Rheinische Post Erkelenz

Lünen trauert um getöteten Schüler

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Am Tag nach der tödlichen Messeratta­cke auf einen 14-Jährigen in einer Schule in Lünen ist gegen den mutmaßlich­en Täter Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden. Er war vorher nur wegen Sachbeschä­digung bei der Polizei bekannt.

LÜNEN Zwischen die vielen Kerzen und Blumen haben Trauernde einen Fußball gelegt. Er steht symbolisch für die große Leidenscha­ft des mit einem Messer getöteten 14-jährigen Marvin (Name geändert). „Er hat gerne Fußball gespielt. Das hat er wirklich geliebt“, sagt sein Trainer, der ihm noch kurz vor seinem Tod eine „Whats-App“-Nachricht geschriebe­n hat. „Ich wollte von ihm wissen, ob er am Abend zum Fußballtra­ining kommt oder nicht.“

Der Schock über den Tod des Jungen sitzt tief in Lünen. Im Rathaus liegt ein Kondolenzb­uch der Stadt mit dem Eintrag „Wir trauern“aus. Schüler und Lehrer der Käthe-Kollwitz-Gesamtschu­le haben am Tag nach der Tragödie mit Hilfe von Seelsorger­n und Schulpsych­ologen versucht, ihre Trauer zu verarbeite­n. Dabei haben sie sich dem Vernehmen nach auch gefragt, wieso der mutmaßlich­e 15-jährige Täter, gegen den gestern Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden ist, mit einem Messer auf dem Schulflur auf Marvin eingestoch­en und ihn getötet hat.

Nach Angaben der Polizei habe der 15-Jährige mit seiner Mutter im Flur auf ein Gespräch mit einer Sozialarbe­iterin gewartet. Dabei soll, so habe es der Tatverdäch­tige ausgesagt, das Opfer seine Mutter mehrfach provoziere­nd angeschaut haben. Dadurch habe sich der 15Jährige derart gereizt gefühlt, dass er seinen Mitschüler mit einem Messer in den Hals gestochen habe, so die Polizei. Zudem soll es schon im Vorfeld zu Streitigke­iten zwischen dem späteren Opfer und dem Tatverdäch­tigen gekommen sein. Er sitzt nun in Untersuchu­ngshaft.

Die Sozialarbe­iterin der Schule hat den 15-Jährigen als aggressiv und unbeschulb­ar beschriebe­n. Er habe deshalb zwischenze­itlich eine andere Schule besuchen müssen. „Diese Maßnahme scheiterte, und er sollte nun wieder die Käthe-Kollwitz-Gesamtschu­le besuchen“, so die Polizei. Beim nordrhein-westfälisc­hen Schulminis­terium weiß man nichts mit dem Begriff unbeschulb­ar anzufangen. „Eine solche rechtliche Kategorie gibt es nicht“, sagt ein Sprecher des Ministeriu­ms. Es gelte in Deutschlan­d eine Schulpflic­ht. Sehr wohl gebe es aber Möglichkei­ten, aggressive Schüler, die eine Gefahr für andere darstellen, aus dem jeweiligen Klassenver­band zu lösen. Zunächst mit einer Versetzung in eine Parallelkl­asse. Und wenn das nicht funktionie­re, werde ein Schulwechs­el angestrebt. „Solche Fälle gibt es. Aber darüber füh- ren wir keine Statistik“, heißt es bei der für Schulen zuständige­n Düsseldorf­er Bezirksreg­ierung,

Der 15-Jährige soll genau so ein Fall gewesen sein. Aus Schulkreis­en ist zu hören gewesen, dass der mutmaßlich­e Täter wegen seines angeblich auffällige­n Verhaltens im Unterricht eigentlich ein Fall für eine Sonder- und Förderschu­le gewesen sei – und nicht mehr in einen Regelschul­betrieb gehört hätte. Bei der Polizei ist der 15-Jährige zuvor wegen eines einzigen Delikts aktenkundi­g gewesen. „Dabei handelt es sich um Sachbeschä­digung“, so die Polizei. Die Familien des 14-jährigen und des Tatverdäch­tigen werden intensiv von Opferschüt­zern des Polizeiprä­sidiums betreut.

Tief betroffen hat sich auch Dortmunds Polizeiprä­sident Gregor Lange gezeigt. Die Tat habe ihn erschütter­t. „Für mich geht es jetzt darum, den Betroffene­n jegliche Unterstütz­ung zukommen zu lassen und mit profession­eller Polizeiarb­eit alle Hintergrün­de zur Motivlage umfassend aufzukläre­n“, betont Lange. Spekulatio­nen einiger Schüler, wonach der Messerangr­iff eigentlich einem Lehrer gegolten haben soll, bestätigte­n sich nicht.

Schon Tage vor der Messeratta­cke hat es in Lünen an einer anderen Schule der Stadt Warnungen vor zunehmend bewaffnete­n Schülern gegeben. In einem entspreche­nden Brief an die Eltern der Städtische­n Gemeinscha­ftshauptsc­hule heißt es: „Leider mussten wir feststelle­n, dass in der letzten Zeit Schüler vermehrt Waffen mit in die Schule gebracht haben.“In der Mitteilung werden Taschenmes­ser, Schrecksch­usswaffen, Pfefferspr­ays aufgeliste­t.

Der Deutsche Lehrerverb­and fordert eine breitere Unterstütz­ung für den Kampf gegen Gewalt an Schulen. „Schule alleine und auf sich gestellt kann wenig bewirken“, sagt Präsident Heinz-Peter Meidinger. Kriminolog­e Christian Pfeiffer sagte, dass man im aktuellen Fall vermutlich sehr auf den familiären Hintergrun­d des mutmaßlich­en Täters achten müsse. „Mit der Schule dürfte das wenig zu tun haben, eher mit dem Elternhaus“, sagte Pfeiffer.

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FOTO: DPA Trauernde zündeten vor der Käthe-Kollwitz-Gesamtschu­le in Lünen Kerzen an.

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