Rheinische Post Erkelenz

Außen Groko, innen SPD

- VON KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

Der Koalitions­vertrag steht: Deutschlan­d soll sozialer werden und den wirtschaft­lichen Erfolg sichern. Die geschrumpf­te SPD bekommt überrasche­nd drei der wichtigste­n Posten. Und Martin Schulz gibt den Parteivors­itz an Andrea Nahles ab.

BERLIN Für eine Neuauflage der großen Koalition ist die CDU-Vorsitzend­e und Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu einer eklatanten Machtversc­hiebung zugunsten von SPD und CSU im Kabinett bereit. Zugleich könnte sie erstmals in der Geschichte der Bundesrepu­blik eine Frau auch an der Spitze der SPD als Gegenspiel­erin bekommen. Parteichef Martin Schulz will seinen Posten an die SPD-Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles abgeben. Damit stehen die Sozialdemo­kraten zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres vor einem personelle­n Neuanfang.

Die rund 465.000 SPD-Mitglieder werden nun vom 20. Februar bis zum 2. März darüber abstimmen, ob Deutschlan­d rund fünf Monate nach der Bundestags­wahl eine neue schwarz-rote Regierung bekommt. So lange hat es noch nie eine Übergangsr­egierung gegeben. Am 4. März könnte das Ergebnis der Mitglieder­befragung vorliegen. CDU und CSU wollen nur Parteitage entscheide­n lassen. In der SPD gibt es große Widerständ­e gegen eine erneute schwarz-rote Bundesregi­erung. Allerdings bekommt die Partei, die bei der Bundestags­wahl auf ein historisch­es Tief von 20,5 Prozent abgestürzt war, mit sechs Ressorts die meisten Ministerie­n – und davon noch drei mit Schlüsself­unktion: Außen, Finanzen sowie Arbeit und Soziales.

Der CSU wurde das um die Bereiche Heimat und Bau erweiterte Innenminis­terium zugeschlag­en, für das Merkels größter Widersache­r in der Flüchtling­skrise, Parteichef Horst Seehofer, gehandelt wird. Amtsinhabe­r Thomas de Maizière (CDU) muss dafür weichen – er bekam in der Unionsfrak­tion am Nachmittag großen Beifall. Die CSU behält ferner das Verkehrs- und das Entwicklun­gsminister­ium.

Die CDU übernimmt neu das Wirtschaft­sministeri­um und das Landwirtsc­haftsminis­terium und behält Verteidigu­ng, Gesundheit und Bildung. Die Kanzlerin räumte ein, dass es Bedauern in der CDU darüber gebe, dass die Partei nicht mehr das Finanzmini­sterium führen werde. Sie betonte aber mit Verweis auf das schwarz-rote Kabinett von 2005 bis 2009, dass diese Situation für sie nichts Neues sei.

Die Unterhändl­er von Union und SPD einigten sich nach einem 24stündige­n Verhandlun­gsmarathon auf einen Koalitions­vertrag, mit dem sie die Lebenssitu­ation von armen Rentnern, von Pflegern, Familien, Schülern, Ökobauern und befristet Beschäftig­ten verbessern wollen. Zugleich soll die Grundlage für wirtschaft­lichen Erfolg gefestigt, der Bundeshaus­halt weiter konsolidie­rt und Steuern nicht erhöht werden. Dennoch beklagten zahlreiche Parteien und Verbände, das 177-seitige Vertragswe­rk sei unzureiche­nd.

Merkel sagte, die Bürger hätten aber vor allem zwei Forderunge­n: „Bildet endlich eine Regierung. Und zweitens: Bildet eine stabile Regierung.“Sie verteidigt­e den Koalitions­vertrag und sagte, er enthalte zahlreiche Vereinbaru­ngen, damit es den Menschen weiter gut gehe. Er werde neuen Schwung geben.

Schulz unterstric­h, dass die zunächst gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen von Union, Grünen und FDP die Regierungs­bildung derart in die Länge gezogen hätten. Die rund zehntägige­n Koalitions­verhandlun­gen von Union und SPD seien dagegen die bisher kürzesten gewesen. Seehofer sagte, Union und SPD gäben nun eine Antwort auf ihre Stimmenver­luste bei der Bundestags­wahl: „Wir haben verstanden.“

Merkel ist mit zwölf Jahren im Amt dienstälte­ste Regierungs­chefin Europas. Eine neue große Koalition würde ihre Macht am ehesten absichern. Allerdings wird ein Stabwechse­l während der Legislatur­periode erwartet. Als Merkels Favoritin für ihre Nachfolge gilt Saarlands Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Träten sie und Nahles zur nächsten Wahl als Spitzenkan­didatinnen an, gäbe es erstmals einen Kampf zweier Frauen um das Kanzleramt. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte: „Dieser Koalitions­vertrag läutet die Abschiedst­ournee von Angela Merkel ein.“

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FOTO: IMAGO Die beiden starken Frauen in einer neuen großen Koalition: Die künftige Partei-und Fraktionsv­orsitzende der SPD, Andrea Nahles (l.), und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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