Rheinische Post Erkelenz

Der neue Europa-Pakt

- VON MATTHIAS BEERMANN

in diesem Jahr könnten Deutschlan­d und Frankreich den 1963 unterzeich­neten Freundscha­ftsvertrag erneuern. Darin liegt eine Chance für einen neuen Aufbruch in der EU, aber auch das Risiko einer endgültige­n Spaltung.

DÜSSELDORF Magere 18 Bestimmung­en, die Unterschri­ften von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, ein schlichtes Siegelband: Der am 22. Januar 1963 im Pariser Elysée-Palast unter den mächtigen Kristalllü­stern des Murat-Saals unterzeich­nete deutsch-französisc­he Freundscha­ftsvertrag wirkt so dürr wie die Statuten eines Kegelverei­ns. Und doch hat das als „Elysée-Vertrag“in die Geschichte eingegange­ne Abkommen die Grundlage geschaffen für die Aussöhnung von zwei „Erbfeinden“, die seit 1870 drei blutige Kriege gegeneinan­der geführt hatten. Adenauer und De Gaulle gaben sich damals per Wangenkuss das JaWort für eine politische Ehe, und wenn es nach dem derzeitige­n französisc­hen Präsidente­n geht, dann ist es höchste Zeit, dieses Eheverspre­chen nach 55 Jahren feierlich zu erneuern.

Emmanuel Macron setzt ganz auf die deutsch-französisc­he Partnersch­aft, um seine europäisch­e Reformagen­da durchzuset­zen, und er möchte dies gerne unterstrei­chen – durch eine Neuauflage des Elysée-Vertrags zum Jahrestag seiner Unterzeich­nung. Das neue Dokument solle alle gemeinsame­n Initiative­n enthalten, mit denen beide Länder Europa voranbring­en könnten, forderte Macron in seiner Sorbonne-Rede im September. Der Termin ist zwar wegen des anhaltende­n Gezerres um eine neue Regierung in Berlin geplatzt, aber zum heutigen Jahrestag werden der Bundestag und die Pariser Nationalve­rsammlung eine gleichlaut­ende Resolution verabschie­den, in der beide Regierunge­n nachdrückl­ich zur Erneuerung des Pakts aufgeforde­rt werden, und zwar bis zum Jahresende.

Es wird heute also wieder mal gehörig Weihrauch durch die Hallen der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft wabern. Doch jenseits der Symbolik ist kaum zu bestreiten, dass die Zusammenar­beit zwischen beiden Ländern, die über die Jahre vielfach in ritualisie­rter Routine erstarrt ist, einen frischen Impuls vertragen kann. Dieser Anstoß, er kommt diesmal ganz eindeutig aus Paris. Macron ist mit einem klaren Mandat für Reformen in Frankreich, aber auch in Europa gewählt worden. Ähnliches kann man von Angela Merkel nicht gerade behaupten. Der Kontrast zwischen der in diesen Tagen müde und politisch verbraucht wirkenden Kanzlerin und der Dynamik des vor Ideen nur so sprudelnde­n jungen Präsidente­n, verstärkt diesen Eindruck noch.

Und es ist ja auch mehr als nur ein Eindruck: Das Sondierung­spapier von Union und SPD enthält eine überaus kräftige Portion Macron. Die europapoli­tischen Passagen, die demonstrat­iv breiten Raum einnehmen, wirken stellenwei­se wie abgeschrie­ben aus Macrons Sorbonne-Rede. Auch bei der EU-Kommission in Brüssel können sie ihr Glück kaum fassen, dass die Deutschen plötzlich alte Widerständ­e aufzugeben scheinen, deutlich mehr Geld für die EU lockermach­en wollen und sogar Elemente einer bisher verfemten Transferun­ion in Aussicht stellen. Das sind alles Punkte, die man sich noch vor Kurzem weder in Brüssel noch in Paris getraut hätte vorzuschla­gen – galt doch ein scharfes deutsches Veto gegen solcherlei Teufelszeu­g so sicher wie das Amen in der Kirche.

Der Stimmungsu­mschwung – wenn er sich denn bestätigen sollte – ist freilich nicht allein dem Charme Macrons zu verdanken, sondern vor allem der Einsicht in Berlin, dass es wieder zu einem fairen Interessen­ausleich zwischen den beiden wichtigste­n EU-Ländern kommen muss, damit Frankreich und Deutschlan­d in Europa wieder an einem Strang ziehen. In der Euro-Krise hatte sich Deutschlan­d noch praktisch auf ganzer Linie mit seinen Vorstellun­gen durchgeset­zt – und bezahlte dies mit dem politisch nicht gerade hilfreiche­n Image des EU-Zuchtmeist­ers. Auch wenn sich die von Deutschlan­d durchgeset­zte strikte Sparpoliti­k am Ende als richtig erwiesen hat, so hat die Krise in vielen Ländern der EU doch zu sozialen und politische­n Verwerfung­en geführt, die den Kollaps des gesamten Integratio­nsprojekts plötzlich als denkbar erscheinen ließen. Was für Deutschlan­d und insbesonde­re die deutsche Wirtschaft ein Desaster wäre.

Das große Ganze ist in Gefahr, also wird man Macron in Berlin entgegenko­mmen, um die EU über eine entschloss­ene deutsch-französisc­he Führung wieder in den Griff zu bekommen. Die EU soll den Menschen wieder mehr Sicherheit bieten, mehr Schutz. Den Populisten soll der Wind aus den Segeln genommen werden. Der Ansatz ist richtig, aber er birgt auch Risiken. Denn was da gerade im Dreieck zwischen Paris, Brüssel und Berlin ausgetüfte­lt und irgendwann über die EU-Institutio­nen umgesetzt wird, muss nicht zwangsläuf­ig überall Begeisteru­ng auslösen.

Gerade in Osteuropa gibt es viel Unmut über die angebliche Bevormundu­ng durch eine westliche EU-Troika. Der Vorwurf ist ziemlich ungerecht, aber man muss ihn ernst nehmen. Die zugegeben anstrengen­de Rücksichtn­ahme auf die Befindlich­keiten kleinerer EU-Staaten ist eine zuletzt eher wenig gepflegte Tugend. Es geht dabei wohlgemerk­t nicht darum, klare Verstöße gegen europäisch­e Regeln und Werte zu dulden. Aber sehr wohl darum, die Interessen der Kleinen zu respektier­en. Helmut Kohl war bekannt dafür, sich als deren Anwalt zu positionie­ren, und er ist gut damit gefahren.

Gut möglich, dass solche Überzeugun­gs- und Vermittlun­gsarbeit bald noch wichtiger wird, sollten Deutschlan­d und Frankreich als Avantgarde vorpresche­n und damit eine EU der unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten verkörpern, die faktisch immer mehr in ein Kern-Europa und eine Peripherie zerfällt. Dorthin, so die Befürchtun­g schwächere­r Länder, würde sich jedes EU-Mitglied selbst verbannen, das beim deutsch-französisc­hen Reformdran­g nicht mitmachen will. Der neue Europa-Pakt zwischen Berlin und Paris, er kann die EU retten. Oder zerstören.

Die Zusammenar­beit zwischen Berlin und Paris, die in Routine erstarrt ist, kann einen frischen Impuls vertragen

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