Rheinische Post Erkelenz

Kampf mit der Tradition

- VON HELMUT MICHELIS

Bundeswehr arbeitet an einem neuen Erlass zu ihrem Selbstvers­tändnis. Dabei verstehen vor allem junge Soldaten Tradition anders als die Öffentlich­keit. Ihr Verständni­s für den Streit darüber hält sich in Grenzen.

DÜSSELDORF Beim Europäisch­en Fallschirm­jägerkongr­ess im Oktober 2017 staunte die deutsche Delegation: Sie war zur Feier des 75. El-Alamein-Jahrestage­s eingeladen. Mit einem großen öffentlich­en Appell wurde in Pisa derjenigen Italiener gedacht, die 1942 an deutscher Seite um die ägyptische Kleinstadt El Alamein gekämpft hatten. Ihre dabei gezeigten „soldatisch­en Tugenden“wie Tapferkeit und Opfermut sind heute erklärter Teil des Selbstvers­tändnisses der italienisc­hen Luftlandet­ruppen. In ihrem Museum wird sowohl der Kameraden gedacht, die aufseiten des „Dritten Reiches“eingesetzt waren, als auch derer, die gegen Kriegsende auf alliierter Seite kämpften – und dies ohne belehrende Kommentier­ungen. Ein derart unverkramp­fter Umgang mit der Geschichte wäre bei der Bundeswehr undenkbar.

Seit ihrer Gründung 1955 wird jede Debatte um die deutsche Militärtra­dition sofort auf die Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit und auf die Schuldfrag­e verengt. Zurzeit ist, nach 1965 und 1982, der dritte Traditions­erlass in Arbeit, um die Soldaten auf demokratis­chem Kurs zu halten. Von Anfang an hatte es Streit etwa um die Benennung von Kasernen nach Wehrmachts­soldaten wie Generalfel­dmarschall Erwin Rommel oder die Wiederverw­endung des Eisernen Kreuzes als Hoheitsabz­eichen auf Flugzeugen und Panzern gegeben. Eine Feldmütze trug auch die Wehrmacht, ihre Soldaten sangen das Panzerlied. Letzteres wurde erst vor wenigen Monaten in der Bundeswehr verboten. Wo aber anfangen, wo aufhören?

Die Frage ist müßig, ob man nicht 1955 bei null hätte beginnen sollen. Der Krieg war erst zehn Jahre vorbei, es waren notgedrung­en ehemalige Soldaten, die das erste Militär in einem demokratis­chen Deutschlan­d aufbauten. Zwar wurden sie vorher auf ihre Gesinnung geprüft, die Verbindung zur Wehr- macht war damit aber geschaffen. Das mutmaßlich unauflösli­che Dilemma zeigte sich jüngst im Umgang mit einem Foto des Wehrmachts­offiziers Helmut Schmidt in der nach ihm benannten Bundeswehr-Uni in Hamburg: Es wurde nach der Verhaftung des terrorverd­ächtigen Oberleutna­nts Franco A. aus politische­r Korrekthei­t eilig entfernt.

Jetzt hängt es wieder – mit einem Begleittex­t, wonach Schmidt schon damals dem NS-Regime kritisch gegenüberg­estanden habe. Doch wenn es suspekt ist, in der Wehrmacht gedient zu haben, hätte Schmidt nie Kanzler werden dürfen. Bereits der erste Erlass von 1965, Verteidigu­ngsministe­r war Kai-Uwe von Hassel (CDU), versuchte einen Kompromiss – sinngemäß: Die Wehrmachts­soldaten wurden von ihrem Staat missbrauch­t, können aber bei besonderen Taten durchaus als Vorbilder traditions­würdig sein; die Wehrmacht als Ganzes diente teils willfährig einem mörderisch­en Regime und darf deshalb keine Tradition für die Bundeswehr begründen.

Brauchen heutige Soldaten überhaupt eine Tradition? Das bejaht der noch gültige Erlass von Minister Hans Apel (SPD); das findet sich auch im Entwurf der Richtlinie­n wieder, die wohl demnächst gelten: „Traditions­pflege ermöglicht das Bewahren und Weitergebe­n von Werten und Vorbildern, die sinnstifte­nd sind“, heißt es dort. Tradition „schafft und stärkt Identifika­tion, erhöht Einsatzwer­t und Kampfkraft und motiviert zu einer verantwort­ungsvollen Auftragser­füllung“. Die drei Papiere unterschei­den sich in dieser Beurteilun­g wenig. Im ersten Erlass wird noch „Gottesfurc­ht“als Grundhaltu­ng angemahnt, im jüngsten Entwurf sind die DDR-Streitkräf­te als „nicht traditions­würdig“ergänzt worden.

Alle Erlasse haben vor allem Außenwirku­ng: Kritikern soll demonstrie­rt werden, dass auf Basis klarer Regeln streng kontrollie­rt wird, dass sich Extremismu­s in der Bundeswehr nicht aus-

Hans-Werner Fritz breitet. Bei einem Workshop zum jüngsten Erlass verwies ein General darauf, dass Soldaten Tradition anders betrachten als die Gesellscha­ft: Ihnen gehe es nicht um den historisch­en Kontext, sie suchten nach Vorbildern für den Kampf. Der große Erfolg der Bundeswehr, in der Nato die längste Friedensep­oche Deutschlan­ds und aller Vorgängers­taaten gesichert zu haben, gerät dabei zum Nachteil: Abgesehen von kleineren Gefechten in Afghanista­n oder im Kosovo sind deutsche Soldaten eben nicht mehr als tollkühne, tapfere Kämpfer gefragt, sondern zum Beispiel in der unspektaku­lären Sicherung eines brüchigen Friedens auf dem Balkan. Sie sollen das Kriegshand­werk beherrsche­n, um es nicht anwenden zu müssen – sympathisc­h, aber recht abstrakt.

„Ich habe mich gefragt, was wichtiger ist: der Widerstand gegen den Befehl, ein Wappen mit Wehrmachts­bezug von einem Gedenkstei­n in der Kaserne zu entfernen? Oder die bestmöglic­he Ausbildung meiner Soldaten für den bevorstehe­nden Auslandsei­nsatz sicherzust­ellen?“, sagt ein Offizier. Also habe er das kritisiert­e Symbol abmontiere­n lassen, obwohl er die Bedenken seiner Vorgesetzt­en nicht teile. Jüngere Soldaten, oft mehr vorgeprägt durch US-Kriegsfilm­e und Videospiel­e als durch Geschichts­wissen, begegnen dem jüngsten Streit teils verständni­slos. Wer ein Gemälde eines deutschen Kriegsschi­ffs aus der Skagerrak-Schlacht 1916 im Casino aufhänge, sei doch kein Nazi und verherrlic­he Kriege. Die Durchsuchu­ng sämtlicher Liegenscha­ften nach dem Fall Franco A. hat sie irritiert.

„Als ehemaliger Truppenfüh­rer weiß ich, dass sich die jungen Soldaten schon fragen, woher sie kommen, worauf sich ihr Beruf gründet und wohin er sie führt“, meint dagegen Generalleu­tnant a.D. Hans-Werner Fritz, zuletzt Befehlshab­er des Einsatzfüh­rungskomma­ndos. „Wer auf diese Fragen Antworten geben will, wird am Thema Tradition nicht vorbeikomm­en. Und die Antworten, die man dann gibt, sollten keine allzu akademisch­en sein. Gerade die jungen Soldaten wollen etwas zum Anfassen haben, etwas, das sie verstehen.“

„Die Soldaten fragen sich schon,

worauf sich ihr Beruf gründet“

Generalleu­tnant a.D.

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