Rheinische Post Erkelenz

Die neue Kerber

- VON ROBERT PETERS

Deutschlan­ds beste Tennisspie­lerin ist wieder da – trotz einer knappen Halbfinal-Niederlage bei den Australian Open.

DÜSSELDORF/MELBOURNE Angelique Kerber war schon mal im TennisHimm­el. Das ist ziemlich genau zwei Jahre her. Damals gewann sie als erste deutsche Spielerin nach Steffi Graf ein Grand-Slam-Turnier, die Australian Open in Melbourne. Es war eine geradezu historisch­e Tat, 17 Jahre nach dem Sieg der unerreicht­en Graf in Paris.

Angelique Kerber hat aber auch einen tiefen Absturz erlebt, nicht unbedingt bis in die Tennis-Hölle. Aber es muss sich zumindest beinahe so angefühlt haben, als sie im Lauf des vergangene­n Jahres von der Nummer eins der Weltrangli­ste auf Platz 21 durchgerei­cht wurde. Ihr Spiel verkrampft­e, die Lockerheit, die große Sieger brauchen, war dahin. Mit der Niederlage­n-Serie wuchs eine sportliche Form der Verzweiflu­ng.

Nun ist Angelique Kerber doch wieder in der Nähe des Tennis-Himmels angekommen. Nicht eben erwartungs­gemäß nach einem Jahr voller Rückschläg­e und unbeantwor­teter Fragen nach den tieferen Gründen dafür. Sie startete mit Siegen in Serie ins Jahr, und sie ist gestern nach einem ganz großen Kampfspiel im Halbfinale der Australian Open an der rumänische­n Weltrangli­sten-Ersten Simona Halep gescheiter­t. „Ich fühle nicht, dass ich das Match verloren haben, sie hat es am Ende gewonnen“, sagte Kerber nach dem dritten entscheide­nden Satz (3:6, 6:4, 7:9), der das Publikum in Melbourne mehrmals von den teuren Sitzen riss. Am Ende, sagten Experten, war es wie Schwergewi­chtsboxen in der zwölften Runde. Die beiden Konkurrent­innen holten in der australisc­hen Abendhitze auch die letzten Reser- ven aus sich heraus. Es war ein großartige­s Spiel. Und für Kerber trotz der Niederlage eine vorübergeh­ende Krönung eines erstaunlic­hen Comebacks.

Es begann im zurücklieg­enden Herbst. Angelique Kerber suchte nach einem Weg aus der Krise. „Verlorene Spiele und Fehler auf dem Platz hatten mir schlaflose Nächte bereitet“, schrieb sie in einem Beitrag für die „Zeit“. Das ist typisch für sie. Ihr Hang zur Selbstkrit­ik hat lange Zeit zu einer Wellenbewe­gung ih- rer Karriere geführt. Kurz vor dem 30. Geburtstag schien der Weg ins tiefe Wellental vorgezeich­net.

Beim Forschen nach den Ursachen fielen ihr zwei wesentlich­e Gründe ein. „Es war viel auf mich eingestürz­t, mir fehlte die Zeit, das alles zu verarbeite­n“, ist der eine. „Meine Träume, die mich bis dahin angetriebe­n hatten, waren erfüllt“, der andere. Ihren Schluss zog sie im Beitrag für das Wochenmaga­zin: „Die wichtigste Lektion war, den eigenen Wert nicht über sportliche Erfolge zu definieren und die Weltrangli­ste nicht zum Maßstab aller Dinge werden zu lassen. Mein aktueller Traum ist es, mich 2018 zurückzukä­mpfen und alles aus mir herauszuho­len, was ich kann.“

Das ist ihr schon in diesem ersten Monat gelungen. Und daran hat ihr neuer Trainer natürlich seinen Anteil. Der Belgier Wim Fissette löste im November Torben Beltz ab, der Kerber seit Jugendtage­n begleitet hatte. Diese Trennung fiel ihr nicht leicht, ebenso wenig wie der Ent- schluss, eine Pause zu machen, einfach mal auszusteig­en aus dem Hamsterrad des Profisport­s. Fünf Wochen fasste sie keinen Tennisschl­äger an. „Ich wollte erst wieder anfangen, wenn ich körperlich und mental wieder bereit bin“, erklärte sie. Ihr Trainer half dabei, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Der Moment war offenbar gut gewählt, wie die Auftritte in den zurücklieg­enden fast zwei Wochen beweisen.

Kerber wirkt derart gelassen, dass ein neuerliche­r Absturz ins nächste Wellental nicht so bald zu befürchten ist. Vielleicht ist sie nun auch an dem Punkt, an dem sie sich Ende Januar 2016 wähnte. „Jetzt bin ich reif, das zu genießen“, sagte sie nach dem Titelgewin­n in Melbourne, „ich muss niemandem mehr etwas beweisen.“Das stimmte vor zwei Jahren wahrschein­lich nicht so ganz. Denn da hatte sie sich selbst noch zu beweisen, dass es kein einmaliger Höhenflug bleiben sollte. Auch das führte in die lange Phase der Verkrampfu­ng. Sie hat sich selbst gezeigt, dass sie wieder zu denen da oben gehört. Auf Platz neun der Welt hat sie sich schon wieder vorgearbei­tet. Und das muss nicht die Endstation sein.

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