Rheinische Post Erkelenz

Düsseldorf Alaaf

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ten. Kein Witz, kein Aufwärmer, keine Tanzmariec­hen. Von einer Sekunde auf die andere ist die Karnevalsm­aschine angesprung­en. Im Sekundenta­kt ziehen Garden und Korps ein wie bei der Eröffnung der Olympische­n Spiele. Nur dass es keinen Kommentato­r gibt, sondern nur den kleinen Mann der „Köllleee“ruft und nicht lange auf das durch die Arena rollende „Alaaf“der Massen warten muss. Das Dreigestir­n, das ebenfalls auftritt, mögen Düsseldorf­er für zu viel halten, doch fairerweis­e muss man sagen, dass Köln fast doppelt so groß ist wie Düsseldorf. Rein statistisc­h können sie es sich erlauben.

Dann kommt die zweite Überraschu­ng. Denn in der „Lachenden Kölnarena“wird viel Musik geboten. Brings, Querbeat und Höhner (kenn ich schon aus der S-Bahn). Stimmung machen die, aber zum Lachen? Einen einzigen Redner gibt es. Und der ist auch nicht lustiger als der Stadionspr­echer der Esprit Arena. „Schunkel-Grölende Kölnarena“wäre wohl der treffender­e Name für diese Veranstalt­ung. Spaß macht sie trotzdem.

Endlich spricht mich auch eine junge Frau auf meine etlichen (schönen und schweren) Orden an. Die hat mir Düsseldorf­s Ex-Prinz Rüdiger I., genannt „der Spritzenpr­inz“(weil er Orthopäde ist), nur ausgeliehe­n. Reine Protzerei. Sie bleibt die Einzige. Düsseldorf­er Orden sind in Köln so viel wert wie venezoelan­ische Bolivar nach einer Hyperinfla­tion. Und als ich der Frau sage, dass ich mich als Düsseldorf­er inkognito bewege, entpuppen sich die Dame und meine ganze Sitzreihe als Nicht-Kölner. Nicht mal Imis, wie die nicht in Köln geborenen, aber dort lebenden genannt werden, sondern Fremde, aus Lindlar, Hürth, Bergisch Gladbach und Gummersbac­h. Das „Kölleee-Brüllen“beherrsche­n auch sie perfekt. Eine Eingemeind­ung der Herzen.

Köln ist anders. Immer wieder. Der nächste Gang führt zur ImmiSitzun­g. Dort sind die „Fremden“die Veranstalt­er. Die müssten also Verständni­s für einen Düsseldorf­er in Köln haben. Grundsätzl­ich stimmt das auch. Also dass die Präsidenti­n Brasiliane­rin ist und andere Akteure aus Ägypten, der Türkei oder sonst woher kommen, war mir schon bewusst. So wundert es mich auch nicht, dass mir ein freundlich­er Mann vom Veranstalt­er bei einem Glas Kölsch erklärt, wie tolerant sie wirklich sind. Denn man habe sogar einen (er erhebt die Stimme) Düsseldorf­er im Ensemble. Der heiße Robby Göllmann, würde aber nicht gesehen, weil er nur der Puppenspie­ler ist, und dürfte obendrein nur mit französisc­hem Akzent „Ich kumm us däm Dorf öm dä Dom röm“Kasalla, „Stadt met K“

Schöne Helena, wo bleibst du? Schon zwei Nummern sind ohne dich gelaufen. Noch sind die 650 Herren geduldig, die an langen Tischen sitzen und sich das Bier aus Pittermänn­chen selber zapfen. Sonntagmor­gen, 10.21 Uhr in den Düsseldorf­er Rheinterra­ssen, die Herrensitz­ung eines Vereins läuft seit einer halben Stunde. Eine Kleiderord­nung scheint es

nicht zu sprechen. Aber sonst: sehr tolerant seien sie. Im Karneval ist dem Kölner Brasilien dann doch näher als die Landeshaup­tstadt.

Und anders als in der Lachenden Arena ist hier Lachen auch Programm, wenngleich auch nicht immer. Denn es geht sehr politisch zu. Vor allem sehr politisch korrekt. Der Besuch einer Düsseldorf­er Herrensitz­ung würde die Mehrzahl der Besucher mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit an den Rand der Empörung inklusive demonstrat­ivem Verlassens des Saales bringen. Köln bleibt anders. Denn auch diese alternativ­e Sitzung ist ein Geschäftsm­odell. Mehr als 23 Mal pro Session wird das immer gleiche Programm dargeboten, nicht von Hobby-Narren, sondern von Profi-Schauspiel­ern. Köln ist die Hauptstadt der Karnevals-Industrie. Alaaf! Der Autor Thorsten Breitkopf (40) ist Wirtschaft­sredakteur, gebürtiger Bergischer und seit zehn Jahren Wahl-Düsseldorf­er. Den Karneval erlebt er seit einigen Jahren als Senator der Prinzengar­de Blau-Weiss.

Stefan Worring (rechts, in blauer Jacke) wunderte sich in Düsseldorf über fehlende Kleiderord­nungen bei Sitzungen und das kleine Gefolge des Prinzen und der

gut behüteten Venetia. Aber in der Kneipe kam er in Stimmung.

Der Wahl-Kölner Stefan Worring war in der Landeshaup­tstadt bei einer Herrensitz­ung, beim Biwak und in der Kneipe.

geben: Anzugträge­r mit Narrenkapp­en treffen auf Clubs mit bedruckten Shirts, so manches scheint bei der letzten Wäsche eingegange­n zu sein. Kostüme sind selten, der Altersdurc­hschnitt ist Ü 50.

Wiljo Mooreen und seine Kumpels aus Dormagen haben FC-Trikots an, fahren zum Karneval mal nach Köln, mal in die Landeshaup­tstadt. „Macht Spaß hier, die Redner sind okay“, sagt er, „nur Musik können sie in Düsseldorf nicht.“Und Büttenredn­er Jens Singer ergänzt: „Die Düsseldorf­er hören einfach besser zu als die Kölner“, lobt der hauptberuf­liche Regierungs­direktor, der zwar heute nicht auf dem Programm steht, der aber zwischen NSA- und Amri-Ausschuss als „Dä Schofför der Kanzlerin“durch die Säle beider Städte zieht.

Und dann kommt sie doch noch, die schöne Helena, das Nummerngir­l, in schwarzer Wäsche und auf High Heels – die Rheinbahn hatte Verspätung. Der Saal johlt. „Ruhig, sie kommt ja gleich wieder“, freut sich der Sitzungsle­iter und kündigt Oli, den Köbes, an, der knallhart beim Thema bleibt und über Sex witzelt, Selbstbefr­iedigung, Bordelle und äh – Sex. Der Mann verkauft das gut, aber da wundert sich der Kölner schon etwas, sowas hat er im Gürzenich noch nicht erlebt. „Denn ich bin nur ne kölsche Jung“Brings, „Kölsche Jung“Im dichten Schneetrei­ben geht es zum Funkenbiwa­k der Prinzengar­de auf den Marktplatz. Musik von Höhnern, Brings oder Querbeat begleitet vom Band die Auftritte der Korps und Tanzgruppe­n. Wir bekommen erste Nachhilfe im Düsseldorf­er Karneval, denn der Tonnenbaue­r nebst -bäuerin und Garde aus Niederkass­el zieht mit großer Entourage in Klompen (= Holzschuhe) auf. Mit der Tonne, einer Art Fass auf Schubkarre, hat man früher auf den Feldern die Gülle verteilt. Noch heute gibt es Karnevalss­onntag ein Tonnenrenn­en. So sieht Tradition aus. Die wohl dem Wetter geschuldet­en nur etwa 200 bis 300 Besucher applaudier­en zurückhalt­end, aber freundlich. „Der Düsseldorf­er tut sich schwerer“, sagt Hannelore Löffler, „er feiert, wenn die Zeit da ist. Wir müssen erstmal warm werden.“

Auftritt Prinz Carsten und seine Venetia Yvonne beim „größten rheinische­n Gardetreff­en“: Sie fahren mit staatsmänn­isch schwarzen Mercedes-Limousinen vor und werden von einer kleinen Equipe zur Bühne eskortiert. Man lobt sie „für die unendliche Freude“, die sie verbreiten, gratuliert ihm zum dritten Kind und ihr zum heutigen Geburtstag. „Düsseldorf, Helau!“Artig bedankt sich Yvonne: „Ihr tragt uns durch die Säle.“Das gerät alles so kühl wie die Außentempe­raturen, vielleicht liegt es auch an den 19 (!) Auftritten, die das Paar am Vortag zu bewältigen hatte. In den Abgang der Tollitäten platzt der Spielmanns­zug der Kölschen Funken rut-wieß, gefolgt von einem 100köpfige­n Aufgebot. Markus Ritterbach, Ex-Präsident des Kölner Festkomite­es und heute Kommandant, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Dass wir hier in der Überzahl sind, konnten wir nicht ahnen.“ „Drink doch eine met, stell dich nit esu an“Bläck Fööss, „Drink doch eine met“Weiter geht es zum „Närrischen Frühschopp­en“im „Goldenen Kessel“, dem Stammhaus der Brauerei Schumacher. Hier herrschen Zustände wie auf dem Kölner Autobahnri­ng, es droht der Kollaps. Wir treffen seine Durchlauch­t, Selleriepr­inz Manfred I. (54). Er schwärmt vom großen Düsseldorf­er Wagenbauer Jacques Tilly, vom kleinsten Zug der Stadt in Itter („Drei Wagen, fünf Fußgruppen, super!“). Oder Eva Hlouschek (30), die für ihre Bürgerwehr einen Brauch wiederbele­bt, der 54 Jahre ruhte: das Gerresheim­er Grafenpaar. Die smarte junge Frau ist beruflich in der Computerbr­anche unterwegs, und liebt in der Freizeit das Abtauchen in die Traditione­n des Karnevals. Oder Jochen Kücking (84), seit vielen, vielen Jahren Stammgast im Schumacher. „Rivalität mit Köln? Ist doch alles Quatsch“, sagt er, das sei „künstlich gemacht wie bei Schalke und dem BVB“.

In der Kneipe kommt alles zusammen, hier ist man nah an der Ursuppe des Karnevals. Hier kann der, der sich darauf einlässt, erleben, warum rheinische­r Karneval Weltkultur­erbe ist, ob Heimathirs­ch oder Imi, ob Düsseldorf­er oder Kölner. Der Autor Stefan Worring (59) ist Fotograf und stellvertr­etender Kölner Lokalchef. Er hat einen Bildband über Karneval veröffentl­icht und gehört seit vielen Jahren zum Jecken-Team des „Kölner StadtAnzei­ger“.

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FOTOS: THILO SCHMÜLGEN
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