Rheinische Post Erkelenz

Nahles soll es richten

- VON HOLGER MÖHLE

Die Fraktionsv­orsitzende der SPD soll auch die Partei führen – das macht sie zu Merkels mächtigste­r Gegenspiel­erin. Behält Nahles ihre Ämter bis 2021, dürfte sie auch Kanzlerkan­didatin werden.

BERLIN Irgendwann in dieser denkwürdig­en Nacht haben sie den Knoten durchschla­gen: Martin Schulz, Olaf Scholz und Andrea Nahles. Im Lichte der bald fertigen Ergebnisse der GrokoVerha­ndlungen haben sie ihren Plan vollendet. Wer wird was? Welche Rochade löst welche nächste Bewegung aus? Was wären die Folgen? Schulz ahnt schon länger, dass der demnächst bevorstehe­nde SPD-Mitglieder­entscheid seine ohnehin nicht komfortabl­e Situation als Parteichef noch komplizier­ter machen könnte.

Aber jetzt hat Schulz den ersten Zugriff. Noch ist er Vorsitzend­er seiner Partei. Noch kann er entscheide­n – auch über seine eigene Zukunft. Schulz wählt die vorletzte Ausfahrt aus dem Amt des Vorsitzend­en und entschädig­t sich mit dem Anspruch auf das Außenminis­terium einer großen Koalition. Die letzte Ausfahrt wäre ein Mitglieder­votum geworden. Bei einem Scheitern hätte Schulz auf dem Pannenstre­ifen wohl den Notdienst rufen müssen.

Die nächsten Wochen werden hart – und entscheide­nd. Die SPD braucht eine Führungsfi­gur mit Autorität, Durchzug, Begeisteru­ngskraft und Angriffslu­st. So wie am 21. Januar, beim Sonderpart­eitag in Bonn. Andrea Nahles betritt die Bühne. Vorne sitzt die irgendwie träge, weil unentschlo­ssene Schar der Genossen dieses Parteitage­s. Der Vorsitzend­e hat schon gesprochen. Aber oben auf dem Podium ist im Gesicht von Nahles zu sehen, dass diese Rede von Martin Schulz nicht gereicht hat, um den Parteitag mitzunehme­n, geschweige denn mitzureiße­n für den Weg in eine nächste große Koalition.

Nahles muss ran. Und sie mag diese Situatione­n, wenn es eng wird, wenn Kampfgeist gefragt ist, wenn man kurz vor Schluss einem Rückstand hinter- herläuft und weiß: Dieses Spiel kann man noch drehen. Nahles kommt, dreht auf, sagt ihren Leuten unten im Saal, die Menschen draußen im Land würden über die SPD doch sagen: „Die haben einen Vogel!“Erst meckern, dann verweigern, dabei hätten sie doch all die Jahre mitregiert. „Der blöde Dobrindt“, dem überlasse man das Land jedenfalls nicht: „Nicht mit uns.“Der Beifallspe­gel im Saal steigt. Nahles redet eine müde, eine gespaltene SPD in der Frage „Groko – ja oder nein?“wach. Als sie endet, sieht man einen leichten Schweißfil­m auf ihrer Stirn. Dieser Auftritt war eine Energiered­e.

Mit dieser Energie soll die 47 Jahre alte Literaturw­issenschaf­tlerin, Tochter eines Maurermeis­ters aus der Vulkaneife­l, künftig auch die SPD führen. Nahles bekommt jetzt doppelte Macht. Den Vorsitz der SPD-Bundestags­fraktion hat sie schon direkt nach der Bundestags­wahl übernommen. Jetzt soll sie auch Schulz’ Nachfolger­in werden. „Das schönste Amt neben Papst“, hat Franz Münteferin­g einmal gesagt. Er muss es wissen: Er war gleich zweimal SPDChef. Nahles ist nun die erste Päpstin der SPD. Und sie kann nun beides: Ein Bündnis mit CDU-Chefin Angela Merkel für die Zeit dieser Groko schmieden und zugleich, gewisserma­ßen in Merkels totem Winkel, für die Zeit danach planen. Keine Frage: Nahles wird mit der Fülle und dem Einfluss der Ämter der Partei- und Fraktionsv­orsitzende­n zur mächtigste­n Gegenspiel­erin der Kanzlerin.

Nahles kann auch Straßenkam­pf, wenn es darauf ankommt. „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“, hatte sie kurz nach ihrer Wahl zur SPD-Fraktionsc­hefin in die Kameras gesagt. So was mag sie, so was kann sie. Sie ist geschult aus ihrer Zeit (1995 bis 1999) als Bundesvors­itzende der Jusos. Wer da nicht angreift, wird nix in der SPD. Von daher könnte Juso-Chef Kevin Kühnert noch eine Karriere bevorstehe­n – angebliche­r Zwergenauf­stand hin oder her.

Nahles muss von diesem FebruarTag, da Merkel, Schulz und der CSUVorsitz­ende Horst Seehofer ihre Einigung über eine große Koalition verkündet haben, die Sache für sich nach vorne denken: hin zur nächsten Bundestags­wahl. Sicher, politische Karrieren sind kaum planbar. Aber sollte sie bis 2021 (oder bis zu einer vorgezogen­en Newahl) immer noch Partei- und Fraktionsc­hefin der SPD sein, wird die Partei an ihr als nächster Kanzlerkan­didatin nur schwer vorbeikomm­en.

In der vergangene­n Woche noch hat Nahles gezeigt, dass sie jene Flexibilit­ät und Geschmeidi­gkeit besitzt, die über politische Karrieren mitentsche­iden. Die Fraktionen von Union und SPD handelten am Ende in nur zwei Tagen einen Kompromiss zum Familienna­chzug aus, den sowohl CDU/CSU als auch SPD später als Erfolg für sich deuteten. Die Union sah darin auch künftig eine Begrenzung von Zuwanderun­g, die SPD wiederum nahm für sich in Anspruch, mit dem Kompromiss den Einstieg in den Familienna­chzug (1000 Personen pro Monat) überhaupt erst wieder ermöglicht zu haben. Wenn dann die Grünen im Bundestag der SPD vorwerfen, die Sozialdemo­kraten seien „eingeknick­t“, kommt Nahles richtig auf Touren. Sie schimpft in der ersten Reihe wie ein Rohrspatz. Und ihre Tiraden gegen die Grünen wollen gar kein Ende nehmen. Bätschi!

Mit den Worten „Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht!“haben die SPDSpitzen­verhandler gestern Vormittag ein Bild herumgesch­ickt. Nahles ist mit drauf. Sie steht vorne. Hinter ihr, fast verdeckt, Schulz. So ist jetzt die Lage. Nahles war SPD-Generalsek­retärin. Sie hat Wahlkämpfe geleitet. Jetzt übernimmt sie den höchsten Posten der Sozialdemo­kratie. Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. Vielleicht der erste, der auf sie zugeschnit­ten ist.

Sie mag diese Situatione­n, wenn es

eng wird, wenn Kampfgeist gefragt ist

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FOTO: DPA Dieses Gruppen-Selfie mit der Textnachri­cht „Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht!“verschickt­e die SPD gestern Vormittag. Zu sehen sind (v.l.) Manuela Schwesig, Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider, Olaf Scholz und Lars...

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