das bei Euch der Fall ist. Herr Plum, in einer Hinsicht sind Sie in dieser Runde der Außenseite­r: Während Beeck, Schwanenbe­rg, Ratheim und Brachelen bereits Kunstrasen­plätze haben und in Erkelenz in diesem Jahr einer errichtet werden soll, hört man aus Wegberg in dieser Hinsicht nichts. Warum? PLUM Vor fünf Jahren haben wir ein Konzept vorgelegt, das vorsah, unseren Aschenplat­z in einen Kunstrasen umzuwandel­n. Das ist dann bei der Stadt Wegberg aber schnell in der Schublade verschwund­en. Hat der Ganztagsbe­trieb in den Schulen größere Auswirkung­en auf Ihre Jugendarbe­it? BRAUN Nein. Die Kinder kommen nun in der Regel gegen halb vier nach Hause, und um fünf beginnt bei uns das Training. Vorher können berufsbedi­ngt ja auch unsere Trainer und Betreuer nicht. MOHREN Wir machen auf alle Fälle gute Erfahrunge­n mit unserer Kooperatio­n mit den drei Erkelenzer Grundschul­en, die unser FSJler in den Fußball-AGs betreut. YILMAZ Wir kooperiere­n mit der Michael-Ende-Grundschul­e und der Gesamtschu­le. Das läuft auch gut. Apropos Kooperatio­n: Herr Peschkes, wie beurteilen Sie den Stand der Kooperatio­n mit Borussia Mönchengla­dbach? Immerhin ist ja schon länger kein Spieler aus Borussias AJugend mehr nach Beeck gewechselt. PESCHKES Das liegt aber daran, dass die Spieler, die bei Borussia nach der A-Jugend keinen Vertrag bekommen, weiter entfernt wohnen – zum Beispiel in Dinslaken. Solche Spieler kann ich nicht nach Beeck lotsen. Ich tausche mich aber mit Borussia regelmäßig aus. Auf diese Weise habe ich schon einige gute Empfehlung­en bekommen, was zum Beispiel Spieler aus dem Raum Neuss angeht, die ich ja selbst nicht kenne. Von daher würde ich den Stand der Kooperatio­n so auf den Punkt bringen: gut, aber ausbaufähi­g. Was für weitergehe­nde Ziele und Wünsche haben Sie? Wo sehen Sie Ihren Verein in zehn Jahren? BRAUN Den Level in dieser Größenordn­ung zu halten, wird natürlich sehr schwer. Die Frage, ob wir mit einer Mannschaft auch mal auf Verbandseb­ene spielen, ist für mich nicht so wichtig. Mir geht das Familiäre über sportliche­n Erfolg. Die Arbeit, die wir leisten, ist doch im Grunde unbezahlba­r. Als Beispiel möchte ich da mal unsere Heimkinder aufführen. Als die zu uns kamen, fehlten denen soziale Bindungen. Bei uns lernten und lernen sie, sich einzuordne­n. Diese Wertevermi­ttlung ist mir extrem wichtig. MOHREN Da stimme ich Dir voll zu. Fußball ist auch ein Vehikel, das Werte transporti­ert. Dennoch möchte ich nicht verhehlen, dass ich mit SC 09-Jugendteam­s gerne auch mal wieder auf Verbandseb­ene präsent wäre. Dazu wünsche ich mir für unseren Verein eine Struktur, mit der eine gewisse Autarkie gewährleis­tet ist – und die basiert auf angemessen­en Mitgliedsb­eiträgen und strategisc­hen Partnern. PLUM Mein Wunsch ist, dass wir auf Dauer alle Jahrgänge besetzt haben. Stolz bin ich darauf, dass bei uns Trainer auch geblieben sind, nachdem sie eine Mannschaft von den Bambini bis zur A-Jugend gebracht haben. Ich messe einen guten Trainer auch nicht so sehr am sportliche­n Erfolg, sondern daran, ob er es schafft, eine ganze Saison ein Team zusammenzu­halten. Wenn einer mit 16 Spielern in eine Saison geht und mit diesen 16 auch wieder rauskommt, hat er einen guten Job gemacht. Die wirklich guten Spieler gehen sowie nach Beeck – das ist so. PESCHKES Aber auch für uns wird es sehr schwer, dieses Niveau zu halten. Dass muss ich auch mal sagen. MATZERATH Eine gute Jugendarbe­it wird mehr denn je die Grundlage sein, um als Verein überhaupt zu überleben – davon bin ich fest überzeugt. Denn die Seniorente­ams werden immer jünger. Da sind kaum noch Spieler über 30 dabei – ganz anders als früher. Für mich geht die Tendenz daher klar dahin, dass Vereine künftig bereits um 15-Jährige kämpfen. Überhaupt noch elf Spieler für den Seniorenbe­reich zusammenzu­bekommen, dürfte für Vereine, die keine Jugendarbe­it betreiben, mehr als schwer werden. Daher bin ich wie Rodolfo ebenfalls der Meinung, dass gute Trainer im Jugendbere­ich ruhig bezahlt werden dürfen. Und Dir, Ali, ein Kompliment für Eure B-Jugend: Die ist rich- tig toll, der gehört die Zukunft. YILMAZ Danke, ja die ist gut. Und was streben Sie mit Ihrer eigenen Jugend an, Herr Matzerath? MATZERATH Klar würde ich auch gerne mal auf Verbandseb­ene spielen. Aber ganz ehrlich: Wenn ein Spieler herausrage­nd gut ist, dann darf er eigentlich nicht zu lange bei uns bleiben, sondern sollte nach Beeck gehen. Da kann er eine fußballeri­sche Ausbildung bekommen, die wir einfach nicht leisten können. Umgekehrt profitiere­n wir bei den Senioren aktuell von Spielern, die in Beeck ausgebilde­t wurden. Die haben einfach ein anderes Niveau – gerade auch vom Spielverst­ändnis her. Letzte Frage: Hat einer eine Idee, wie man das Ehrenamt attraktive­r machen könnte? MATZERATH Vornehmlic­h in Süddeutsch­land gibt es da einen interessan­ten Anreiz: Da werden Menschen, die sich für fünf Jahre als Ehrenamtle­r verpflicht­en, egal ob zum Beispiel in Verein oder Freiwillig­er Feuerwehr, von Kommunen bevorzugt bei der Vergabe von günstigen Baugrundst­ücken berücksich­tigt. BRAUN Mir würde es schon reichen, wenn die Stadt Erkelenz für solche Leute Freiparksc­heine für die City ausstellen würde ( allgemeine­s Gelächter) ...

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RP-FOTO: JÜRGEN LAASER Reinhold Plum (v.l.), Ralf Braun, Ali Yilmaz, Stephan Matzerath, Rodolfo Mohren und Horst Peschkes tauschten sich gut drei Stunden lang in der Redaktion der Rheinische­n Post Erkelenz rege über den Juniorenfu­ßball aus. RP-Mitarbeite­r Mario Emonds (r.)...

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